Arzneimittel und Therapie

Antidepressiva haben hohes Wechselwirkungspotenzial

Die Therapie einer Depression ist in der Regel eine Langzeitmedikation. Und sehr oft treten Depressionen zusätzlich in Begleitung von schweren Erkrankungen auf: Etwa 20% aller Patienten nach einem Herzinfarkt entwickeln eine Depression, nach einer Niereninsuffizienz 17% eine schwere Depression. Antidepressiva haben ein hohes Wechselwirkungspotenzial mit einer Vielzahl von Arzneistoffen aus anderen Indikationsgebieten, einer Gefahr, der man nur durch genaue Kenntnis der Eigenschaften der eingesetzten Arzneistoffe begegnen kann.
Die gleichzeitige Einnahme von mehreren Arzneimitteln ist bei älteren Patienten eher die Regel. Oft treten unerwünschte Wirkungen auf, die auf Interaktionen zwischen den Arzneistoffen zurückzuführen sind. In der Therapie von Depressionen sind Arzneimittelwechselwirkungen besonders wahrscheinlich. Dabei spielen Cytochrom-P450-Enzyme eine besondere Rolle. Eine auslösende Komedikation fällt häufig nur in der Apotheke auf!
Foto: ABDA

Depressionen sind in der Bevölkerung sehr häufig und es gibt eine Reihe von pharmakologischen Optionen, die eine gute Behandlung über lange Zeiträume ermöglichten. Viele Depressionspatienten haben gleichzeitig andere Krankheiten, die mit Arzneimitteln behandelt werden. Beim Einsatz von Antidepressiva muss man einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit mit Arzneimittelinteraktionen rechnen, die ein therapeutisch relevantes Problem darstellen. Als Ursachen kommen sowohl Transport- als auch Stoffwechselprozesse in Frage. Zum einen sind pharmakokinetische Wechselwirkungen denkbar, die nach einer oralen Aufnahme des Arzneistoffes im Gastrointestinaltrakt stattfinden können. Im Gastrointestinaltrakt laufen bereits wesentliche Teile der Stoffwechsel- und Transportmechanismen ab, die den Organismus durch die Entgiftung und Ausscheidung lipophiler Xenobiotika vor dem Eindringen von Fremdstoffen schützen sollen. Hierzu befinden sich metabolisierende Enzyme in der Leber und Transportproteine in den Darmzotten. In der Leber laufen Phase-I- und Phase-II-Reaktionen ab, in denen neben den Cytochrom-P450-Enzymen eine Vielzahl anderer Enzyme eine Rolle spielen. Das Ziel ist eine Hydrophilisierung und eine Inaktivierung der Fremdstoffe.

Eine wichtige Rolle spielen die CYPs

Das größte Augenmerk verlangen die CYP-P450-abhängigen Arzneimittelinteraktionen bei den Antidepressiva. Als Beispiel nannte Prof. Dr. Heyo Kroemer, Greifswald, Johanniskraut, das als ein wirksames Antidepressivum mit einem erheblichen Wechselwirkungspotenzial bewertet werden muss. Erschwerend kommt hinzu, dass Johanniskrautprodukte auch außerhalb der Apotheke erhältlich sind und die behandelnden Ärzte oftmals gar nichts von der Einnahme wissen. Dabei induziert Johanniskrautextrakt das Cytochrom-P450-System und die p-Glycoproteine im Dünndarm und reduziert die Bioverfügbarkeit zahlreicher Arzneistoffe. Zum Beispiel kann die Bioverfügbarkeit von Cyclosporin A gesenkt werden: Hier ist eine Dosisanpassung zwingend erforderlich, da es im schlimmsten Fall nach einer Transplantation zur Abstoßung des Organs kommen kann. Wird das Wechselwirkungspotenzial von Johanniskraut oft unterschätzt, so wird der Effekt von Grapefruitsaft weit überschätzt. Die Inhaltsstoffe hemmen zwar irreversibel CYP-P450 3A4 und reversibel Transportproteine wie OATP1A2, der Effekt ist jedoch überschaubar, so Kroemer: Die Wechselwirkungen von Antidepressiva mit Grapefruitsaft scheinen weniger ausgeprägt.

Wechselwirkungen zwischen Antidepressiva

Als Antidepressiva werden unterschiedliche Substanzgruppen eingesetzt, zwischen den einzelnen Vertretern gibt es nicht nur gravierende Unterschiede, es kann auch zu pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Wechselwirkungen zwischen ihnen sowie mit Substanzen aus anderen Indikationsgruppen kommen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Behandlung von Depressionen häufig ein sequenzieller Wechsel der Substanzen stattfindet. Innerhalb einer Substanzklasse (siehe Tabelle) werden die Substanzen durch verschiedene Enzyme metabolisiert bzw. beeinflussen die einzelnen Vertreter die verschiedenen CYP-Enzyme in unterschiedlichem Ausmaß. Insgesamt, so Kroemer, sind hier viele Wechselwirkungen möglich. Zumal wenn mehrere Wirkstoffe gleichzeitig eingenommen werden, was die Regel ist. So ergab eine Untersuchung von älteren Patienten einer kardiologischen Station, dass im Schnitt acht Arzneistoffe nebeneinander eingenommen werden. Wird innerhalb einer Substanzklasse ein Wirkstoff gewechselt, so muss davon ausgegangen werden, dass auch das komplette Wechselwirkungspotenzial gewechselt wird. Eine Vorhersage möglicher Interaktionen gestaltet sich noch schwieriger, wenn einem bewusst wird, dass die Menge an Cytochrom-P450-Enzymen auch noch intraindividuell sehr stark variiert.

Mögliche Wechselwirkungen zwischen Antidepressiva und Cytochrom-P450-Enzymen [Quelle: Prof. Dr. H. Kroemer]
 metabolisierende CYP-Enzymegehemmte CYP-Enzyme
 starkmittelschwach
tricyclische Antidepressiva
Imipramin2C19, 1A2, 2D6, 3A42C191A22D6, 3A4, 2C9
Desimiprami2D6  2D6, 2C19
Clomipramin2C19, 1A2, 2D6, 3A42C191A22D6
Amitryptilin2C19, 1A2, 2D6, 3A42C19 2D6, 1A2, 2C6
Nortriptylin  2C19,2D6, 2C19
Doxepin2C19, 1A2, 2D6, 3A4  1A2
neuere Antidepressiva der 2. Generation
Citalopram2C19, 2D6, 3A4  2D6
Escitalopram2C19, 2D6, 3A4  2D6
Fluoxetin2D6, 2C9, 2C19, 3A42D62C9, 3A42C19, 1A2
Fluvoxamin1A2, 2D61A2, 2C192C9, 3A42D6
Mirtazepin2D6, 1A2, 3A4   
Paroxetin2D6, 3A42D6 1A2, 2C9, 2C19, 3A4
Sertralin2C9, 2C19, 2D6, 3A4 2D61A2, 2C9, 2C19, 3A4
Venlafaxin2D6, 1A2, 3A4  2D6

P-Glykoprotein an der Blut-Hirn-Schranke

Haben die Substanzen ihren Weg durch die Leber hinter sich gebracht, so werden sie bzw. ihre Metabolite über ATP-abhängige Transportproteine wie zum Beispiel P-Glykoprotein in die Galle transportiert und auf diesem Wege ausgeschieden. Auch hier sind Interaktionen denkbar. Bei den Antidepressiva handelt es sich um zentralwirksame Substanzen, daher müssen diese Verbindungen die Blut-Hirn-Schranke überwinden, soll die eigentliche Zielstruktur erreicht werden. In der Blut-Hirn-Schranke als eine physiologische Barriere befinden sich sehr viele gut charakterisierte Transportproteine, die das ZNS schützen. Dazu zählt das P-Glykoprotein, das die Akkumulation von Antidepressiva und von anderen zentral wirksamen Pharmaka im Gehirn moduliert. In vitro wurden verschiedene Substanzen als mögliche Substrate identifiziert: Tricyclische Antidepressiva (Desipramin, Nortriptylin, Trimipramin), SSRI (Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin) sowie Neuroleptika (Risperidon). Auch hier muss davon ausgegangen werden, das Antidepressiva wahrscheinlich Wechselwirkungen auf der Ebene der Blut-Hirn-Schranke zeigen. Die genauen Mechanismen und die therapeutische Bedeutung dieser Wechselwirkungen ist noch nicht endgültig geklärt.

 

Quelle

Prof. Dr. Heyo Kroemer, Greifswald: "Interaktionen mit zentral wirksamen Pharmaka - Schwerpunkt Antidepressiva", 11. Februar 2009, Pharmacon Davos. 

 


ck

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