Gesundheitspolitik

SPD-Gesundheitsministerin Dreyer warnt Rösler

Malu Dreyer: Gesundheitsprämie nicht gegen Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen

BERLIN (lk). Die SPD droht mit einer Blockade der Gesundheitsprämie im Bundesrat: "Wir werden sehr genau schauen, ob die Vorschläge der Regierungskommission die soziale Balance wahren oder nicht", sagte die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer im Interview mit der Apotheker Zeitung (AZ). Die SPD-Politikerin warnte die schwarz-gelbe Bundesregierung davor, "gegen gewichtige Argumente und gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung die Kopfpauschale umzusetzen". Sie glaube auch nicht, dass man den Systemwechsel rechtlich so umsetzen könne, dass eine Zustimmungspflicht des Bundesrates nicht gegeben sei, sagte Dreyer.


AZ: Nach dem Wahlausgang in NRW mischt die SPD über den Bundesrat wieder in der Bundespolitik mit. Was bedeutet dies für die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung zur Einführung einer Kopfprämie zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung?

Dreyer: Zunächst einmal freue ich mich natürlich, dass Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat verloren hat und einige ihrer Vorhaben, die von der Bevölkerung mehrheitlich sehr kritisch gesehen werden, nicht mehr ohne Weiteres umsetzen kann. Dazu gehört auch die Kopfpauschale, wobei in dieser Frage ja bereits innerhalb der Bundesregierung selten mit einer Stimme gesprochen wird. Ich gehe davon aus, dass der Umstieg auf die Kopfpauschale nicht mehr weiter verfolgt wird. Man wird versuchen, das Gesicht zu wahren und ein Minireförmchen wagen. Wir werden aber sehr genau schauen, ob die Vorschläge der Regierungskommission die soziale Balance wahren oder nicht.

AZ: Die FDP-Gesundheitspolitiker suchen nach Wegen, den notwendigen Sozialausgleich nicht über das Steuersystem und so zu organisieren, dass der Bundesrat umgangen werden kann. Wie beurteilen Sie ein solches Vorgehen?

Dreyer: Die Wahlergebnisse in NRW zeigen doch gerade, wie kurzsichtig es ist, bestimmte Vorhaben um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Ich kann die Bundesregierung nur davor warnen, gegen gewichtige Argumente und gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung die Kopfpauschale umzusetzen. Ich glaube auch nicht, dass man den Systemwechsel wirklich rechtlich so umsetzen kann, dass eine Zustimmungspflicht des Bundesrates nicht gegeben ist.

AZ: Sind die gesetzlichen Krankenkassen Ihrer Meinung nach in der Lage, ersatzweise einen Milliarden schweren Sozialausgleich für über 70 Millionen Versicherte zu organisieren?

Dreyer: Sie wären vielleicht dazu in der Lage, aber um welchen Preis? Der Sozialausgleich wäre mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden, der den Krankenkassen viel Kraft abverlangen würde, die sie eigentlich für ihre Kernaufgaben brauchen: die Versorgung ihrer Versicherten bestmöglich zu organsieren. Im Übrigen sehe ich immer noch nicht, wo die Steuermittel für den Sozialausgleich herkommen sollen. Wir haben doch einen bewährten Sozialausgleich im jetzigen System, der automatisch funktioniert. Mit einer Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zu einer Bürgerversicherung könnte man die bestehenden Gerechtigkeits- und Finanzierungsprobleme viel besser lösen als mit einer Kopfpauschale mit einem bürokratischen und letztlich nicht finanzierbaren Sozialausgleich aus Steuermitteln.

AZ: Sehen Sie Kompromissmöglichkeiten zwischen der Kopfprämie und den SPD-Vorstellungen zur GKV-Finanzierung?

Dreyer: Es fällt mir schwer, neue Kompromisslinien zu erkennen. In gewisser Weise war der Gesundheitsfonds mit den Zusatzbeiträgen ein solcher Kompromiss. Doch gerade die Zusatzbeiträge, die die Union durchgesetzt hat, zeigen doch die Fragwürdigkeit solcher Kompromisse. Das Entscheidende ist aus meiner Sicht, dass die weltweit einmalige Zweiteilung des Versicherungsmarktes überwunden wird und damit auch die damit verbundenen Verwerfungen ein Ende haben. Wir brauchen ein Solidarsystem, bei dem sich die Menschen mit starken Schultern nicht aus der Solidarität verabschieden können. Das wäre die wichtigste Grundlage, auf der ein Kompromiss dann aufbauen müsste.

AZ: Unbestritten ist der steigende Finanzbedarf der GKV. Schätzungsweise fehlen den Kassen im Jahr 2011 bis zu 15 Milliarden Euro. Was schlagen Sie vor, um das Defizit aufzufangen?

Dreyer: Die Arbeitsmarktsituation entwickelt sich besser als erwartet, so dass bereits für 2010 die Prognosen des Schätzerkreises weniger negativ ausfallen als noch vor ein paar Monaten. Dennoch wird es einen steigenden Finanzbedarf geben. Wenn die Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben sind, dann halte ich es für besser, den allgemeinen Beitragssatz anzuheben, als das Defizit allein über Zusatzbeiträge auszugleichen. Das System der Zusatzbeiträge gerät schon bald an seine Grenzen. Zunächst einmal ist jedoch Bundesgesundheitsminister Rösler gefordert, Vorschläge für Einsparungen vorzulegen. Ganz elementar ist aus meiner Sicht, dass die im Koalitionsvertrag erkennbare Klientelpolitik, die zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung gehen würde, nicht Wirklichkeit wird. Ich denke da zum Beispiel an den erleichterten Wechsel von gesetzlich Versicherten in die Private Krankenversicherung. Das würde den gesetzlichen Krankenkassen wieder erhebliche Mittel entziehen, die sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigen.

AZ: Die Barmer GEK ruft bereits nach der Erhöhung des Einheitsbeitrages. Wie stehen Sie dazu?

Dreyer: Das ist in jedem Fall das geringere Übel im Vergleich zu einer Ausweitung von Zusatzbeiträgen oder Kopfpauschalen oder gar einer Kürzung des Leistungskataloges. Eine gute Absicherung im Krankheitsfall ist den Menschen wichtig und sie haben auch Verständnis, wenn es mehr kostet. Nur sollte es dabei gerecht zugehen und jeder nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit seinen Beitrag leisten. Insofern ist der Vorteil bei einem solchen Schritt – wenn er denn erforderlich wird – auch, dass die Arbeitgeber mit im Boot sind und die zusätzlichen Lasten nicht nur den Versicherten aufgebürdet werden. Aber noch einmal: Wir müssen natürlich versuchen, zunächst einmal Einsparmöglichkeiten im System zu nutzen. Nach langem Zögern hat Herr Rösler immerhin Vorschläge zum Arzneimittelbereich vorgelegt. Da muss insgesamt noch mehr kommen.

AZ: Die Bundesregierung hat ein Arzneimittelsparpaket auf den Weg gebracht. Ist das ein richtiger Schritt und wo sehen Sie weitere Sparreserven im Gesundheitssystem?

Dreyer: Die rheinland-pfälzische Landesregierung begrüßt vor dem Hintergrund der schwierigen Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Sparbemühungen der Bundesregierung im Arzneimittelbereich. Die in einem Eckpunktepapier vorgeschlagenen, sehr unterschiedlichen Instrumente der Bundesregierung zur Einsparung im Arzneimittelbereich (Pharma-Soli, Preismoratorium, Kosten-Nutzen-Bewertung, Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und pharm. Unternehmern) lassen allerdings kein Konzept erkennen, wie die Bundesregierung mit dem Spannungsfeld einer patientengerechten Arzneimittelversorgung, den Rahmenbedingungen für die forschende Industrie und dem Kostendruck andererseits umzugehen gedenkt. Die vorgeschlagenen Instrumente widersprechen sich zum Teil und sind in ihrer Ausgestaltung teilweise auch rechtlich zu hinterfragen. Ich würde es begrüßen, wenn im Gesetzgebungsverfahren ein klarer Weg zur Einführung der Kosten-Nutzen-Bewertung aufgezeigt würde. Auch mit einer gut eingestellten Arzneimitteltherapie können unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden werden, wodurch zusätzliche Sparpotenziale aktiviert werden.

AZ: Auch die PKV klagt über steigende Ausgaben vor allem bei den Arzneimitteln und will wie die GKV künftig mit den Herstellern Preisverhandlungen führen. Was antworten Sie der PKV?

Dreyer: Auch die PKV sollte nach Auffassung der rheinland-pfälzischen Landesregierung von Preisverhandlungen mit pharmazeutischen Unternehmern profitieren, um auch in diesem Bereich die zunehmenden Arzneimittelausgaben zu stabilisieren.

Es ist allerdings schon erstaunlich, dass die PKV einerseits wie die GKV behandelt werden möchte, an anderer Stelle aber auf ihre Sonderrechte pocht. Fakt ist, auch der PKV laufen die Kosten davon, ja sie haben sogar noch deutlich mehr Probleme. Insofern komme ich wieder auf meinen Vorschlag für ein einheitliches Versicherungssystem, nicht zu verwechseln mit einer "Einheitskasse", zurück.

AZ: Die Bundesregierung hat den Apothekern ein Pick-up-Verbot zugesagt. Werden Sie das im Bundesrat mittragen?

Dreyer: Die Landesregierung unterstützt alle Maßnahmen, den Versandhandel mit hochwirksamen Arzneimitteln über zweifelhafte und unsichere Vertriebswege zu unterbinden. Diese Auffassung hat sie bereits im entsprechenden Bundesratsverfahren 2009 vertreten. Inwieweit ein Verbot von Pick-up-Stellen aus rechtlicher Sicht möglich ist, bleibt zweifelhaft. Entscheidend für das Bundesratsverfahren wird in diesem Zusammenhang die gesetzliche Ausgestaltung eines Pick-up-Verbotes durch die Bundesregierung sein.

AZ: Frau Dreyer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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