Gesundheitspolitik

Ein Jahr schwarz-gelbe Bundesregierung – eine ernüchternde Bilanz

Andreas Kaapke

Im Oktober 2009 konstituierte sich – nach einer für schwarz-gelb erfolgreich verlaufenden Bundestagswahl – die neue Regierungskoalition und die im Amt bleibende Kanzlerin konnte nach vier Jahren großer Koalition ihre selbst ernannte Wunschregierung aufstellen. Aber bereits bei den Koalitionsverhandlungen wurde deutlich, dass die durch die Wahl extrem gestärkte FDP einen immensen Führungsanspruch geltend machen würde und die in den letzten drei Jahren auch in den eigenen Gefilden stark gebeutelte CSU ob des wenig erbaulichen Ergebnisses bei der Bundestagswahl in eine Trotzstarre verfallen würde. Eine derartige Konstellation birgt Gefahren, der schwache, zahnlose Tiger aus München, der aber umso lauter raunzt und brüllt, bedarf ständiger Streicheleinheiten, die ihm Glauben machen sollen, er sei immer noch so wichtig wie eh und je. Und die zuvor seit elf Jahren in der Opposition befindliche FDP musste ob ihres Ergebnisses und der darauf aufbauenden breit geschwellten Brust ihres Vorsitzenden hinreichend wertgeschätzt und dennoch in die Schranken verwiesen werden. So kam es wie es kommen musste. Gerade im Bereich der Gesundheitspolitik hat man seit diesen Tagen nicht das Gefühl, dass die stärkste Partei in der Koalition und die sie führende Kanzlerin Herrin des Geschehens ist und den Ton angibt. Störmanöver aus allen Lagern, insbesondere aber vom ambitionierten bayerischen Gesundheitsminister Söder, die die getroffenen Absprachen des Koalitionsvertrages nicht nur hinterfragten, sondern bisweilen als lächerlich erscheinen ließen, geben nicht nur ein menschlich beklemmendes Bild von der Zusammenarbeit in der Koalition ab, sondern lassen auch die fachliche Arbeit bei der Erstellung des Koalitionsvertrages fragwürdig erscheinen. Aber damit nicht genug, wenigstens die sog. Koalitionsräson hätte dann greifen und dazu führen müssen, dass die Koalitionäre bei aller Wichtigkeit des politischen Streits ein nach außen hin geschlossenes Bild abgeben. Eine Koalition, die in einem für die Bevölkerung so wichtigen Punkt stärker bei der eigenen Politik stänkert als die ebenfalls desorientiert anmutende Opposition vermittelt nicht den Eindruck, als dass die gemachten Entwürfe und die angebotenen Lösungen eine hinreichende Halbwertzeit haben können und dass man Antworten für die drängenden Fragen anzubieten hätte.

Was hätte man sich erhofft:

  • Eine Reform der Gesundheitspolitik, die nicht jedes Jahr aufs Neue verändert oder gar gänzlich umgestrickt werden muss und von daher die Chance hat, ihre Wirkung mittelfristig zu entfalten und zum anderen der Bevölkerung die Sicherheit gibt, dass das Thema Gesundheit in den Griff zu bekommen ist. Mit anderen Worten: eine echte Reform, kein Reförmchen und keine Alibi-Reform.

  • Die Anerkennung des Tatbestands, dass Gesundheit nicht wirklich zu budgetieren ist und von daher nach Wegen gesucht werden muss, wie eine gesunde Mischung aus Solidaritätsprinzip und Eigenverantwortung noch soziale Lösungen ermöglicht.

  • Eine inhaltliche Auseinandersetzung, was das Versicherungsprinzip bei immensem technischen Fortschritt, der vielfach beschriebenen demografischen Entwicklung und dem Anspruch auf sehr gute gesundheitliche Versorgung leisten kann und was nicht.


Dass man sich daneben auch versprochen hätte, dass Verwerfungen der letzten Jahre entweder rückgängig gemacht werden und ggf. noch im Raum stehende Vorschläge, die diesen Namen nicht verdienen, eingestampft werden, versteht sich als politisches Tagesgeschäft. Und es wäre auch hilfreich gewesen, wenn Offenheit und Ehrlichkeit in der Debatte möglich wären. Wir erinnern uns noch allzu gut an die Thesen Mißfelders, als er einzelne Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ab einem gewissen Alter infrage stellte. Gewiss waren Diktion und Argumentationsbasis grenzwertig und die Vorschläge einseitig, aber – im übrigen wie bei Sarrazin – der Anstoß zu einer offen zu führenden Diskussion, die daraus hätte erwachsen können, war nicht nur richtig, sondern auch notwendig. Eine Gesellschaft, die in der Analyse erkennt, dass das Gesundheitssystem in seiner heutigen Form kaum zu finanzieren ist, kann auch erkennen, dass dies zu Einschneidungen führen muss.

Hohe Anzahl an Arztbesuchen

Von Politik darf man getrost erwarten, dass sie sich auseinandersetzt mit einer besorgniserregenden Statistik, die besagt, dass die Anzahl der Arztbesuche in Deutschland signifikant höher als in anderen vergleichbaren Ländern ausfällt. Dies als Treiber von Gesundheitskosten in den Mittelpunkt einer kostendämpfenden Politik zu stellen, scheint aber in Deutschland politisch nicht opportun, aber der einzige wahre Ansatzpunkt. Wenn die gesundheitliche Versorgung in Deutschland so gut ist wie man uns versichert und uns versichern lässt (im wahrsten Sinne des Wortes) und der technische Fortschritt höher, zumindest aber gleich hoch ist wie in anderen Ländern, stellt sich die Frage, warum sich dies nicht in einer gesünderen Bevölkerung niederschlägt, die nicht so häufig zum Arzt muss. Kritiker dieser These würden sicher entgegenhalten wollen, dass gerade deshalb die Menschen gesund sind, weil sie zum Arzt gehen, aber dann muss man entweder mit den Kosten, die dadurch verursacht werden leben oder aber ein anderes, ganzheitliches bzw. erweitertes Kostenverständnis Einzug halten. Dann muss errechnet werden, was die überdurchschnittlichen Kosten für Arztbesuche und die daraus resultierenden Kosten in der Arzneimittelversorgung im Nachgang für Kosten sparen helfen, wenn man so will eine gesundheitspolitische Gesamtrechnung aufstellen, in der die spätere Ersparnis die zuvor getätigten Investitionen rechnet und rechtfertigt.

Wenn Suboptimales optimiert wird

Eine Politik, die die Kosten zum Anlass nimmt, diese einzudämmen ohne die Ursache tatsächlich anzugehen und – hier wiederhole ich mich – darauf verzichtet, Anreize zu setzen, die diese Kosten bereits vor ihrer Entstehung eindämmen, muss sich nicht wundern, wenn sie lediglich Suboptimales zu optimieren versucht. Und der Begriff des Anreizes passt auch auf Ärzte und Apotheker, denen durch wirklich jedes Kostendämpfungsgesetz mehr und mehr die Grundlage genommen wurde, den einstmals erlernten Beruf weiter gerne und motiviert anzugehen, denn bei alledem stellt das Betreiben beispielsweise der Apotheke die wirtschaftliche Grundlage für Existenzen dar. Davon abgesehen, dass für Berufsanfänger, die sich entscheiden müssen und wollen, in welchen Berufsfeldern sie arbeiten wollen, ein derart staatlich vorgegebenes System nur dann lukrativ erscheinen kann, wenn man sich darauf verlassen kann – die Beamten machen es uns vor.

Mit Ernennung des Ministers Rösler und den beiden Staatssekretären Widmann-Mauz und Bahr ist der Kanzlerin bzw. der Koalition ein Coup gelungen. Nach der wenig geschmeidigen Ministerin Schmidt/Aachen kam ein studierter Mediziner auf den ranghöchsten Gesundheitsposten in der Republik. Jung, beredt, liberal, ein Hoffnungsträger nicht nur in seiner eigenen Partei. Aber wie verworren die Fragen der Gesundheitspolitik zu klären sind, zeigte sich in den ersten Amtsmonaten, in denen Minister Rösler immer wieder gegen Windmühlen anrannte bzw. sich fast schon vorführen lassen musste. Gut, natürlich war auch nicht alles gut vorbereitet, was eingebracht wurde, aber sein Wirken wurde eher torpediert als gefördert, auch in und aus den eigenen Reihen.

Rabattkultur hat sich verselbstständigt

Die Apotheken sind seitdem nicht wirklich schlauer geworden und nachdem ein leichter Jubel durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Mai 2009 durch deren Reihen ging, war der Ausgang der Bundestagswahl quasi das zweite Geschenk im Jahr 2009. Aber Vorsicht: Seitdem ist nicht wirklich etwas Wichtiges zum Positiven gewendet. Der Versandhandel, der eindeutig eine Ungleichbehandlung in der Abgabe der Arzneimittel darstellt, ist nach wie vor rechtens. Pick-up-Stationen sollten laut Koalitionsvertrag abgeschafft werden, sind aber nach wie vor nicht reglementiert oder verboten und mit den Vorstellungen zur Vergütung des pharmazeutischen Großhandels und dem Wegfall diverser Rabattmöglichkeiten drohen nennenswerte Vergünstigungen für die Apotheken ebenfalls wegzufallen, zwar indirekt aber nicht minder schmerzhaft. Das AMNOG betrifft insbesondere den pharmazeutischen Großhandel, und die Apotheken tun sich wieder mal mit ihrer Herangehensweise keinen Gefallen. Den vermeintlichen Wegfall der Rabatte zu monieren, zeigt nochmals auf, wie sehr sich die Rabattkultur in den letzten Jahren verselbstständigt hat, als allzu oft fehlgeleitetes Instrument des Großhandels, aber auch als selbstverständlich kalkulierter Posten in Apotheken ungeachtet, ob man sich durch das Verhalten den Rabatt verdient hat oder nicht. Denn Rabatte setzen eine Gegenleistung voraus, die honoriert wird und honorierbar ist. Gleichwohl zeigt auch das AMNOG die Kurzatmigkeit der aktuellen Bundesregierung, die sich bedauerlicherweise in diesem Punkt nicht signifikant von den Vorgänger-Regierungen abgrenzt.

Vom großen Wurf weit entfernt

Dies alles vor Augen muss der Gesundheitspolitik nach einem Jahr neuer Regierung ein bescheidenes Testat ausgestellt werden. Von einem großen Wurf ist man weit entfernt, sicher auch deshalb, weil die Verschlimmbesserungen der letzten Jahre, ja Jahrzehnte nicht mit einem Zug in einem lobbygetriebenen System abbaubar sind. Die Koalitionäre sind beim Thema uneins, was die Exekutierung notwendiger Entscheidungen per se verschleppt oder gar nicht möglich macht. Rösler ist bei aller Ambitioniertheit eher blass, denn schillernd, sein Start war eher durchwachsen als stark. Die FDP sucht ihr Profil in Gänze, die CDU respektiert die Ressortzuständigkeiten und die CSU geriert sich als Dauerquerulant. Die SPD mit Frontmann Lauterbach zeigt sich noch weiter von praktikablen Lösungen entfernt als zu Zeiten eigener Ressortzuständigkeiten und die Grünen nimmt man im Kontext Gesundheit ähnlich wenig wahr wie die PDS. Was steht vor diesem Szenario für die Restlegislatur zu erwarten: wenig, was durchaus auch gute Seiten haben kann, denn der Status quo ist für die deutschen Apotheken nicht das Schlechteste, obwohl sich diverse in der Diskussion befindliche Verbesserungen aufdrängen und das Aussitzen in der Regel in Politikverdrossenheit und mangelnden Glauben an ernsthafte Lösungen mündet. Wenn Rösler sich für weitere Aufgaben empfehlen möchte, muss mehr kommen, wenn er sich und den Grundsätzen seiner Partei treu bleiben will, muss er Markt dort forcieren, wo es Not tut und Staat dort einsetzen, wo der Markt keine tolerierbaren Lösungen zustande bringt. Diesem Grundsatz folgend ist der Schutz des deutschen Apothekenwesens eigentlich oberstes Gebot. Möge er daran gemessen werden und sich daran messen lassen.


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte


Ein Interview mit Professor Kaapke finden Sie hier.

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