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Feuilleton
Gewürze – sinnlicher und heilsamer Genuss
"Laß Safran in altem Wein ziehen, reib ihn, damit er dickflüssig wird, und streich ihn mit einer Feder in die Augen", heißt es im Lorscher Arzneibuch. Diese Empfehlung für die Behandlung von Blut in den Augen ist nur eines von über 80 Rezepten in Deutschlands ältestem medizinischen Kompendium, in denen getrocknete Narben von Crocus sativus als Heilmittel erwähnt werden.
Schon in der Antike verwendete man Safran nicht nur als Speisewürze und Färbemittel. Er war auch eine begehrte Arznei. Plinius der Ältere berichtet in seiner "Naturalis Historia", in der er das gesamte naturkundliche Wissen des Altertums zusammengefasst hatte, dass die Gabe von Safran bei Entzündungen insbesondere der Augen, bei Geschwüren des Magens, der Brust und der Nieren sowie bei Husten und Seitenstechen helfe. Auch wurden dem "roten Gold" die Förderung der Trinkfestigkeit sowie eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt.
Im heilkundlichen Schrifttum des Hochmittelalters – so im "Bartholomäus" und im "Deutschen salernitanischen Arzneibuch" – wird Safran nicht mehr erwähnt. Umso größer ist in dieser Zeit die Bedeutung anderer Gewürze, insbesondere des Pfeffers, als Heilmittel. Erst Ende des 13. Jahrhunderts sind im "Arzneibuch" von Ortolf von Baierland wieder Rezepte mit Safran zu finden. Der Nürnberger Wundarzt verordnet in seinem praxisorientierten Werk die kostbare Spezerei bei der Behandlung von Zahnfleischfäule, von Magenerkrankungen auch als Zutat für Augensalben.
Heute noch zählt Safran zu den teuersten Gewürzen weltweit. Als triploide Mutante des auf den ägäischen Inseln und auf Kreta beheimateten Crocus cartwrightianus ist er steril und kann deswegen nur aus Knollen vegetativ vermehrt werden. Für die Gewinnung von einem Gramm Safran werden 80 bis 150 Blüten benötigt; es kostet zwischen vier und 14 Euro.
Gewürze für Küche und Heilkunde
Sind die meisten exotischen Gewürze heute in jedem Lebensmittelmarkt präsent, so blieben sie bis in das 19. Jahrhundert hinein wohlhabenden Genießern vorbehalten, während die gemeine Bevölkerung sich mit heimischen Kräutern begnügte, jedenfalls in Mitteleuropa. In fernen Ländern konnte das durchaus anders sein.
Die ältesten schriftlichen Erwähnungen von Gewürzen als Speisekomponenten wurden in Mesopotamien gefunden. Es handelt sich um Kochrezepte auf drei Keilschrifttafeln aus der Zeit um 1750 v. Chr., aus denen hervorgeht, dass in Babylon Fleisch und Gemüse mit Kümmel, Koriander und Knoblauch, zuweilen aber auch mit Wacholderbeeren und Minze gewürzt wurden.
Eben diese Gewürze durften offenbar auch in keiner ägyptischen Küche fehlen. Mangels archäologischer Funde ist bis heute zwar nicht bekannt, welche Speisen im Reich der Pharaonen auf den Tisch kamen. Grabbeigaben, Reliefinschriften und Papyri belegen indessen, dass am Nil außerdem Dill, Kapern, Kreuzkümmel und Bockshornklee als Speisewürzen geschätzt waren. Pfefferkörner in der Nase der Mumie von Ramses II. weisen darauf hin, dass spätestens seit dem 13. Jh. v. Chr. Pfeffer aus Indien importiert wurde.
Sowohl im Reich der Pharaonen als auch in vielen anderen alten Kulturen bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Nutzung von Gewürzen in der Küche und der Heilkunde. Nur ein Beleg dafür ist der Papyrus Ebers (um 1550 v. Chr.) mit mehr als 800 Rezepten. Unter anderem werden darin Wacholderbeeren als erprobtes Diuretikum sowie der Kreuzkümmel mit seinen krampflösenden, blähungstreibenden und verdauungsfördernden Eigenschaften erwähnt.
AusstellungAusstellungszentrum Lokschuppen, Tel. (0 80 31) 3 65 90 36, Fax 3 65 90 30 Geöffnet: Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Wochenende und Feiertage 10 bis 18 Uhr Begleitbuch zur Ausstellung: 24,95 Euro zzgl. 9,90 Euro Versandkosten |
Zutaten für Parfüms
Schon die Minoer und die Mykener stellten Parfüm mithilfe verschiedener Gewürze her. Auf Zypern förderten Archäologen Keramikgefäße mit Resten von Koriander, Lorbeer, Myrte, Lavendel und Rosmarin zutage, die von etwa 1850 v. Chr. stammen. Auf Samos wiederum fand man in einem der Göttin Hera geweihten Tempel Zimt aus dem 7. Jh. v. Chr. – der früheste Beleg von Zimt in Europa. Später berichtete Plinius d. Ä. über nach Zimt duftende Römerinnen. Neben Zimt, Kardamom und Kalmus waren im alten Rom auch mediterrane Produkte wie Zyperngras, Safran, Majoran und Honig geschätzte Ingredienzien von Parfüms.
Pfefferspeicher im alten Rom
Viele ostasiatischen Gewürze wurden anfangs auf der Seidenstraße gen Westen transportiert und gelangten über Zwischenhändler in den Mittelmeerraum. Durch die Erschließung des Seewegs über das Rote und das Arabische Meer nach Indien im 1. Jh. n. Chr. konnten dann die Zwischenhändler umgangen werden. Nun führte Rom größere Mengen Pfeffer und andere Exotica ein, was einen immensen Preisverfall bewirkte. Zur gleichen Zeit wurden in Rom die ersten "horrea piperataria" – Pfefferspeicher – errichtet. Nur wenig später war das scharfe Gewürz auch in den nördlichen Provinzen des Römischen Reichs bekannt und begehrt.
Die Klassiker Apicius und Dioskurides
Damals verfasste Marcus Gavius Apicius sein Kochbuch "De re coquinaria". Darin empfiehlt er Pfeffer als geschmacksverfeinernde Zutat für 349 Speisen.
Über die medizinischen Verwendungsmöglichkeiten von Piper nigrum schrieb der griechische Arzt und Pharmakognost Pedanios Dioskurides in "De materia medica", das indische Gewürz habe eine "erwärmende, harntreibende und die Verdauung fördernde Kraft". Der "Dioskurides" blieb auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein Standardwerk.
Karl der Große ließ Kräutergärten anlegen
Nachdem die Araber um 640 n. Chr. Ägypten erobert hatten, blockierten sie den Seeweg nach Indien, und Alexandria verlor seine Bedeutung als Umschlagplatz für Gewürze aus Asien. Diese mussten fortan wieder – wie schon Jahrhunderte zuvor – auf der Seidenstraße über viele Zwischenhändler nach Europa transportiert werden. Bis zum ersten Kreuzzug 1096 gab es zwischen Orient und Okzident nur noch wenige Handelsbeziehungen. Folglich wurden in Europa Gewürze wieder ausgesprochen rar und teuer.
Im frühen Mittelalter begannen sich Ordensgemeinschaften – allen voran die Benediktiner – mit dem medizinischen Wissensschatz der Antike und des arabischen Kulturkreises auseinanderzusetzen. Die im 6. Jh. entstandene Benediktinerregel – ob ihr angeblicher Verfasser Benedikt von Nursia gelebt hat, ist umstritten – erhob gemäß dem christlichen Gebot der Barmherzigkeit die Krankenpflege zur wichtigsten Aufgabe der Ordensmitglieder. Andere, später gegründete katholische Ordensgemeinschaften über nahmen die Benediktinerregel.
Zweieinhalb Jahrhunderte später beauftragte Kaiser Karl der Große den Benediktinerabt Ansegis von St. Wandrille, eine Liste mit kultivierbaren Heilpflanzen zusammenzustellen. Danach, um 812, erließ Karl die Landgüterverordnung "Capitulare de villis et curtis imperii", in der er den Domänen und Klöstern das Anpflanzen der empfohlenen Kräuter vorschrieb.
Statussymbole der Reichen
Auch Hildegard von Bingen, die die antike Viersäftelehre mit dem Wissen ihrer Zeit und der Volksmedizin verband, erwähnt in ihren Abhandlungen zahlreiche exotische Gewürze, die das gestörte Gleichgewicht der Körpersäfte wiederherstellen sollten. In den Küchen begüterter Haushalte wurden indessen – wie schon im alten Rom – die Speisen mit Zimt, Gewürznelken, Pfeffer, Muskat und Lorbeer in unvernünftig hohen Dosen abgeschmeckt und selbst die Weine auf den Tafeln mit Gewürzen gemischt. Weil teuer und rar, waren Gewürze in der hochmittelalterlichen Gesellschaft eher Statussymbole denn Geschmacksverfeinerer.
Die Begegnung zwischen Orient und Okzident durch die Kreuzzüge im Hochmittelalter führte in Mitteleuropa zur Verbreitung einer neuen Geschmackskultur. Adelige, die im Morgenland Badehäuser und andere Errungenschaften der arabischen Kultur kennen und schätzen gelernt hatten, begannen nun, sich durch einen feinen Lebensstil bewusst von ihren Untertanen abzugrenzen, und die wohlhabenden Bürger eiferten ihnen nach.
Ein Kilogramm Muskat für sieben Ochsen
Um 1300 machte Marco Polos "Buch der Wunder der Welt" mit Reiseberichten aus Indien und China europaweit Furore. Die "Weltherrschaft" der Mongolen hatte den Handel Europas mit Asien, der 600 Jahre sehr bescheiden gewesen war, neu belebt. Insbesondere durch den Aufschwung der Gewürzimporte gelangte Venedig nun zur Blüte. Aufgrund der stetig zunehmenden Nachfrage stiegen die Preise für Muskat, Nelken, Zimt, Ingwer und Pfeffer ins Maßlose. Nach einer Liste von 1393 entsprach ein Kilogramm Muskatnuss dem Wert von sieben fetten Ochsen. Dokumente aus dem 15. Jahrhundert belegen, dass sich der Pfefferpreis auf dem Weg vom Ursprungsland nach Venedig verdreißigfachte.
Gewürze finden eine neue Heimat …
Deshalb suchte man nach Alternativen, um die begehrten Gewürze möglichst ohne Zwischenhändler aus Asien nach Europa zu transportieren. Kurze Zeit, nachdem Kolumbus in der Absicht, einen westlichen Seeweg nach Indien zu erschließen, die Neue Welt entdeckt hatte, gelangten Vanille und Chili, aber auch Kartoffeln, Tomaten, Kakao und Bohnen über den Atlantik in Europas Küchen. Mit der Umsegelung des "Schwarzen Kontinents" durch Vasco da Gama erschloss sich sechs Jahre später auch ein neuer Handelsweg nach Süd- und Ostasien.
Die europäischen Seemächte versuchten zwar, Handelsmonopole zu errichten, aber selten mit anhaltendem Erfolg. Bereits ein Jahr nach der Entdeckung Amerikas wurde Chili ("Spanischer Pfeffer") auch in Europa angebaut. Zeitgenössischen Berichten zufolge wurde auf Jamaika schon vor 1550 der aus Südostasien stammende Ingwer kultiviert und nach Europa exportiert. Von längerer Dauer war das Muskatnussmonopol der Niederländer, die das heutige Indonesien beherrschten.
… und werden zum allgemeinen Gebrauchsgut
Nach der Auflösung der frühkapitalistischen Handelskompanien und der systematischen Anlage von Plantagen in den Kolonien nahm im 19. Jh. auf dem gesamten Globus das Angebot an "Kolonialwaren", und damit auch an Gewürzen zu, sodass sie allmählich auch für weniger begüterte Haushalte erschwinglich wurden. Der Pfefferstreuer auf dem Esstisch wurde so selbstverständlich wie der Salzstreuer.
In jüngster Zeit hat die Vielfalt der Gewürze in der Küche wieder abgenommen zugunsten von gebrauchsfertigen Gewürzmischungen, Gewürzsaucen, Dressing und dergleichen. In Fertiggerichten haben zudem künstliche Aromastoffe einen Großteil der Gewürze ersetzt – nach Meinung vieler Konsumenten hat sich das nicht positiv auf den Geschmack ausgewirkt.
Reinhard Wylegalla
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