Fortbildung

Individuelle Risikofaktoren erkennen und vorbeugen

"Personalisierte Medizin ist der Versuch, dem richtigen Patienten die richtige Arznei in der richtigen Dosis zum richtigen Zeitpunkt zu verabreichen", so Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Universität Greifswald. In Anbetracht der demografischen Entwicklung wird das zunehmend wichtiger: Es ist ökonomisch nicht vertretbar, einen Arzneistoff bei vielen einzusetzen, obwohl aufgrund des individuellen genetischen Profils nur wenige darauf ansprechen.

Inhaltsverzeichnis: "48. Internationale Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer in Meran"


Heyo K. Kroemer
Foto: DAZ/ck

Das Problem in seiner Tragweite wurde erkannt, denn sogar im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Regierung steht: "Wir ebnen den Weg für eine individualisierte Medizin und damit für Therapien, die wirksamer und verträglicher sind. Dies muss einhergehen mit neuen Konzepten der Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung." Eine individualisierte Medizin könnte dazu beitragen, die knappen Ressourcen optimal einzusetzen. Die individualisierte Therapie mit Arzneimitteln hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Das Wissen um die Bedeutung der Cytochrom-P450 Enzyme bei der Verstoffwechslung von Arzneistoffen hat das Augenmerk auf die diesbezüglichen genetische Ausstattungen gerichtet. Als Beispiel nannte Kroemer die aktuelle Diskussion um die Bioaktivierung von Clopidogrel. Auch in der Onkologie ist ein möglichst genauer und individueller Zuschnitt einer Krebstherapie auf den individuellen Patienten und den jeweiligen Tumor wünschenswert. Ziel sollte es sein, durch eine moderne Diagnostik und dem nachfolgenden effektiven und auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmten Einsatz von Arzneistoffen Therapien kostengünstiger, effizienter und verträglicher für die Patienten zu gestalten.

Community Medicine

Von Interesse ist eine personalisierte Medizin aber auch im Hinblick auf die Prävention von Krankheiten. Da die nordostdeutsche Bevölkerung im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands die geringste Lebenserwartung und ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweist, die Ursachen für diese Unterschiede bislang aber nicht ausreichend untersucht worden sind, wurde in Mecklenburg-Vorpommern eine großangelegte Untersuchung gestartet. Die Study of Health in Pomerania (SHIP) bildet den Kern des Forschungsschwerpunktes Community Medicine der Medizinischen Fakultät in Greifswald. Ein zentrales Ziel der SHIP ist es, den Gesundheitszustand der vorpommerschen Bevölkerung umfassend zu beschreiben und der Hypothese nachzugehen, ob sich diese Bevölkerung risikoreicher verhält als andere Bevölkerungsteile Deutschlands und somit Risikofaktoren für Erkrankungen mit hohem Mortalitätsrisiko in besonderer Weise kumuliert.

Durch landesweite Datenerhebungen wurden in Mecklenburg-Vorpommern Basisdaten zum Gesundheitszustand eines repräsentativen regionalen Bevölkerungsquerschnitts gesammelt. In der Studie werden zufällig ausgewählte Probanden aus der Region Vorpommern in regelmäßigen Abständen medizinisch untersucht. Die Daten werden jetzt mit Analyseverfahren systematisch ausgewertet und sollen Aufschluss über individuelle Unterschiede bei der Entstehung, dem Fortschreiten und der Behandlung von medizinisch und gesundheitspolitisch relevanten Krankheiten und ihrer Risikofaktoren geben können. Zu den wichtigsten untersuchten Erkrankungen gehören u. a.:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Diabetes mellitus
  • Leber- und GallenblasenErkrankungen
  • neurologische Erkrankungen
  • Sucht und Risikoverhalten.

Dabei werden eine Reihe Untersuchungen kostenfrei angeboten: Messung von Gewicht und Länge und Blutdruck, Interview zur persönlichen Lebenssituation und Erkrankungen, Untersuchung des Herzens (EKG, Echokardiografie), Ultraschall der Halsschlagadern, Ultraschall der Schilddrüse, Blut- und Urinprobe sowie zahnärztliche Untersuchung. Darüber hinaus wurden umfangreiche Daten zur familiären und beruflichen Umwelt, zu sozialen Beziehungen und chronischen Erkrankungen, zur Ernährung und zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen erhoben. Die Anwendung standardisierter Verfahren erlaubt den Vergleich der erhobenen Befunde mit anderen Studien und erlaubt somit Rückschlüsse auf regionale Besonderheiten. Möglich ist dies nur durch die Entschlüsselung der humanen DNA und die Fortschritte bei den modernen bildgebenden Verfahren, die einen tiefergehenden Einblick in den Organismus ermöglichen. Es können bis auf molekulare Ebene körpereigene Prozesse beobachtet und nachvollzogen werden. Die Positronen-Emissions-Tomographen machen es mit einem CT oder einem MRT möglich, Stoffwechselprozesse genau lokalisieren zu können. Denn mutierte Zellen weisen immer auch biochemische Veränderungen auf, wie beispielsweise einen veränderten Stoffwechsel oder eine Vermehrung ihrer Oberflächenrezeptoren. Eine Schlüsselstellung nimmt hier die Identifikation neuer Biomarker aus leicht gewinnbaren Biomaterialien ein. Auch da setzt die personalisierte Medizin an. Zum einen sind eigentlich identische Erkrankungen auf molekularer Ebene doch individuell ausgeprägt. Und zum anderen werden Arzneistoffe unterschiedlich verstoffwechselt. Mithilfe molekular-biologischer Analysen können genauere Aussagen beispielsweise über den Verlauf von Tumortherapien getroffen werden, als es gegenwärtig der Fall ist. Die umfassenden Daten von SHIP fliessen in das Ganimed-Programm ein, das an der Universität Greifswald 2009 gestartet wurde. Die Abkürzung steht für Greifswald Approach to Individualized Medicine. Ziel ist es, die genetischen Varianten der Bevölkerung in Beziehung zu einem klinischen Phänotyp zu setzen.

Problem Datenschutz

Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig. Sämtliche Untersuchungen werden pseudonymisiert durchgeführt, d. h. alle Daten werden nach der Erhebung so verschlüsselt, dass ein Rückschluss für Dritte auf die Person unmöglich ist. Es muss der unbefugte und unsachgemäße Zugriff Dritter auf die Personen- und Ergebnisdaten verhindert werden. Die höchste Priorität hat die Verhinderung der Zusammenführung von Personen- und Befunddaten, die durch räumlich und personell getrennte Verwaltung der Daten gesichert ist. Die Teilnehmer können jederzeit ohne Angabe von Gründen ihre Zustimmung zurückziehen. In diesem Fall werden alle Daten aus der Studie gelöscht und die Proben verworfen. Nicht unterschätzt werden darf eine ethische Dimension: Ist eine Individualisierung der Medizin nicht zwangsläufig mit einer genetischen oder biologischen Diskriminierung verbunden? Werden die Versicherungen auf eine mögliche genetische Vorbelastung reagieren?

Apotheker können eine wichtige Rolle spielen

Die Entwicklung einer personalisierten Medizin ist auch für Apotheker in der öffentlichen Apotheke von großem Interesse. Mit sogenannten Metabolomanalysen können mittels spektroskopischer Analysen niedrigmolekulare endogene Metabolite in biologischen Flüssigkeiten wie Urin, Plasma oder Liquor nachgewiesen werden. Der Begriff Metabolom wurde in Analogie zu den Begriffen Genom und Proteom geprägt und leitet sich von Metabolismus ab. Das Metabolom fasst alle charakteristischen Stoffwechseleigenschaften einer Zelle bzw. eines Gewebes zusammen. Das Aufreten der Metabolite ist abhängig von der genetischen Disposition, den Umweltfaktoren, Krankheiten und einer möglichen Arzneimitteltherapie. Metabolomanalysen sind eine schnelle und kostengünstige Methode zur Phänotypisierung und sie unterliegen nicht dem Gendiagnostikgesetz. Damit können sich auch Apotheker hier mit ihrem Wissen und Know-how einbringen.

ck

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