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- DAZ 26/2010
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Arzneimittel und Therapie
"Kein Hinweis auf erhöhte Tumorhäufigkeit"
Von Mannucci et al. wurde aktuell eine Fall-Kontroll-Studie vorgestellt, die klären wollte, ob sich der Insulingebrauch von Typ-2-Diabetikern und Neuauftreten von Tumoren von Typ-2-Diabetikern ohne das Neuauftreten von Tumoren über eine mediane Nachbeobachtung von 76 Monaten unterscheidet [1]. Dabei ging es um die Art als auch um die Dosierung der eingesetzten Insuline.
Dazu wurden 112 Patienten mit Tumoren im Hinblick auf die mittlere Nachbeobachtungsdauer, Alter, Geschlecht und Body Mass Index (BMI) mit 370 Kontrollpatienten verglichen (Grundgesamtheit n = 482). Verbleibende Unterschiede ergaben sich im Hinblick auf eine größere Zahl von Begleiterkrankungen (p = 0,035), niedrigere Laborwerte für HDL- und Gesamtcholesterin (p = 0,031 bzw. 0,029) und eine niedrigere Häufigkeit einer Retinopathie (p = 0,006) bei Patienten mit Tumoren. Unterschiede im Gebrauch von Insulinen ergaben sich nicht.
"Numerisch weniger Tumore"
Im Hinblick auf das durch Mannucci et al. kontrovers diskutierte Insulin Glargin erhielten von den Patienten, die einen Tumor entwickelten, 25,9% dieses Medikament; von den Patienten, die keinen Tumor entwickelten erhielten es 28,4% (p = 0,61), d. h. es traten unter Insulin Glargin im Vergleich zu den anderen Insulinen sogar nummerisch weniger Tumore auf.
Die zweite Analyse war ein Binnenvergleich einer Subgruppe von Patienten (n = 134). So wurde Insulin Glargin in niedrigerer Dosis (n = 29) nur mit Insulin Glargin in höherer Dosis (n = 105) verglichen, wobei sich in der Gruppe mit inzidenten Krebsfällen eine signifikant erhöhte Tagesdosis zeigte (Median 0,24 vs. 0,16 IU/kg · Tag); p = 0,036). Für diesen Binnenvergleich sind aber keine Patientencharakteristika beschrieben, noch wurde für potentielle Unterschiede in den Patientencharakteristika dieser beiden Gruppen adjustiert.
"Willkürlicher Grenzwert"
Nicht präspezifizierte Folgeanalysen wurden dann für Insulin Glargin in der gleichen Subgruppe (n = 134) von Patienten durchgeführt, diese aber anders aufgeteilt: Jetzt wurde eine Niedrig- (n = 107) mit einer Hochdosisgruppe (n = 27) Insulin Glargin verglichen mit einem artifiziellen Grenzwert von 0,3 IU/kg · Tag. Dieser Grenzwert muss willkürlich erscheinen, da an dieser Stelle üblicherweise z. B. zwei Gruppen auf beiden Seiten des Medians miteinander verglichen (50 vs. 50% der Patienten) werden. Die Autoren entschieden sich jedoch ohne Begründung für einen Grenzwert, der von 11,6% der Tumorpatienten und nur 3,8% der Patienten ohne Tumor überschritten wurde (p = 0,002). Wiederum fanden sich keine Angaben zu Patientencharakteristika der beiden distinkten Gruppen. Potenzielle Unterschiede werden auch nicht durch das Matching der Gesamtkohorte behoben, noch wurde ein Matching für die Binnengruppe durchgeführt. Adjustiert wurde aber für Variablen wie die Häufigkeit von Begleiterkrankungen und Metformin-Exposition, die allerdings als Imbalancen nur für die Gesamtkohorte beschrieben wurden. Damit kann z. B. der BMI wieder eine Störgröße sein, die in der vorliegenden Analyse nicht berücksichtigt wurde. Eine sehr viel größere skandinavische Kohortenstudie (n = 114.841, davon 26.286 Patienten mit Insulin Glargin), die auf den BMI adjustieren konnte, zeigte keine Dosis-Abhängigkeit [2]. In der Analyse von Mannucci et al. wird daher nur bestätigt, dass Tumorpatienten dieser Kohorte im Mittel höhere Dosierungen Glargin erhalten hatten aber bestätigen keinen kausalen Zusammenhang.
In einer weiteren Analyse wurde der Grenzwert 0,3 IU/kg*Tag fallen gelassen und die Insulindosis als kontinuierliche Variable behandelt. Hier fanden sich dann keine Unterschiede, die allerdings nach Adjustierung signifikant wurden. Hier ist zu ergänzen, dass für diese Analysen im Unterschied zum Vergleich der Insuline miteinander kein adäquates Matching stattgefunden hat und für die entsprechenden Variablen keine Adjustierung erfolgt ist, so dass BMI wieder als Konfounder Dosis und Krebsinzidenz beeinflusst.
Die Ergebnisse dieser Analysen ergänzen die Daten einer Reihe von aktuellen Arbeiten der letzten zwei Jahre, die ohne Ausnahme keine Erhöhung der Gesamtinzidenz von Tumoren mit Insulin Glargin gefunden haben [2 – 7]. Sie erhärten, aufgrund der oben benannten methodischen Kritik, nach meiner Ansicht nicht die fehleranfällige Analyse von Hemkens zu einer potenziellen Dosis-Abhängigkeit der Tumorinzidenz [3, 8, 9], bei der eine signifikant geringere Krebsinzidenz der Glarginpatienten erst durch einen unangebrachten Adjustierungsschritt im Ergebnis ins Gegenteil verkehrt wurde. Daten zu einer erhöhten Brustkrebsinzidenz ergeben sich darüber hinaus aus diesen Daten ebenfalls nicht. Diese Sichtweise wird durch neue Daten gestützt, die nicht die Verwendung von Insulin, sondern erhöhte HbA1c -Werte mit einer Zunahme der Tumorinzidenz in Verbindung bringt [10]. Darüber hinaus zeigen aktuelle Daten einer um den Faktor 10 größeren Analyse mit Propensity Score Matching der beiden Vergleichsgruppen keinen Hinweis auf einer erhöhte Tumorinzidenz unter Insulin Glargin [11]. Auch die nach einem Jahr aus der skandinavischen Analyse berichtete erhöhte Brustkrebsinzidenz, war nach insgesamt zwei Jahren Nachbeobachtung nicht mehr nachweisbar; das relative Risiko war dagegen sogar im Trend um 10% (RR 0,9) gesenkt [12].
Daher halte ich Insuline und auch explizit Insulin Glargin auf Basis der mir bis heute zur Verfügung stehenden Daten im Hinblick auf die Inzidenz von Tumoren für unbedenklich.
Literatur [1] Mannucci E, Monami M, Balzi D, et al.: Doses of Insulin and Its Analogues and Cancer Occurrence in Insulin-Treated Type 2 Diabetic Patients. Diabetes Care 2010. [2] Jonasson JM, Ljung R, Talback M, Haglund B, Gudbjornsdottir S, Steineck G: Insulin glargine use and short-term incidence of malignancies-a population-based follow-up study in Sweden. Diabetologia 2009; 52: 1745 – 54. [3] Hemkens LG, Grouven U, Bender R, et al.: Risk of malignancies in patients with diabetes treated with human insulin or insulin analogues: a cohort study. Diabetologia 2009; 52: 1732 – 44. [4] Currie CJ, Poole CD, Gale EA: The influence of glucose-lowering therapies on cancer risk in type 2 diabetes. Diabetologia 2009; 52: 1766 –77. [5] Colhoun HM: Use of insulin glargine and cancer incidence in Scotland: a study from the Scottish Diabetes Research Network Epidemiology Group. Diabetologia 2009; 52: 1755 – 65. [6] Rosenstock J, Fonseca V, McGill JB, et al.: Similar risk of malignancy with insulin glargine and neutral protamine Hagedorn (NPH) insulin in patients with type 2 diabetes: findings from a 5 year randomised, open-label study. Diabetologia 2009; 52: 1971 – 3. [7] Home PD, Lagarenne P: Combined randomised controlled trial experience of malignancies in studies using insulin glargine. Diabetologia 2009; 52: 2499 – 506. [8] Pocock SJ, Smeeth L: Insulin glargine and malignancy: an unwarranted alarm. Lancet 2009; 374: 511 – 3. [9] Ehninger G, Schmidt, A. Putting insulin glargine and malignancies into perspective. Oncologist 2009; 14: 1169 – 74. [10] Yang X, Ko GT, So WY, et al.: Associations of hyperglycemia and insulin usage with the risk of cancer in type 2 diabetes: the Hong Kong diabetes registry. Diabetes 2010; 59: 1254 – 60. [11] Chuan LE, Chang CH, Shau WY, Lai MS: No Evidence of Increased Risk of Cancer Associated with Insulin Glargin Use - A Nationwide Propensity Score-Matched Cohort Study. American Diabetes Association Congress 2010. [12] Steineck G: Glargine insulin and malignancies. 10th Annual Rachmiel Levine Diabetes and Obesity Symposium 2010.
Autor
Prof. Dr. Gerhard Ehninger
Medizinische Klinik und Poliklinik I
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Technische Universität Dresden
v Fetscherstraße 74,
01307 Dresden
Stellungnahme von Sanofi AventisDie Fall-Kontroll-Studie von Mannucci et al. ist vergleichsweise klein. Insgesamt wurden 482 Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes (112 Fälle und 370 Kontrollen) untersucht. Es wurden somit deutlich weniger Patienten untersucht, als in den im vergangenen Jahr publizierten großen Kohortenstudien (ca. 300.000 Patienten). Die Rate von Tumorneuerkrankungen in der Untersuchung ist ganz offensichtlich nicht repräsentativ, sie liegt etwa um den Faktor 4 höher als sonst in Europa (hier Inzidenz 1900/100.000 Personen/Jahr, in Europa 500/100.000). Darüber hinaus ist die Verteilung der einzelnen Tumorentitäten höchst ungewöhnlich. Von den 112 Patienten, die im Untersuchungszeitraum eine Tumorerkrankung entwickelt haben, erhielten 29 Patienten Insulin Glargin. Dies entspricht 26%. Bei den Kontrollen haben 105 Patienten Lantus erhalten, dies entspricht 28,4%. Es besteht also kein Unterschied in der Verschreibungshäufigkeit von Lantus zwischen Fällen und Kontrollen. Dieser Fall-Kontroll-Ansatz bestätigt andere Untersuchungen, die zeigen dass eine Therapie mit Insulin Glargin nicht mit einer erhöhten Rate von Tumorneuerkrankungen assoziiert ist. In einer weiteren Analyse wird nunmehr die mittlere Tagesdosis analysiert. Hierbei zeigt sich eine höhere mittlere Dosis von Lantus bei den Fällen verglichen mit den Kontrollen. Die Erfassung von tatsächlich verabreichten Medikamentendosierungen ist in retrospektiven Studien problematisch. Die Autoren weisen in der Diskussion selber explizit auf diese Limitation hin: "Information on treatments was based on drug prescription, rather than output from pharmacies". Bei genauer Durchsicht der Publikation fallen folgende weitere Punkte auf: 1. Die Therapiedauer mit Insulin Glargin zwischen Fällen und Kontrollen ist unterschiedlich: 20 Monate (Fälle) versus 14,5 Monate (Kontrolle). 2. Es wurde nicht nur Insulin Glargin, sondern zusätzlich prandiales Insulin appliziert (über 80%) 3. Die Insulin-Glargin-Patienten erhielten im Beobachtungszeitraum nicht nur Insulin Glargin. 37,9% der Fälle und 23,8% der Kontrollen erhielten auch NPH. Auch in diesem Punkt sind Fälle und Kontrollen somit nicht vergleichbar. Der Fall-Kontroll-Ansatz weist im vorliegenden Fall somit ganz offenkundig erhebliche Limitationen auf. Wir schließen uns daher der Einschätzung der Autoren ausdrücklich an: "We should all be aware that the epidemiological approach cannot provide definitive conclusions on the effect of any pharmacological treatment". Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, 24. Juni 2010 |
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