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Verblisterung – Versorgung mit vielen möglichen Nebenwirkungen

Thomas Müller-Bohn

Die Versorgung multimorbider chronisch Kranker ist eine gewaltige Herausforderung. Mit dem demografischen Wandel wird sie weiter zunehmen. Dies wirft die Frage auf, wie weit Versorgungsabläufe automatisiert werden können und sollen. Für die Arzneimittelversorgung ist zu fragen, ob die Verblisterung eine Hilfe sein kann oder eher einen Umweg schafft. Die Aufgabe ist so groß, dass sich auch Gesundheitsminister Rösler um das Thema sorgt. In einem Gespräch zwischen Apothekern und dem Minister entstand die Idee zu einem Symposium, das die Apothekerkammer Niedersachsen in der vorigen Woche veranstaltete (siehe Bericht ab Seite 54, "Individuelle Neuverblisterung – Königsweg oder Umweg?"). Der Minister war dabei – und mit ihm viele Apotheker und andere Betroffene aus allen Teilen des Gesundheitswesens. Rösler verstand es, sich inhaltlich nicht festzulegen, aber er verwies auf viele offene Fragen. Vielleicht spricht dies für eine gewisse Skepsis. Unabhängig vom Inhalt tat der freundliche, fast schon kollegiale Umgangston gut. Rösler kam nicht als Minister mit vorgefasster Meinung drüberweggeflogen, sondern sprach als Beteiligter des Systems auf Augenhöhe mit anderen Betroffenen. Alle Anwesenden vermieden Hinweise zur Tagespolitik. Doch die positive Stimmung und das gute Einvernehmen lassen hoffen, dass nach der politischen Sommerpause auch konstruktive Gespräche über die anstehenden Neuregelungen möglich sein werden.

Das Symposium überzeugte durch faire und ergebnisorientierte Diskussionen. Obwohl die Verblisterung inzwischen ausgereift sein dürfte, sind viele Bedenken geblieben. Teure Technik, hoher Kontrollaufwand, Verpackungsmüll, Entfremdung des Pflegepersonals von der Arzneimittelversorgung, große Mühen bei Dosisänderungen und Fehlern, Parallelentwicklung von zwei verschiedenen Arzneimittelversorgungssystemen in Heimen und Übermittlungsfehler durch zusätzliche Schnittstellen sind überzeugende Gegenargumente. Auch das Kostenargument überzeugt nicht. Denn die Einsparungen, die bei einer tablettengenauen Abrechnung der Arzneimittel möglich wären, werden durch die Kosten für die Verblisterung wieder ausgeglichen. Diese Rechnung ginge für die Krankenkassen nur auf, wenn die Apotheken die Verblisterung bezahlen würden und selbst auf den Kosten sitzen blieben. Mit wachsendem Geschäftsvolumen wäre das für die Apotheken ein Weg in den Ruin.

So bleibt die Hoffnung auf bessere Compliance im ambulanten Bereich und weniger arzneimittelbezogene Probleme in allen Versorgungsszenarien. Doch das Symposium hat gezeigt, dass dies ein Trugschluss sein dürfte. Denn vor der Verblisterung muss die Medikation aufbereitet werden. Ein solches pharmazeutisches Management in Zusammenarbeit mit Patienten und Pflegern hätte aber mindestens den gleichen Nutzen. Wer so nahe am Patienten ist, braucht das Blistern nicht mehr, folgerte Dr. Martin Thomsen, Geschäftsführer der Apothekerkammer Niedersachsen, in Hannover.

Es wurde viel über mögliche Vor- und Nachteile im praktischen Umgang diskutiert, doch um langfristige Perspektiven ging es erstaunlicherweise nur in einem Vortrag. Dr. Reinhard Hoferichter demonstrierte als Vertreter der forschenden Pharmaindustrie, welche strategischen Folgen das Blistern haben könnte. Für ihn hat es das Potenzial zur Systemveränderung. Blisterzentrum, Versandapotheke und ein pharmazeutischer Dienstleister nach US-amerikanischem Vorbild könnten eine neue Versorgung etablieren – in einem Fremdbesitzsystem und ohne die Apotheke vor Ort. Die Nähe zum Patienten ginge verloren. Es entstünde ein neues Arzneimittelversorgungssystem mit Bulkware statt Fertigarzneimitteln. Angesichts der vielen naheliegenden Alltagsaspekte geriet diese wichtige Warnung in Hannover leider schnell wieder aus dem Blickfeld. Doch neben der kurzfristigen Umsetzung müssen auch die langfristigen Folgen hinterfragt werden. Gerade weil die Verblisterung kurzfristig keinen gesamtwirtschaftlichen Kostenvorteil verspricht, dürften die wahren Anreize anderswo liegen. Die Abkehr vom Fertigarzneimittel ist ein Sprengsatz für das ganze System. Denn Arzneimittelsicherheit, Qualitätssicherung, Pharmakovigilanz, Haftungsrecht und natürlich auch alle sozialversicherungsrechtlichen Aspekte rund um Arzneimittel bauen auf Fertigarzneimitteln auf. Die Verblisterung ist mit wenigen Paragrafen zu regeln, aber die Konsequenzen treffen unzählige Rechtsbereiche. Wir müssten unser ganzes Arzneimittelversorgungssystem neu erfinden. Es ist leicht vorherzusagen, dass die Apotheken darin eine weitaus kleinere Rolle hätten. Die Versorgung würde weit weg vom Patienten organisiert. Das führt dann wieder zu der gesellschaftlichen Frage, ob wir die Pflege künftig aus Rationalisierungsgründen als industriellen Prozess organisieren wollen. Doch wer möchte eines Tages von einem Roboter "gepflegt" werden?


Thomas Müller-Bohn

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