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Die Krankenkassen – aus der Sicht ihres Aufsichtsamts

BONN (tmb). Das Bundesversicherungsamt (BVA) legte in der vorigen Woche seinen Tätigkeitsbericht 2009 vor. Neben Daten zu allen Teilen der Sozialversicherung enthält der Bericht viele Hinweise auf die Umsetzung neuer Regelungen und Anmerkungen des BVA zum angemessenen Umgang mit den Beitragsmitteln. "Das Jahr 2009 hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig die Tätigkeit des Bundesversicherungsamtes für das Funktionieren und die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme ist", erklärte BVA-Präsident Dr. Maximilian Gaßner. Wir haben nachfolgend einige interessante Aspekte aus dem Bereich der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zusammengestellt.

Im Berichtsjahr 2009 erhielt die GKV insgesamt 166,5 Mrd. Euro aus dem Gesundheitsfonds, davon 141,6 Mrd. Euro für Pflichtleistungen, 8,3 Mrd. Euro für Verwaltungskosten, 1,2 Mrd. Euro für Satzungs- und Ermessensleistungen und 871 Mio. Euro für Disease-Management-Programme (DMP). Der Gesundheitsfonds selbst weist 38,5 Mio. Euro Verwaltungskosten aus, davon entfallen 35,9 Mio. Euro auf die Einzugskosten-Vergütung für die Minijob-Zentrale der Knappschaft. Ende 2009 waren 5.511.688 Versicherte in 13.313 DMP eingeschrieben, durch Mehrfachteilnahmen waren dies 6.214.138 Einschreibungen. Die Programmkostenpauschale für einen in ein DMP eingeschriebenen Versicherten beträgt für 2010 wiederum 180 Euro. Im Jahr 2009 wurden 1400 neue DMP zugelassen. Für 2011 und 2012 rechnet das BVA wieder mit einem Anstieg auf das deutlich höhere Niveau der Anträge von 2006 und 2007.

Im Berichtsjahr war die finanzielle Situation bei zwei bundesunmittelbaren Krankenkassen so gut, dass sie eine Prämie an ihre Mitglieder ausschütten konnten. Abhängig von der Beitragshöhe erhielten die Mitglieder Prämien zwischen 25 und 60 Euro. Dagegen erhob eine Betriebskrankenkasse ab dem 1. Juli 2009 einen monatlichen Zusatzbeitrag von 8 Euro.

Fusionen als politische Größe

2009 verzeichnete das BVA 25 Krankenkassenfusionen. Doch gegenwärtig sei eher eine nachlassende Fusionsbereitschaft zu beobachten, so das BVA. Die Refinanzierung über Zusatzbeiträge und die Wirkung auf das Wechselverhalten ließen viele Vorstände zögern. Das finanzielle Risiko erscheine vielen zu hoch. Doch bereits jetzt sind mehr als 90 Prozent der Versicherten bei 36 Krankenkassen versichert. BVA-Präsident Gaßner erklärt dazu im Vorwort des Tätigkeitsberichts: "Aus Sicht der Aufsichtsbehörde geht es hierbei nicht nur um ökonomische und damit wettbewerbliche Größen, sondern auch um politische Einflussgrößen, also um eine zentrale rechtsstaatliche Frage. Insoweit ist der Bericht auch ein Anstoß an den Gesetzgeber, sich über die wettbewerbliche und machtpolitische Sollgröße der Krankenkassenlandschaft Gedanken zu machen."

Nötige Abgrenzung von der PKV

Das BVA beschäftigte sich erheblich mit der hausarztzentrierten Versorgung, bei der viele Rechtsunsicherheiten zu klären waren. Problematisch erschien auch die Abgrenzung zwischen PKV und GKV. Die früher klare Abgrenzung beginne insbesondere durch gezielte Werbemaßnahmen der Versicherungen zu verschwimmen. Dies könne zu Verwechslungsgefahren führen, so das BVA. Außerdem fordert das BVA eine strenge Kostenteilung. "Das Sponsern von Marketingmaßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durch private Versicherungsunternehmen ist nicht zulässig", so das BVA. Mittel aus der PKV würden einzelnen Kassen unzulässige Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die GKV dürfe auch Personal und Geschäftsstellen der PKV nicht kostenfrei nutzen. Außerdem kritisierte das BVA die Rabattgewährung für GKV-Versicherte durch privatwirtschaftliche Unternehmen wie Fahrschulen, Blumengeschäfte oder Fast-Food-Restaurants. Es könne nicht Aufgabe einer GKV sein, den Versicherten solche Vorteile zu verschaffen. Das BVA habe die Kassen daher im Juli 2009 darauf aufmerksam gemacht, dass die Bewerbung solcher Vergünstigungen unzulässig sei.

Kein beliebiger Wettbewerb um Mitglieder

"Der Wettbewerb der Krankenkassen um Mitglieder gleicht nicht dem Wettbewerb des Teppichhändlers um den Käufer. Folglich unterliegt die Mitgliederwerbung der Krankenkassen nicht ihrer freien Disposition", so Gaßner im Vorwort des Tätigkeitsberichts. Seit einigen Jahren bestehe ein Trend, die Mitgliederwerbung auf gewerbliche Vermittler zu übertragen. Daher werde fortwährend über die Aufwandsentschädigung für externe Werber diskutiert. Für 2009 sahen die Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden eine Obergrenze von 75,60 Euro pro geworbenes Mitglied vor. Dies schließt nach Darstellung des BVA alle Tätigkeiten des Werbers ein. Doch hätten mehrere Krankenkassen die Auffassung vertreten, sie könnten darüber hinaus Fahrt- und Verwaltungskosten übernehmen. Besondere Partner hätten damit bis zu 150 Euro für jedes neue Mitglied erhalten. Eine Krankenkasse habe sogar Prämien an eigene Mitarbeiter gezahlt. Ein Vertriebsmitarbeiter habe so 2007 zusätzlich zu seinem Gehalt 40.000 Euro für neue Mitgliedschaften erzielt. Einige Kassen hätten außerdem ergänzende "Betreuungsvergütungen" gezahlt, bei denen externe Vermittler einen zusätzlichen pauschalen Betrag für jeden Monat erhalten, den der Versicherte bei der Krankenkasse bleibt. Besonders Krankenkassen ohne nennenswertes Geschäftsstellennetz würden versuchen, die Aufwandsentschädigungen außerhalb des gedeckelten Wettbewerbsbudgets, z. B. bei den Personalkosten, zu verbuchen. Dies sei jedoch aufgrund eindeutiger rechtlicher Rahmenbedingungen unzulässig, so das BVA. Die diesbezüglich eingeleiteten Aufsichtsverfahren würden 2010 fortgeführt.

Hilfsmittelverträge

Im Zusammenhang mit den neuen Regeln zur Hilfsmittelbelieferung waren einige Rechtsfragen zu klären. Das BVA habe unter Verweis auf die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit bestätigt, dass den Leistungserbringern ein Anspruch auf Vertragsverhandlungen zustehe, weil sie nur mit entsprechenden Verträgen ihrer Tätigkeit nachgehen könnten. Dazu stellt das BVA fest: "Die Krankenkassen nutzen zum Teil ihre Marktmacht aus, um für sie vorteilhafte Vertragsregelungen durchzusetzen. Es wird von den Leistungserbringern zusehends gefordert, ihre Kostenvoranschläge (nur noch) auf elektronischem Wege in einem vorgegebenen Datenformat einzureichen oder sich zertifizieren zu lassen." Diesen Aspekt führt das BVA in seinem Bericht allerdings nicht weiter aus, sondern geht anschließend auf die Möglichkeit zum Beitritt zu bestehenden Verträgen ein, die in § 127 Absatz 2a SGB V geregelt ist. Deshalb hätten interessierte Leistungserbringer ein Informationsrecht über bestehende Verträge. "Diesem Recht kamen die Krankenkassen anfangs teilweise nur zögerlich nach. Sie machten beispielsweise die Versendung von Vertragsinhalten von der Abgabe einer Geheimhaltungserklärung mit hoher Strafandrohung abhängig oder erhoben Kopiergebühren", so das BVA. Erst auf Intervention des BVA sei den Leistungserbringern ein vorbehaltloser Informationsanspruch eingeräumt worden.

Rabattverträge

Ein weiteres großes Thema in der Aufsichtsarbeit bilden die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen. Dabei ging es zunächst um die mittlerweile weitgehend geklärten Fragen zur Ausschreibungspflicht. Um sich einen Überblick zu verschaffen, ließ sich das BVA etwa 200 Rabattverträge vorlegen. Als vorläufiges Ergebnis konstatiert das Amt drei "Evolutionsstufen" der Verträge:

1. "klassische Rabattverträge" über Generika oder patentgeschützte Arzneimittel kurz vor Patentablauf,

2. "Morbi-RSA-Ausgaben bzw. Zuweisungsoptimierung" durch Rabattverträge bei patentgeschützten Arzneimitteln,

3. "Individualverträge".

Letztere können am Input ausgerichtet sein, beispielsweise über eine Kopfpauschale, oder an einem Prozess orientiert sein, beispielsweise Pay-for-Performance-Verträge, bei denen die Zahlungen vom Behandlungserfolg abhängen. Das BVA konstatiert steigendes Interesse an Verträgen über patentgeschützte Arzneimittel.

Die von 2006 bis 2008 vorrangig abgeschlossenen Sortimentsverträge betrachtet das BVA als vergaberechtswidrig. Das BVA werde ggf. unter Einsatz aufsichtsrechtlicher Mittel darauf drängen, nicht ordnungsgemäß ausgeschriebene Verträge zu beenden. Das betreffe auch Rabattverträge, deren Laufzeit vier Jahre überschreite. Darüber hinaus sind Erweiterungs- und Aufnahmeklauseln in Rabattverträgen aus der Sicht des BVA inakzeptabel. Dabei geht es um die nachträgliche Aufnahme später eingeführter Arzneimittel in Rabattverträge.

Ergebnisse von Prüfungen

Zur Tätigkeit des BVA gehören auch Prüfungen bei einzelnen Krankenkassen. Der Prüfdienst Krankenversicherung (PDK) konnte im Berichtsjahr auf sein zwanzigjähriges Bestehen zurückblicken. Im Jahr 2009 wurden 244 Prüfungen durchgeführt, davon 121 zum Risikostrukturausgleich. In einem Fall seien bei der turnusmäßigen Prüfung einer Krankenkasse erhebliche finanzielle Unregelmäßigkeiten im Bereich der Kooperations- und Werbeverträge aufgedeckt worden. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren habe zu erheblichen Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden geführt.

Ein gängiges Thema für den Prüfdienst sind beispielsweise Outsourcing-Entscheidungen. Dabei geht es um die Wirtschaftlichkeit, aber auch um die Aufgabenwahrnehmung durch den Dienstleister. "Die dabei gewonnenen Erkenntnisse veranlassten in einigen Fällen die Kassen, das Vertragsverhältnis mit dem Dienstleister einer kritischen Würdigung zu unterziehen bzw. zu beenden", heißt es im Bericht. Insbesondere schnell wachsende Kassen könnten die Vollstreckung von Beitragsrückständen nicht mehr allein bewältigen. Ein damit beauftragter Dienstleister habe von vielen Kassen sämtliche Rückstandsfälle ungeachtet ihres Bearbeitungsstandes übernommen. Dabei seien enorme Arbeitsrückstände aufgelaufen, die nicht wieder in den Griff zu bekommen waren, weil zu wenig Personal eingesetzt worden sei. Der Dienstleister habe seine Tätigkeit zum Jahresende 2009 eingestellt.

Bei einer Betriebskrankenkasse bemängelte der Prüfdienst die Wirtschaftlichkeit eines externen Callcenters, das die Erreichbarkeit rund um die Uhr sichern sollte. Da mehr als 40 Prozent der Anrufer, die im Callcenter landeten, später wieder anrufen wollten, sofort auflegten oder sich verwählt hatten, würden 20.000 Euro jährlich faktisch ergebnislos "verpuffen", so das BVA. Zudem sei der Auftrag an das Callcenter nicht öffentlich ausgeschrieben worden.

Fehlende Ausschreibungen

Auch sonst sind Auftragsvergabe und Ausschreibungsverfahren wichtige Themen der Prüfungen. Ein "Dauerbrenner" sei das Verfahren einzelner Kassen bei der Schätzung des Auftragswertes für Leistungen mit längeren Laufzeiten. Denn bis zu einem Wert von 100.000 Euro können beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergaben stattfinden. Das BVA geht in seinem Bericht besonders auf Betriebskrankenkassen ein, die sich noch immer der Einkaufsabteilungen ihrer früheren Trägerunternehmen bedienen. Dies werde ohne förmliche Vergabe als wirtschaftliche Mittelverwendung betrachtet. In einem Einzelfall habe es dazu sogar eine Arbeitsanweisung gegeben, die nach Beratung durch den Prüfdienst geändert werden sollte. Zudem beklagt der BVA: "Wirtschaftlichkeitsberechnungen (vg. § 69 Abs. 3 SGB IV) hinsichtlich der richtigen Auswahl der Beschaffungsalternativen Miete, Leasing oder Kauf finden nicht überall im erforderlichen Umfang statt."

Leistungen ohne Rechtsgrundlage

Ein weiteres Themenfeld der Prüfungen betrifft die Leistungen der Krankenkassen. Dabei geht es insbesondere um Leistungen im Ausland und die Kostenübernahme für Leistungen ohne Rechtsgrundlage. Etliche Krankenkassen hätten Kosten für neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden übernommen, die von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen sind, z. B. für die hyperbare Sauerstofftherapie, die radiale Stoßwellentherapie, die pulsierende Magnetfeldtherapie oder die Misteltherapie. Auch zur Vorsorge würden viele Krankenkassen Maßnahmen bezuschussen, die weder nach der eigenen Satzung noch nach dem Leitfaden Prävention förderungswürdig seien, z. B. Babyschwimmen, Fastenwochen, Freizeitreisen oder Beiträge für Sportvereine oder Fitnesszentren. Einige Kassen hätten Kurse zur Primärprävention sogar mehrmals im gleichen Kalenderjahr finanziert, obwohl diese eigentlich dazu befähigen sollten, die erlernten Übungen anschließend selbstständig anzuwenden.

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