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Analytik
Rasterelektronenmikroskopie
Bereits 1937 entwickelte und baute Manfred von Ardenne (1907 – 1997) das erste Rasterelektronenmikroskop (REM); das erste kommerzielle REM wurde 1965 von Cambridge Instruments in den Handel gebracht. Heute teilen sich den Markt eine Handvoll Anbieter, darunter CamScan, Hitachi, Jeol und Leo (Zeiss).
Aufbau und Funktionsweise eines Rasterelektronenmikroskops
Jedes Rasterelektronenmikroskop besitzt einen Vakuumraum und eine Elektronenquelle. Im einfachsten Fall werden die Elektronen
von einer beheizten Wolframkathode (6 V) emittiert,
durch den Wehneltzylinder (ca. 100 V) fokussiert und
mit einer als Anode geschalteten Lochblende (10 bis 50 kV) beschleunigt (Beschleunigungsanode; je höher die Spannung, desto größer die Beschleunigung).
Der Elektronenstrahl wird durch magnetische Linsen stark verkleinert; der Durchmesser beträgt nur 1 bis 10 nm (zum Vergleich: Atom 0,04 bis 0,27 nm). Mithilfe veränderlicher magnetischer Felder (Ablenkspulen) wird der Elektronenstrahl so gelenkt, dass er die Oberfläche der Probe zeilenweise abtastet (Rasterfläche von 100 × 100 nm bis einige mm2). Dabei registrieren verschiedene Detektoren die durch die Wechselwirkungen zwischen dem Elektronenstrahl und der Probe verursachten Effekte und bilden sie auf einem nachleuchtenden Monitor ab.
Da der Elektronenstrahl in gleicher Geschwindigkeit über die Probe läuft wie der Schreibstrahl über den Monitor, entsteht schon allein durch die von Punkt zu Punkt unterschiedliche Intensität der Wechselwirkungen ein Bild. Bei modernen, mit digitalen Bildspeichern ausgestatteten Geräten werden zur Rauschverminderung mehrere Bilder übereinander gelegt. Auf diese Weise verschwindet auch der früher für das REM typische, von oben nach unten durch das Monitorbild laufende helle Streifen.
Das Auflösungsvermögen des REM hängt von der Wellenlänge (d. h. Energie und Geschwindigkeit) der Elektronen, die auf die Probe treffen, ab. Je kleiner die Wellenlänge, desto höher die Auflösung. Viele – vor allem organische – Proben halten aber dieser energiereichen Strahlung nicht Stand und verbrennen. Ein kurzer Abstand zwischen dem "Objektiv" und der Probe verbessert die Auflösung, verschlechtert aber die Tiefenschärfe.
Wechselwirkungen zwischen Elektronenstrahl und Probe
Die Elektronen des Elektronenstrahls dringen in Abhängigkeit von der gewählten Beschleunigungsspannung und der Zusammensetzung der Probe unterschiedlich tief in die Probe ein. Sie heißen Primärelektronen (PE) und können in vielfältiger Weise mit den Atomen der Probe wechselwirken, wobei folgende Phänomene entstehen (Abb. 2 und 3):
Rückstreuelektronen (RE),
Sekundärelektronen (SE),
Auger-Elektronen,
charakteristische Röntgenstrahlung,
Röntgenbremsstrahlung,
Lumineszenzerscheinungen.
Die räumliche Verteilung dieser Phänomene in der Probe zeigt eine charakteristische Birnenform. Die Eindringtiefe des Elektronenstrahles (= Informationstiefe) hängt nicht nur von der Beschleunigungsspannung, sondern natürlich auch von der Zusammensetzung der Probenoberfläche ab; hier ist die Elektronendichte der Atome, die mit den Ordnungszahlen der chemischen Elemente korreliert, entscheidend.
Das von den Atomkernen der Probe ausgehende elektrische Feld kann die Flugbahn der eindringenden PE beeinflussen, d. h. den Elektronenstrahl streuen (elastische Streuung); dabei verlieren die PE nur wenig Energie und können bis zu 100 nm tief in die Probe eindringen. Nach der Wechselwirkung mit mehreren Atomkernen (Mehrfachstreuung) verlässt ein Teil der PE die Probe in fast alle Richtungen und breitet sich außerhalb der Probe aufgrund der hohen Energie (> 10 keV) weitgehend gradlinig aus; daher weisen RE-Bilder die für sie typischen Schlagschatten auf. Von der Saugspannung eines SE-Detektors (s. u.) werden RE kaum beeinflusst.
Wechselwirkungen der PE mit den Elektronenhüllen der Atome führen zur unelastischen Streuung des Elektronenstrahls. Da die PE dabei einen höheren Energieverlust erleiden, können sie höchstens 50 nm tief in die Probe eindringen. Elektronen, die nach Mehrfachstreuung mit einer Energie von weniger als 50 eV aus der Probe austreten, bezeichnet man als SE. Sie können mithilfe einer relativ kleinen Saugspannung in Richtung eines geeigneten Detektors abgelenkt werden. SE-Bilder sind die am häufigsten verwendeten Abbildungen in der Pharmazeutischen Technologie. Man erkennt sie an der typischen Überstrahlung von Kanten und Linien (Kanteneffekt).
Die PE können auch mit den Elektronen der Atome zusammenstoßen und einzelne Elektronen aus der Atomhülle "herausschießen", sodass die getroffenen Atome ionisiert werden. Erfolgt der Elektronenverlust in einer inneren Schale, wird die entstandene Lücke durch Elektronen äußerer Schalen aufgefüllt und wegen der Energiedifferenz zwischen den beteiligten Schalen Röntgenstrahlung emittiert. Die jeweilige Energiedifferenz hängt von den beteiligten Elektronenschalen ab und ist für jedes chemische Element charakteristisch. Damit ist es möglich, durch die Bestimmung der Wellenlänge (wellenlängendispersive Röntgenspektroskopie, WDS) oder der Energie der Röntgenstrahlung (energiedispersive Röntgenspektroskopie, EDS) Rückschlüsse auf die chemischen Elemente zu ziehen. Aufgrund der einfacheren Bauart und Handhabung werden Elektronenmikroskope zumeist mit einem EDS ausgestattet.
Nicht jedes aus einer inneren Schale herausgeschossene Elektron führt zur Emission von charakteristischer Röntgenstrahlung. Vor allem bei Elementen mit kleiner Ordnungszahl beobachtet man, dass die bei "Nachrutschen" des Elektrons frei werdende Energie auf ein anderes Elektron übertragen wird, das darauf das ionisierte Atom verlässt; es heißt Auger-Elektron.
Werden die PE durch Wechselwirkung mit dem elektrischen Feld der Atome (Coulombfeld) abgebremst, wird ihre kinetische Energie ganz oder teilweise in elektromagnetische Strahlung (Röntgenbremsstrahlung) umgewandelt, deren Bereich von Null bis zur Energie der PE (also maximal 50 kV) reicht.
Probenvorbereitung
Das größte Problem bei der Probenvorbereitung bereitet die Probenziehung, denn nur wenige Partikel, Tabletten oder Dragees müssen eine ganze zu untersuchende Charge repräsentieren. Hat man die Probe gezogen, müssen die zu untersuchenden Partikel zunächst mit einer elektrisch leitenden, dünnen Schicht überzogen werden, damit im Elektronenmikroskop der ungehinderte Abfluss der Elektronen von der Probe gewährleistet ist. Andernfalls lädt sich das zu untersuchende Objekt auf, und es kommt zu erheblichen Bildstörungen. Als geeignet haben sich vor allen Gold- oder Graphitüberzüge erwiesen, die über ein als Kathodenzerstäubung oder Sputtern bezeichnetes Verfahren auf die Proben aufgebracht werden.
Das Sputtern kann folgendermaßen ablaufen (Abb. 4). Argongas wird in eine Feinvakuumkammer geleitet und dort in einem starken elektrischen Feld ionisiert. Die Argonionen werden elektromagnetisch in Richtung der aus Gold bestehenden Kathode beschleunigt und schlagen aus ihr mehr oder weniger kleine Goldstücke heraus, die sich im ganzen Raum verteilen und die Probe mit einer feinen Goldschicht überziehen. Bei diesem Verfahren können zahlreiche Artefakte entstehen, die die spätere Beurteilung der Probe erschweren. Wird die Goldschicht zu dick aufgetragen, überdeckt sie die feinen Oberflächenstrukturen, eine zu dünne Schicht führt – insbesondere bei größeren Partikeln – zur elektrischen Aufladung und damit zu Bildfehlern. Vor jeder Interpretation von Feinstrukturen sollte man sich mit der Größe und Form der vom verwendeten Sputtercoater erzeugten "Goldfladen" vertraut machen. Abbildung 5 zeigt in der Bildmitte neben den typischen, auf die Goldstruktur zurückzuführenden Oberflächenstrukturen eine Kontamination. Diese Art von Artefakt entsteht dadurch, dass der Elektronenstrahl einen Teil der Probe zersetzt; die Zersetzungsprodukte führen (örtlich begrenzt) zu einer schlechteren Leitfähigkeit und damit zu einem schlechteren Bildkontrast.
Ein weiteres mögliches Problem ist Sauerstoff im Argongas, der während des Sputterns Teile der Probe oxidiert, also verbrennt. Einige Substanzen zersetzen sich zudem im Feinvakuum (z. B. ASS, Hydrogencarbonate). Die kurzzeitige Temperaturerhöhung macht es schwierig, Substanzen mit niedrigem Schmelzpunkt, z. B. Magnesiumstearat, fehlerfrei zu überziehen.
Graphitüberzüge werden vor allem dann verwendet, wenn die Probe mithilfe des EDS untersucht werden soll. Eine Goldschicht würde in diesem Fall viele Signale von Elementen mit kleiner Ordnungszahl überdecken. Durch die "elektronenweichere" Graphitschicht hingegen "schaut man hindurch". Die erhaltenen SE-Bilder sind aber aufgrund der schlechteren Leitfähigkeit kontrastärmer.
Wasserhaltige organische Proben müssen in einem aufwendigen Verfahren (Kritische-Punkt-Trocknung) formerhaltend getrocknet und mit KMnO4 oder OsO4 fixiert werden.
Anwendungsbeispiele
SE-Bilder
Die in der Rasterelektronenmikroskopie am häufigsten angefertigten SE-Bilder ermöglichen bei der Herstellung und Entwicklung fester Arzneiformen eine schnelle Beurteilung der Struktur und der zu erwartenden mechanischen Stabilität. Beispielsweise ist Dextrose eine Substanz, die nach dem Verpressen sehr stark zum Deckeln (engl. caping) neigt; dabei spaltet die Tablette schichtweise auf, verursacht z. B. durch Lufteinschlüsse, mangelnde Bindekräfte innerhalb der Tablette oder zu hohe Presskräfte (Abb. 6).
Die Abbildung 7 stellt die REM-Bilder von Sorbit-Lutschtabletten, die bei unterschiedlichen Presskräften hergestellt wurden, vergleichend nebeneinander. Wer sich noch an sein Praktikum in Pharmazeutischer Technologie erinnern kann, weiß, dass sich aus Sorbit bei niedrigen Presskräften matt schimmernde, bei hohen Presskräften sehr harte, porzellanartig glänzende Tabletten herstellen lassen. Das liegt daran, dass ab einem bestimmten Druck die einzelnen Sorbitkörner zu Sorbitnadeln umgewandelt werden. Dies zeigen die REM-Bilder sehr deutlich.
Die Hilfsstoffe Sorbit und Kartoffelstärke verhalten sich beim Verpressen sehr unterschiedlich. Während das gesinterte Sorbit in der durch den Tablettierprozess vorgegebenen Form verbleibt, verhalten sich die Stärkekörnchen wie elastische Gummikugeln. Nach der Druckentlastung dehnen sie sich meistens wieder aus, eine formschlüssige Bindung mit den benachbarten Partikeln kommt kaum zustande (Abb. 8). Im Gegenteil: Durch die Wiederausdehnung der Stärkekörner entstehen um diese herum tiefe Risse im Gefüge der Tablette. Durch diese Beobachtung lässt sich auf einfache Weise erklären, warum Tabletten aus reiner Stärke zumeist instabil sind und warum die Wirkung von Stärke als Sprengmittel ab einer bestimmten Konzentration wieder abnimmt. Setzt man zu viel Stärke ein, sind in einer Tablette so viele Hohlräume und Poren vorhanden, dass die quellende Stärke diese ausfüllt und nicht den zum Zerfall notwendigen Druck aufbaut.
Hohlräume können auch durch die hydrolytische Zersetzung des Wirkstoffs entstehen, z. B. bei ASS-Tabletten. Durch die Einwirkung von Wasser, das in der Tablette durch ungenügende Trocknung während der Herstellung bereits enthalten oder aus der Umgebung aufgenommen worden sein kann, zersetzt sich der Wirkstoff und hinterlässt Hohlräume im Tablettengefüge (Abb. 9). Auch die Freisetzung eines Wirkstoffes (z. B. Theophyllin) aus einer Matrixtablette (Extrudette, amorphe Stärke) lässt sich im REM-Bild gut nachweisen (Abb. 10). Sprühgetrocknete Produkte lassen sich schnell an ihrer typischen Kugelform erkennen (Abb. 11).
SE-Bilder und EDS-Analyse
Die Kombination von EDS und REM ist ein Standardverfahren zum Nachweis von Asbest (Abb. 12). Insbesondere die Abgrenzung zu Glasfasern kann hier Probleme bereiten. Weiter zu unterscheiden ist der gebundene Asbest, von dem eine weit geringere Gefahr ausgeht als von den freien Fasern. Da Asbest ein Mg-haltiges Schichtsilicat ist, zeigt das Röntgenspektrum typische Magnesium- und Siliciumsignale. Einige Asbestarten zeigen zusätzlich ein Eisensignal.
Bis zu mehreren Stunden dauert die punktgenaue Zuordnung der von der Probe ausgehenden charakteristischen Röntgenstrahlung, das "Mapping". Die Abbildung 13 zeigt das SE-Bild eines typischen Ionengemisches aus dem Praktikum "Qualitative Analyse". Das EDS-System erlaubt nicht nur die Identifizierung der beteiligten Ionen, sondern durch Kombination der einzelnen Bilder erhält man auch die genaue Zuordnung zu den einzelnen Kristallen.
Zusammenfassung
Die Rasterelektronenmikroskopie ermöglicht eine schnelle Beurteilung des Gefüges fester Arzneiformen. Mit Mengenmessverfahren bestimmte Partikelgrößenverteilungen sind auf einfache Weise zu kontrollieren, Kristallmodifikationen können einfach unterschieden werden.
Mit den heute üblichen Standarddetektoren für PE und SE in Kombination mit einem EDS ist es möglich, Element- oder Stoffverteilungen an der Probenoberfläche einfach und vergleichsweise schnell zu bestimmen; so kann auf nasschemische Analysen oft verzichtet werden.
Quellen [1] Colliex C, Kohl H. Elektronenmikroskopie, eine anwendungsbezogene Einführung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2008. [2] Rennert P, Schmiedel H, Weißmantel C. Kleine Enzyklopädie, Physik, 2. Aufl. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1988, S. 527. [3] Haas U. Physik für Pharmazeuten und Mediziner, 6. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2002, S. 504 – 507.
Weiterführende Literatur Fleger S, Heckman J, Klomparens K. Elektronenmikroskopie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995. Hunger H-J, Baumgartl S. Werkstoffanalytische Verfahren. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1995, Kapitel 8: Rasterelektronenmikroskopie und Elektronenstrahlmikroanalyse, S. 280 – 314. Jörg F. Präparative und mikroskopische Verfahren in der Materialprüfung. ecomed Verlagsgesellschaft, Landsberg 1991, Kapitel V2: Das Rasterelektronenmikroskop in der Materialprüfung, S. 253 – 300. Reimer L. Elektronenmikroskopische Untersuchungs- und Präparationsmethoden, 2. Aufl. Springer-Verlag, Berlin 1967.
Autor
PD Dr. Hubert Rein, Pharmazeutisches Institut, Pharmazeutische Technologie, Gerhard-Domagk-Straße 3, 53121 Bonn
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