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Heftige Kritik an Plänen zur Nutzenbewertung

BERLIN (ks). Die Pläne der schwarz-gelben Regierungskoalition zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts waren Thema der diesjährigen Herbsttagung des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) am 18. September in Berlin. Im Mittelpunkt standen dabei insbesondere die vorgesehenen Änderungen bei der Nutzenbewertung. Als Referenten geladen waren Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik Bremen, Wolfgang Kaesbach vom GKV-Spitzenverband und Sebastian Hofmann, beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie für Gesundheitspolitik zuständig.

Thomas Schulz vom VDPP-Vorstand zeigte zunächst die Position des VDPP auf. Einige Ansätze des Arzneimittelmarkt-neuordnungsgesetzes (AMNOG) hätten durchaus Potenzial. So sei es positiv, dass die Preisgestaltung überhaupt angegangen werde. "Bislang war Deutschland das Eldorado für Arzneimittelfirmen", so Schulz. Auch die Pläne für die schnelle Nutzenbewertung und die Veröffentlichung aller Studien seien prinzipiell gut. Doch wenn man ins Detail geht, mehrt sich die Kritik des VDPP. So moniert der Verband, dass die frühe Nutzenbewertung ausschließlich auf Basis von Herstellerangaben erfolgen soll. Auf Unverständnis trifft auch der Plan, dass die Kosten-Nutzenbewertung nur noch nach einem Schiedsstellenspruch beantragt werden soll. Als Forderungen des VDPP an die Politik nannte Schulz die Einführung einer Positivliste für Arzneimittel sowie der Vierten Hürde. Zudem dürfe das Sachleistungsprinzip nicht ausgehöhlt werden – Stichwort: Mehrkostenregelung. Nicht zuletzt müsse es eine umfassende Zuständigkeit der Sozialgerichte zur Durchsetzung von Ansprüchen der Versorgung und Finanzierung geben.

Festschreibung des Apothekenabschlags fehlt

Wolfgang Kaesbach, Leiter der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband, übte ebenfalls deutliche Kritik an den christlich-liberalen Gesetzen und Gesetzentwürfen zur Arzneimittelversorgung. "Nicht zu erschließen" sei, dass man bei dem bereits zum 1. August eingeführten Preismoratorium den gleichen Fehler begangen habe, der schon beim Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) aus dem Jahr 2006 korrigiert werden musste: Die Ermöglichung der Preisschaukel.

Was das AMNOG betrifft, so vermisst Kaesbach eine Festschreibung des gesetzlichen Apothekenabschlags auf 2,30 Euro. Diese Forderung des GKV-Spitzenverbandes hatte die Koalition allerdings bewusst nicht aufgenommen. "Wenn das so weitergeht, sind wir bald bei einem Abschlag von null Euro angekommen", ärgert sich Kaesbach. In Zukunft müsse man den Apotheken für die Arzneimittelabgabe vermutlich noch etwas dazu geben. Auch sonst missfällt Kaesbach, was sich der Gesetzgeber in Sachen (Kosten-)Nutzenbewertung und Erstattungspreise ausgedacht hat. Nach wie vor würden die Arzneimittelpreise nicht angegangen – es gehe lediglich um Rabatte auf den Listenpreis neuer Arzneimittel mit Zusatznutzen, die dann zu Erstattungspreisen führten.

Dass für nicht patentgeschützte Arzneimittel mit Festbetrag keine Nutzenbewertungen vorgesehen sind, ist Kaesbach ebenfalls ein Dorn im Auge: "Auch die Ausgaben für ein preisgünstiges Arzneimittel ohne Nutzen sind rausgeschmissenes Geld." Zudem beklagt auch er den Bedeutungsverlust der Kosten-Nutzenbewertung. Sie dürfe nicht nur bei gescheiterten Verhandlungen eingeleitet werden, sondern müsse gleich auf der schnellen Nutzenbewertung aufsetzen, damit sie zur Verfügung steht, wenn über die Erstattungspreise verhandelt wird. Aus Kaesbachs Sicht wäre es letztlich besser, wenn es eine saatlich legitimierte Preisfestsetzung gäbe.

Evidenzbasierte Medizin wird begraben

Durch die Änderungsanträge habe sich der Kabinettsentwurf zum AMNOG sogar noch verschlimmert, klagt der Kassen-Apotheker weiter. Auf besondere Kritik stößt dabei das Vorhaben, dass das Nähere zur Nutzenbewertung nun per Rechtsverordnung festgelegt werden soll. Hierdurch werde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entmachtet und in die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen eingegriffen. "Damit hat die evidenzbasierte Medizin ein sechsjähriges Intermezzo erlebt und wird wieder begraben", sagte Kaesbach.

Glaeske: "Ich bin sehr pessimistisch"

Auch Glaeske hat wenig übrig für das AMNOG. Es sei eine "ziemliche Katastrophe" – gerade im Hinblick auf die Nutzen- und Kosten-Nutzenbewertung. Er sieht insbesondere für onkologische Arzneimittel sowie Biologicals die Kosten rascher in die Höhe schnellen als Nutzenbewertungen vorliegen können. Aus Glaeskes Sicht ist es unmöglich, Nutzenbewertungen aufgrund von Zulassungstudien vorzunehmen: "Schon aus wissenschaftlichen Gründen kann eine Zulassungsstudie keine Nutzenstudie sein." Sie könnten "höchstens vorläufige Hinweise auf Möglichkeiten" geben. Nötig sei ein echtes "Horizon Scanning System", wie man es etwa aus Schottland kenne. Hier verschaffe man sich bereits ein bis zwei Jahre vor der Zulassung einen Überlick über Daten der Phasen II und III. Es gebe eine hohe Kooperation mit dem Hersteller und am Ende stünde eine "kontrollierte" Einführung des neuen Arzneimittels.

Auch die ehrgeizige Fristenregelung für den Weg zum Erstattungspreis von einem Jahr bzw. 15 Monaten, wenn die Schiedsstelle angerufen wird, sieht Glaeske kritisch. Über den proklamierten Nutzen neuer Arzneimittel lasse sich in dieser ersten Phase nicht sagen – dies zeigten Beispiele wie Lipobay oder Vioxx. Der "Königsweg" wäre für Glaeske noch immer die Vierte Hürde. Die jetzt vorgesehene Verhandlungslösung könne man nach dem Motto "es ist einen Versuch wert" beginnen – optimistisch ist Glaeske allerdings nicht, für ihn ist es nicht mehr als ein Experiment.

Die Apotheker forderte Glaeske auf, sich öfter kritisch zu Wort zu melden. So etwa zu den nach wie vor problematischen Me-Too Präparaten. Zudem würde er sich über mehr Hinweise freuen, was alles bei Rabattverträgen schief läuft.

Verhandlungslösung nur für kleinstmögliche Nische

Wenngleich der schwarz-gelben Regierung vorgeworfen wird, ihr Gesetzentwurf trage die Handschrift der Pharmaindustrie, hat man beim BPI einiges zu bemängeln. Sebastian Hofmann verteidigte allerdings die Entscheidung, das Verfahren für die Nutzenbewertung durch eine Rechtsverordnung zu regeln: "Was ist so schlimm daran, wenn die Regelung eine strengere demokratische Legitimierung hat?". Dass zumindest im ersten Jahr nach Markteinführung noch eine freie Herstellerpreisbindung bestehen bleiben soll, ist für ihn ebenfalls alternativlos, wenn man wolle, dass Innovationen schnell auf den Markt kommen. Immerhin würde die freie Preisbildung durch die Neuregelung von zehn Jahren auf ein Jahr abgeschmolzen. Was die Verhandlungen über Erstattungspreise betrifft, so zeigte sich Hofmann irritiert, dass der Gesetzgeber diese auf die "kleinstmögliche Nische" beschränke: die neuen Arzneimittel mit Zusatznutzen. Der BPI sei hier "mutiger" gewesen: "Wir hätten über alle patentgeschützten Arzneimittel verhandelt" – allerdings sahen die BPI-Vorschläge vor, dass für die Verhandlungen bis zu fünf Jahre Zeit sind.

Problematisch ist aus Sicht des BPI zudem, dass der G-BA nach der Zulassung festlege, mit welchem anderen Arzneimittel er ein neues Präparat im Hinblick auf seinen Nutzen vergleichen will. Es sei "unfair und nicht umsetzbar", wenn ein Hersteller bei Zulassungsstudien nicht wisse, mit wem er später verglichen werde, sagte Hofmann. Der BPI fordere daher, dass der späterer Komperator der Zulassungsstudie entspreche. Weiterhin sprach sich Hofmann dafür aus, dass Nutzenbewertungen für alle Arzneimittel möglich sein sollten, also auch solche mit Festbetrag. So sollten Hersteller beispielsweise auch für bewährte Wirkstoffe mit neuen Indikationen Nutzenbewertungen anstoßen können.

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VDPP und VDÄÄ: Transparenz gefordert

DAZ 2009, Nr. 51, S. 47

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