Arzneimittel und Therapie

Innovative Krebsmedikamente bis ins hohe Alter?

Zwei Drittel der Krebspatienten sind bereits im Rentenalter, wenn sie von ihrer Krebserkrankung erfahren. Infolge der weiter steigenden Lebenserwartung, aber auch dank der Fortschritte in der Krebstherapie, steigt die Zahl der Krebspatienten kontinuierlich an. Ist damit die stille Rationierung innovativer Behandlungsansätze bei älteren Menschen unausweichlich? Oder droht gar der Kollaps des Gesundheitssystems, das die weiter steigenden Kosten nicht mehr zu bewältigen vermag? Fragen, die von Experten bei einem Hintergrundgespräch diskutiert wurden.

Die Diagnose Krebs wird bei Männern im Mittel im 69. Lebensjahr, bei Frauen im 68. Lebensjahr gestellt. Das verdeutlicht bereits ein Dilemma, in dem sich die Onkologie derzeit befindet: Es erkranken vorwiegend ältere Menschen an Krebs, was infolge des demografischen Wandels zugleich bedeutet, dass Inzidenz und Prävalenz stetig weiter steigen werden.

Auf der anderen Seite aber hat die Krebsforschung in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Das schlägt sich in besseren Heilungschancen nieder, aber auch darin, dass oftmals zwar keine Heilung erzielt wird, die Überlebenszeiten der Patienten durch die Behandlung aber deutlich verlängert werden. Nicht selten ist auf internationalen wie auch nationalen Kongressen schon zu hören, dass die Krebserkrankung bei einigen Tumoren bereits auf dem besten Weg ist, zu einer chronischen Erkrankung zu werden.

Alter nicht mit hohen Kosten gleichsetzen

Längere Überlebenszeiten bei steigenden Patientenzahlen und nicht zuletzt bei einer Behandlung mit innovativen und damit zwangsläufig teuren Medikamenten – das stellt unser Gesundheitswesen derzeit vor enorme Herausforderungen, so das Fazit bei einem Hintergrundgespräch, zu dem die Roche Pharma AG nach Köln eingeladen hatte. Es steht damit zu befürchten, dass künftig längst nicht mehr alle Patienten die bestmögliche Therapie werden erhalten können und dass vor allem die älteren Menschen das Nachsehen haben werden.

Bei der Diskussion um die Kosten im Gesundheitswesen speziell bei älteren und alten Menschen darf allerdings nach Prof. Dr. Ursula Lehr, Altersforscherin aus Bonn und ehemalige Bundesgesundheitsministerin, nicht übersehen werden, dass nicht das Alter per se für hohe Krankheitskosten steht. Diese entstehen unabhängig vom Alter des Patienten erst in der Nähe des Todes, berichtete Lehr. "Über Jahrzehnte kosten Versicherte sehr wenig, im letzten Lebensjahr aber schießen die Kosten in aller Regel in die Höhe", erklärte die Gerontologin in Köln.

Übersehen wird bei der öffentlichen Diskussion nach Lehr oft, dass medizinischer Fortschritt keinesfalls zwangsläufig mit höheren Ausgaben für die Krankenkassen verbunden ist. "Das belegen die stetig sinkenden Verweilzeiten in den Kliniken", so Lehr. Teuer sind Fortschritte aber, wenn es primär nicht gelingt, Krankheiten zu heilen, wenn sich aber die Sterblichkeit senken lässt, jedoch hierzu eine lebenslange Behandlung notwendig ist, eine Entwicklung also, wie sie sich derzeit in der Onkologie vollzieht. Ganz anders wird das aussehen, wenn sich – wie es beispielsweise bei der Tuberkulose der Fall war – durch weitere Fortschritte dann künftig doch Heilungen erwirken lassen. "Warum sollte eine solche Entwicklung nicht auch in der Krebstherapie zu realisieren sein?", fragte Lehr.

Altersgrenze für Innovationen ethisch nicht vertretbar

Ethisch nicht zu vertreten ist aus ihrer Sicht, – und darin waren die Anwesenden sich unisono einig – dass bestimmten Patientengruppen effektive Behandlungsoptionen bei Krebserkrankungen vorenthalten werden oder gar mehr oder weniger offen eine Altersgrenze für bestimmte Therapieformen formuliert wird. "Denn es zählt für die Therapie nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter", so Lehr.

Bestimmt wird dieses laut Dr. Friedrich Overkamp, Recklinghausen, im Wesentlichen durch Komorbiditäten, die unter Umständen die Tumortherapie erschweren. Der niedergelassene Onkologe beklagte dabei wesentliche Forschungsdefizite. So ist nicht eindeutig bekannt, ob und inwiefern älteren und alten Krebspatienten infolge ihres kalendarischen Alters tatsächlich Versorgungsnachteile entstehen. "Es gibt bislang keine Untersuchungen, die diese Thematik konkret geklärt haben", mahnte der Onkologe.

Nur zögerlich kommt zudem die Entwicklung in Gang, ältere Patienten in klinische Studien einzubeziehen. Bis vor Kurzem war hingegen bei den Einschlusskriterien mit 65 Jahren Schluss, was zur Folge hat, dass wenig über die Wirkungen und Nebenwirkungen der Arzneimittel bei älteren Krebspatienten bekannt ist. Hinzu kommen nach Overkamp oft falsche Vorstellungen über die weitere Lebenserwartung älterer Patienten. So hat ein 65-Jähriger heutzutage durchaus noch eine Lebenserwartung von 20 und mehr Jahren, so dass ihm keinesfalls eine effektive Therapie verwehrt werden kann. Mit dem Blick eines jungen Arztes betrachtet aber steht der Rentner schon mit einem Bein an der Todesschwelle und leicht schleicht sich der Gedanke ein, eine hocheffektive und damit nebenwirkungsträchtige Chemotherapie sei möglicherweise nicht mehr zu vertreten.

Altersspezifische Studien fehlen noch

Wichtiger als die Jahreszahl, die das Alter wiedergibt, ist nach Overkamp bei den Therapieentscheidungen das geriatrische Assessment, das die körperliche Fitness des Betroffenen wiedergibt und damit auch die Frage klärt, was diesem an Therapie zuzumuten ist. Denn nicht das Alter, sondern der Funktionsstatus der Organe ist entscheidend für die Auswahl und Dosierung der verordneten Arzneimittel. "Die Grenzen zwischen jung und alt verwischen, wir müssen vielmehr die Grenzen zwischen körperlich mobil und gebrechlich als Kriterium heranziehen", forderte der Onkologe.

Wie eine optimale Krebstherapie bei älteren und alten Menschen aussehen kann und sollte, diese Frage lässt sich nach Overkamp nicht pauschal beantworten, sondern muss durch prospektive Studien geklärt werden. Die Hämatologen haben sich nach seinen Worten bereits auf den Weg gemacht und altersspezifische Therapiestudien mit spezieller Nutzenbewertung begonnen. Das ist bei alten Patienten ebenso wichtig wie bei jungen. Für Patienten mit soliden Tumoren gibt es solche Studien bislang jedoch kaum.

Quelle Prof. Dr. Ursula Lehr, Bonn; Dr. Friedrich Overkamp, Recklinghausen; Prof. Dr. Bernd Brüggejürgen, Berlin: Hintergrundgespräch "Krebs – Herausforderung des demografischen Wandels", Köln, 28. September 2010, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

 


Medizinjournalistin Christine Vetter

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