DAZ aktuell

Wasem verteidigt Honorarsteigerungen bei Ärzten

STUTTGART (bw). Der Vorsitzende des Erweiterten Bewertungsausschusses, der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Wasem, verteidigte in einem Interview mit der Zeitschrift "Der Spiegel" die Entscheidung, den niedergelassenen Ärzten im kommenden Jahr deutlich mehr Honorar zu gewähren.
Angemessen ist laut Jürgen Wasem ein ärztliches Einkommen von etwas über 100.000 Euro.

Foto: Uni Essen

Laut Spiegel erhöht sich der durchschnittliche Verdienst eines Arztes nach Abzug aller Praxiskosten durch die Beschlüsse von heute 13.666 Euro auf rund 14.200 Euro pro Monat. Wasem verteidigte diesen Anstieg damit, dass ein Einkommen von etwas über 100.000 Euro im Jahr für einen niedergelassenen Arzt angemessen sei. Allerdings werde als Berechnungsgrundlage nur das Honorar, das von der GKV gezahlt wird, herangezogen: "Wir argumentieren in der Modellwelt jenes Arztes, der nur gesetzlich Versicherte behandelt." Dass es diesen Arzt in der Realität nicht gibt, musste Wasem auf Nachfragen zugeben.

Laut Wasem werden die Honorare der niedergelassenen Ärzte im nächsten Jahr um rund eine Milliarde steigen. Es gebe eine lineare Steigerung um 175 Millionen Euro, die gleichmäßig allen Ärzten zugute kommen. Der größte Anteil, ca. 500 Millionen, wird regional unterschiedlich verteilt, "um Asymmetrien auszugleichen". Davon werden vor allem Praxen in Nordrhein, Westfalen-Lippe, Baden-Württemberg und Bayern profitieren, welche bei der letzten Honorarerhöhung im vergangenen Jahr unterdurchschnittlich berücksichtigt worden waren. Dazu kommen 300 bis 400 Millionen Euro für "Leistungen außerhalb des Budgets". Damit sind z. B. Vorsorgeuntersuchungen gemeint.

Nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbandes stiegen die Honorare, die die gesetzlichen Krankenkassen den Ärzten zur Versorgung ihrer Patienten zahlen, seit 1998 um rund 43 Prozent. Demgegenüber stieg die Grundlohnsumme, aus der sich die Einnahmen der Gesetzlichen Krankversicherung ergeben, im selben Zeitraum nur um gut 15 Prozent. Die Einkommensentwicklung der Gesamtbevölkerung habe aber bei der Entscheidung, für die Honorarerhöhung zu stimmen, keine Rolle gespielt, so Wasem. Genauso wenig wie die Ertragssituation in anderen Freien Berufen: Diese sei für ihn als Vorsitzenden kein Kriterium. Einzig das Gehalt, das Oberärzte mit einer bestimmten Tätigkeit und Berufserfahrung erzielten, sei neben der Modellrechnung, wie viel Einkommen mit GKV-Versicherten erzielt werde, berücksichtigt worden.

Wasem verwies auf das vereinbarte Stillschweigen über die Verhandlung und lehnte einen Kommentar über die Vorwürfe, die beschlossenen Honorarsteigerungen seien eine klare Entscheidung gegen die Interessen der Beitragszahler, ab. Auch zu den Honorarsteigerungen in Höhe von insgesamt rund drei Milliarden Euro, die die niedergelassenen Ärzte 2009 erzielten, wollte er sich nicht äußern. Allerdings sagte Wasem auf die Frage, ob nicht auch "sehr viel weniger" hätte beschlossen werden können: "So wie man auch sehr viel mehr hätte beschließen können."

Der Erweiterte Bewertungsausschuss tritt zusammen, wenn der Bewertungsausschuss, der paritätisch aus Vertretern des Spitzenverbandes Bund der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) besteht, zu keiner einvernehmlichen Lösung über den sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab (das Vergütungssystem für die gesetzlich Versicherten) kommt. Dann wird der Bewertungsausschuss um drei Mitglieder erweitert, von denen eines von der GKV und eines von der KBV benannt wird. Der unparteiische Vorsitzende, dessen Stimme in einer Pattsituation entscheidet, wird einvernehmlich bestimmt. Seit 2007 ist Jürgen Wasem Vorsitzender des Erweiterten Bewertungsausschusses.



Kommentar

Ein gar nicht so "unerfreuliches Interview"


"Ein unerfreuliches Interview" war das Spiegel-Gespräch mit Jürgen Wasem überschrieben, denn ein solches hatte es der Vorsitzende des Erweiterten Bundesausschusses genannt. Dabei war es eher interessant als unerfreulich. Denn Herr Wasem sagte ganz offen, dass die Honorare der niedergelassenen Ärzte so berechnet werden, als ob die Ärzte nur GKV-Versicherte behandeln würden. Die tatsächlichen Zahlen interessieren gar nicht: "Es ist nicht unsere [des Erweiterten Bundesausschusses, d. Verf.] Aufgabe, zu prüfen, ob das durchschnittliche Einkommen des Arztes zu hoch ist oder nicht. Wir argumentieren in der Modellwelt jenes Arztes, der nur gesetzlich Versicherte behandelt." Und in dieser Modellwelt soll "ein Arzt, der 50 Stunden in der Woche gesetzlich Versicherte behandelt, ein Einkommen von etwas über 100.000 Euro im Jahr haben".

Und in der Logik des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems muss das tatsächlich so sein: ein Arzt darf nicht wirtschaftlich darauf angewiesen sein, auch Patienten zu behandeln, die nicht in diesem System sind. Oder gar darauf, Patienten zu unnötigen, aber privat zu zahlenden Untersuchungen oder Behandlungen zu drängen.

Wenn die Krankenkassen bei den Ärzten diese Argumentation als schlüssig akzeptieren, dann muss der Grundsatz aber auch für Apotheker gelten: eine Apotheke muss wirtschaftlich tragfähig sein, auch wenn sie nur Erträge aus GKV-Rezepten hätte.

Das Gegenargument, dass der Apotheker ja nicht nur an GKV-Rezepten verdiene, zählt laut Wasem nicht. Auf die Einlassung, dass jeder Arzt – neben den Privatpatienten – auch an "freiwilligen Untersuchungen" verdiene, sagte er: "Ja klar, das durchschnittliche Einkommen eines Arztes liegt natürlich über dem Betrag, der bei der Modellrechnung herauskommt." Das habe die GKV aber nicht zu interessieren.

Hoffen wir also gemeinsam, dass unsere Standesvertreter bei den nächsten Verhandlungen über Einsparungen den Kassenvertretern und Gesundheitspolitikern die Argumentation von Herrn Wasem nahe bringen können: Das tatsächliche Einkommen, der tatsächliche Ertrag einer Praxis oder einer Apotheke ist völlig unerheblich; man muss von der Versorgung der gesetzlich Versicherten, zu der man gesetzlich verpflichtet ist, leben können – und nicht nur gerade eben die Kosten decken. 100.000 Euro per anno dürfen es schon sein.


Benjamin Wessinger

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.