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- DAZ 46/2010
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Fortbildung
Wie bekommt man den Wirkstoff in das Kind?
Ein häufiger Grund ist das Fehlen einer kindgerechten Darreichungsform. Einzeldosierte feste Zubereitungen wie Tabletten oder Kapseln müssen häufig erst in die Kinderdosis umgewandelt werden. Das Teilen von Tabletten ist jedoch oft schwierig und fehlerbehaftet, in einigen Fällen (z. B. magensaftresistente und retardierte Arzneiformen) kann es gefährlich werden. Kinder unter sechs Jahren können häufig Tabletten und deren Bruchstücke nicht schlucken. Ideale kindgerechte Arzneiformen
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ermöglichen eine möglichst hohe Bioverfügbarkeit des Arzneistoffs trotz der physiologischen Besonderheiten von Kindern,
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enthalten toxikologisch unbedenkliche Hilfsstoffe für die jeweilige Altersgruppe,
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weisen organoleptische Eigenschaften auf, die bei Kindern nicht zur Ablehnung führen,
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enthalten eine kindgerechte Einzeldosis oder ermöglichen die bequeme Entnahme einer Einzeldosis aus einem Mehrdosenbehältnis,
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sind bequem und sicher zu verabreichen,
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ermöglichen die Anwendung des Arzneimittels ohne soziokulturelle Stigmatisierung,
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sind elterngerecht.
Die Unbedenklichkeit des Arzneistoffs kann nur im Rahmen der klinischen Entwicklung belegt werden. Aber auch Hilfsstoffe können für Kinder ein toxikologisches Risiko darstellen. Benzylalkohol und Propylenglykol sind die beiden Hilfsstoffe mit der höchsten akuten Toxizität bei der Verwendung üblicher Mengen. Beide können in den ersten Lebensmonaten nicht ausreichend metabolisiert werden. Da die Substanzen und die daraus entstehenden Aldehyde die Blut-Hirn-Schranke überwinden, kann es zu Krampfanfällen und im schlimmsten Fall sogar zum Tod kommen.
Die Mehrzahl der in der Pädiatrie verwendeten Arzneimittel ist nach Einschätzung von Breitkreutz nicht kindgerecht. Am besten geeignet sind flüssige Zubereitungen, gefolgt von Multiple-unit- und Single-unit-Formen. Die Vorteile flüssiger Arzneiformen liegen in der frei wählbaren Dosierung, der guten Schluckbarkeit und Mischbarkeit mit der Nahrung. Von Nachteil können der Geschmack, bedenkliche Hilfsstoffe und die Stabilität des Arzneistoffs sein. Auch Applikationshilfsmittel werden oft kritisiert. Vor allem bei Oralia, die als Lösung oder Suspension verabreicht werden, hat der Apotheker die Verantwortung unerwünschte Wirkungen zu verhindern, indem er die Eltern über die korrekte Art und Weise der Verabreichung aufklärt. Viele der Packung beiliegenden Dosierbecher und -löffel ermöglichen leider häufig keine ausreichend genaue Dosierung und überfordern die Eltern. Orale Dosierspritzen oder Dosiertuben sind besser geeignet, aber häufig teurer. Bei peroralen Arzneiformen müssen vor allem die physiologischen Besonderheiten im Gastrointestinaltrakt berücksichtigt werden. So ist bei der Verabreichung von Arzneizubereitungen an Neugeborene und Kleinkinder zu beachten, dass sich die pH-Werte in der Mundhöhle und im Magen gegenüber denen eines Erwachsenen erheblich unterscheiden. Bei der Geburt und in der anschließenden Stillphase liegt der pH-Wert der Magenflüssigkeit bei ca. 5 bis 7, also eher im neutralen, nicht im sauren Bereich. Magensaftresistente Arzneizubereitungen verfehlen bei diesen Kindern das Ziel. Durch die Ernährung mit Muttermilch ist der pH-Wert auch im Mundraum signifikant erhöht, so dass säurelabile Arzneistoffe sich schnell zersetzen können und speichelresistente Zubereitungen vorzeitig den Arzneistoff freisetzen. Empfohlen werden können hier multipartikuläre Systeme (Multiple-unit-Formen) wie Pellets, Pellets in Kapseln, Tabletten oder Strohhalmen sowie Mikro- bzw. Minitabletten und Bukkaltabletten. Vorteile der Pellets und modernen Mikro- bzw. Minitabletten sind neben hoher Stabilität von Arzneistoff und Arzneimittel, hoher Dosierungsgenauigkeit auch die Möglichkeiten kontrollierter Arzneistofffreisetzung. Kritisch sieht Breitkreutz die Entwicklung in den USA: Hier werden für Kinder und Jugendliche spezielle Arzneiformen wie Schmelztabletten, mukoadhäsive Filme oder Lollis entwickelt, die im Drugstore oder sogar im Automaten erhältlich sind. Bei der Entwicklung kindgerechter Arzneiformen sollte man zwar auf die Bedürfnisse und geschmacklichen Vorlieben der Kinder Rücksicht nehmen, die Grenze Arznei- und Genussmittel darf aber nicht verwischen.
ck
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