Ernährung aktuell

Säuglingsmilchnahrung bald noch näher am "Original"

Die beste Ernährungsweise für Kinder in den ersten sechs Lebensmonaten ist Muttermilch. Für Kinder, die nicht gestillt werden können, gibt es heute eine breite Palette an Muttermilchersatznahrung. Sie kommt allerdings nur annähernd an das "Original" heran. So fehlten bislang in der Muttermilch enthaltene Oligosaccharide, da diese sich nur schwer nachbauen lassen. Nun ist es jedoch gelungen, zumindest das anteilmäßig wichtigste Oligosaccharid im großen Stil herzustellen.
So nah wie möglich versucht man Muttermilchersatznahrung an das Original anzugleichen. Bislang gelingt dies nur teilweise. Oligosaccharide in großen Mengen industriell herstellen zu können, ist daher eine wichtige Verbesserung der Situation.
Foto: Ketchum GmbH

Schon an der Wende des vorigen Jahrhunderts beobachtete man, dass bei gestillten Kindern die Keimbesiedlung des Darmtraktes vorwiegend aus Bifidusbakterien besteht. Bei sogenannten Flaschenkindern dagegen fand man eine wesentlich ungünstigere Zusammensetzung der Darmflora mit vorwiegend pathogenen Keimen. Mitte der 1950er Jahre gelang dann der Nachweis von Oligosacchariden in Frauenmilch als Grund für diese Unterschiede. Inzwischen kennt man bis zu 130 Oligosaccharide, die teilweise fucosyliert und/oder sialyliert sind. Die Konzentrationen einzelner Komponenten wie der Lacto-N-Tetraose und der beiden Lacto-N-Fucopentaosen I und II schwanken zwischen 0,5 und 2 Gramm pro Liter Milch. Da der Gesamtgehalt zwischen 3 bis 6 Gramm pro Liter liegt, muss man sie zu den Hauptmilchinhaltsstoffen zählen.

Wichtig für das Immunsystem

Neuere Studien zeigen, dass Oligosacchariden aus Milch neben der bifidogenen Wirkung auch eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem und ein Schutz gegen bakterielle und virale Infektionen zugeschrieben werden kann. Wahrscheinlich sind die Oligosaccharide der Frauenmilch Hemmstoffe für die Anhaftung von Bakterien und Viren an Epithelzellen. Damit verhindern sie womöglich den ersten Schritt eines Infektionsvorgangs. Denkbar ist, dass die Oligosaccharide als lösliche Rezeptoranaloga zu Kohlenhydratstrukturen auf Epithelzellen fungieren, die die Krankheitserreger gewissermaßen "abfangen" und binden, bevor sie zu den Zellstrukturen gelangen. Dann wird der Keim mit dem Rest der Abfallstoffe einfach über den Darm ausgeschieden.

Seit Jahren versuchen Forscher und Unternehmen, die Wirkung der Muttermilch zu imitieren und die Oligosaccharide nachzubauen. Doch leider sind diese Moleküle so kompliziert, dass sie sich bisher nicht künstlich erzeugen, sondern nur aus Frauenmilch gewinnen ließen. Ein Gramm davon kostet 1300 bis 3000 Euro. Wegen dieser Kosten und der Gefahr einer Übertragung von Aids- und Hepatitis-Viren wurden solche Oligosaccharide bisher nur für Forschungszwecke eingesetzt.

Industrielle Herstellung möglich

Seit Neuestem jedoch gelingt zumindest die Produktion des bedeutenden Zuckers, der Fucosyllactose, die 40 Prozent der Milch-Oligosaccharide darstellt. Die Methode bedient sich rekombinanter Enzyme von speziellen Stämmen der Bakterien E. coli. und Helicobacter pylori. Produziert wird der Zucker inzwischen schon im industriellen Maßstab von der Jennewein Biotechnologie GmbH in Rheinbreitbach. Vorerst wird das Produkt nur Herstellern von Babynahrung angeboten, doch dabei muss es nicht bleiben. Auch für alle anderen Menschen mit schwachem Immunsystem, etwa nach Chemotherapie oder im Alter, sind die Wirkungen der Fucosyllactose segensreich. Das wie einfacher Puderzucker aussehende Pulver lässt sich prinzipiell auch in Müsliriegel oder Brot einbacken, in Joghurts, Pausensnacks oder Seniorennahrung einrühren.

Literatur: Albermann, Ch., Piepersberg,W., Wehmeier, U. F.: Synthesis of the milk oligosaccharide 2‘-fucosyllactose using recombinant bacterial enzymes. Carbohydrate Res. 2001; 334 (2): 97 –103. Kunz, C., Rudloff, S.: Strukturelle und funktionelle Aspekte von Oligosacchariden in Frauenmilch. Zeitschrift für Ernährungswissenschaft 1996; 35 (1): 1996:22 – 31. S. Kutter: Süßer Schutz. Wirtschaftswoche 42, 2009.

 


Autorin:  

Apothekerin Andrea Lubliner

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