Gesundheitspolitik

Novitas BKK rudert zurück: Mehrheit der BtM-Rezepte korrekt

Protestwelle der Apotheker gegen Novitas BKK

Berlin (lk). Die Protestwelle von Apothekern gegen die Überprüfung von 60.000 BtM-Rezepten und damit verbundene Retaxationen durch die Novitas BKK zeigt offenbar Wirkung: Am vergangenen Donnerstag ruderte die Novitas BKK zurück und bemühte sich um eine Entschärfung des Konfliktes. Am Tag zuvor hatte der Vorsitzende des Hamburger Apothekervereins, Dr. Jörn Graue, in einem Brief an Novitas BKK-Chef Ernst Butz gegen das Vorgehen protestiert und ihn aufgefordert, "diesem Vorgehen Einhalt zu gebieten".

In einer Presseerklärung räumte die Krankenkasse daraufhin überzogene Retaxationen ein und kündigte an, das Geld sofort zurückzuzahlen. Zudem zeigte die Novitas BKK plötzlich Verständnis für die heftigen Reaktionen vieler Apotheker auf die angekündigte Prüfaktion: "Zumindest verständlich ist der Einwand von Apothekern, sie würden im Grunde für die Versäumnisse der Ärzte belangt, die die betreffenden Rezepte doch korrekt hätten ausstellen müssen. Tatsächlich sind die Apotheker in den meisten Fällen nicht Urheber des Fehlers, haben aber ihren gesetzlichen Prüfauftrag nicht erfüllt", räumte die Krankenkasse ein.

Die Novitas BKK werde mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Kontakt aufnehmen: "Wir wollen in persönlichen Gesprächen auf eine genauere Verschreibungspraxis hinwirken." Nach derzeitigem Stand der Prüfung zeichne sich allerdings bereits ab, dass weit mehr als die Hälfte der geprüften Rezepte ohne Beanstandung bleibe. Das deute darauf hin, dass es einer Mehrzahl der Apotheken gelinge, den Vorgaben des Gesetzgebers zu entsprechen.

Das Vorgehen widerspreche Buchstaben und Geist des Arzneiliefervertrages, schrieb Graue an den Novitas BKK-Chef: "Wir wenden uns deshalb direkt an Sie mit der Bitte, diesem Vorgehen Einhalt zu gebieten." Eine Taxbeanstandung müsse bezogen auf den konkreten Fall begründet sein, damit die betroffene Apotheke ihrerseits ihren Einspruch sachgerecht begründen könne. Dies sei nicht der Fall. "Vielmehr werden offenbar ein summarisches Prüfverfahren und eine nicht näher differenzierte Begründungsfloskel verwendet", so Graue.

Für die von der Novitas BKK angeführte "nachlässige Verschreibungspraxis" seien wenn überhaupt Vertragsärztinnen und -ärzte der Krankenkassen verantwortlich und nicht die Apothekerinnen und Apotheker. "Wir betrachten es als Missbrauch der Mittel, wenn für das vermeintlich fehlerhafte Handeln der Verschreibenden die Apotheken zur Verantwortung gezogen werden", so Graue.

Im Übrigen sei bei der ganz überwiegenden Zahl der bisher vorliegenden Taxbeanstandungen kein Gefährdungspotenzial der Versicherten ersichtlich. Im Gegenteil: Die Versicherten seien von den Apotheken ordnungsgemäß mit den dringend benötigten Arzneimitteln versorgt worden. Für eine Rechnungskürzung "auf Null" gebe es somit keinerlei Anlass. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass es bei dieser Aktion keineswegs um die Patientensicherheit, sondern um bloßes Abkassieren beim letzten Glied in der Versorgungskette geht", so Graue weiter.

In ihrer Erklärung am vergangenen Donnerstag bemühte sich die Novitas BKK um Entspannung: "Vor einer Woche meldeten wir den Start eines umfangreichen Prüfungsprojekts für Betäubungsmittelrezepte. Nach Bearbeitung Hunderter von Reaktionen und zahlreichen Gesprächen ergibt sich ein differenziertes Bild." Viele der betroffenen Apotheker hätten Verständnis gezeigt. Eine ganze Reihe fänden das Vorgehen "unnötig scharf". Einzelne hätten darin aber eine "Kriegserklärung" gesehen und damit gedroht, keine Arzneimittel mehr an Novitas BKK Versicherte auszugeben. Das zeigte offenbar Wirkung.

Kasse räumt eigene Fehler ein

Daraufhin räumte die Kasse eigene Fehler ein: "Erstens hatten wir bei den Rückbuchungen (Retaxierungen) beanstandeter Rezepte in einzelnen Regionen die Einspruchsfristen nicht abgewartet. Diesen Fehler haben wir inzwischen behoben und die betreffenden Geldbeträge erstattet."

Zweitens hätten viele Apotheker generell mit Notsituationen bei Schmerzpatienten argumentiert und hielten die beanstandeten Mängel deshalb für unzureichend, um eine Retaxierung zu rechtfertigen, so die Kasse weiter. Grundsätzlich rechtfertigte die Novitas BKK ihr Vorgehen mit Bezugnahme auf den Aspekt der Arzneimittelsicherheit, fügte aber hinzu: "Allerdings halten wir es für möglich, dass die genaue Würdigung der Umstände in Einzelfällen zur Rücknahme unserer Beanstandung führt; wir haben die betroffenen Apotheker gebeten, in solchen Fällen Einspruch zu erheben."

In seinem Schreiben weist Graue die Novitas BKK zudem auf widersprüchliches Verhalten hin. Die BKK Novitas beanstande zwar vermeintliche oder tatsächliche Formfehler bei der Verordnung von Betäubungsmitteln. Das in Gang gesetzte Taxbeanstandungsverfahren begehe aber selbst eine ganze Reihe von materiellen und formellen Fehlern. Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis, die Apotheken könnten sich ja gegen ungerechtfertigte Beanstandungen durch Einspruch wehren, wirke wie Hohn. Graue: "Unsere Apotheken sind für die schnelle und sichere Arzneimittelversorgung der Patienten und nicht für die Bewältigung überflüssiger Bürokratie da."



AZ 2011, Nr. 40, S. 1

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