Gesundheitspolitik

Von der zunehmenden Verwirrtheit der Konsumenten – Consumer Confusion

Andreas Kaapke

Einzelhandelsgeschäfte sehen sich zusehends mit einem Problem konfrontiert, das als Consumer Confusion bezeichnet wird. Darunter ist der Effekt zu verstehen, dass Kunden aufgrund der Warenfülle derart verwirrt sind, dass entweder der Kaufvorgang abgebrochen wird, weil man sich nicht zurechtfindet oder aufgrund zu häufig stattgefundener vergleichbarer Erfahrungen erst gar nicht mit einem Kauf begonnen wird. Abwanderungen in andere Geschäfte oder Kanäle selbst von Stammkunden wie z. B. in das Internet sind nicht selten der Fall. Dabei kommt es zu der grotesken Situation, dass die Handelsgeschäfte aufgrund der von den verschiedenen und immer stärker in ihrem Verhalten und ihren Wünschen abweichenden Konsumentengruppen derart viele Erwartungen geschildert bekommen, dass das Sortiment, um aus Sicht des Gros der Verbraucher attraktiv zu sein, ausgeweitet wird. Zwar erfüllt der Laden dann formal die Wünsche vieler Konsumenten, dadurch, dass sich die Wünsche der Verbraucher aber unterscheiden, gerät der Laden dennoch unter Druck und weitet das Sortiment stark aus.

Der an sich zufrieden gestellte Konsument hat nun Schwierigkeiten, in der Sortimentsvielfalt die von ihm präferierten Produkte in einer aus seiner Sicht angemessenen Zeit zu finden oder leidet ganz generell an einer Orientierungsschwäche. Wer schon mal Zündhölzer in einem SB-Warenhaus oder einem etwas größeren Supermarkt gesucht hat, weiß, was damit gemeint ist. Finden sich diese bei den Zigaretten an der Kasse (eher nein, dort finden sich die Feuerzeuge) oder bei den Kerzen (eher nein) oder bei den sog, kleinen Haushaltshelfern wie Zahnstochern (nur in den seltensten Fällen). Die Lösung, die am häufigsten anzutreffen ist, ist das Auffinden von Streichhölzern bei den sog. Grillanzündern oder auch Fonduepasten. Darauf muss man kommen! Und da Streichhölzer nicht regelmäßig gekauft werden und nur ein Beispiel darstellen, fällt es auch den Verbrauchern schwer, sich deren Standort zu merken. Nehmen wir noch Herren-Sakkos, die mal nach Marke, mal nach Stoff, mal nach Größe und mal nach Angebot platziert werden. Will ein Kunde nun einen umfassenden Überblick über die für ihn infrage kommenden Sakkos erhalten und findet sich gerade niemand vom Verkaufspersonal, der ihn dabei unterstützt, wird es eng. Eine der am häufigsten in diesem Zusammenhang gestellten Fragen lautet deshalb auch "gibt es das auch in meiner Größe?", setzt aber voraus, dass sie jemanden finden, der ihnen die Frage beantwortet, beantworten kann oder beantworten will. Letztes Beispiel Baumärkte: diese haben ihre Fläche in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt verdoppelt, mit der Konsequenz, dass sie dort fast alles finden, wenn sie es finden, also wissen, wo es steht.

Verkürzt wird dieses Phänomen Consumer Confusion genannt. Besonders häufig trifft man das Phänomen im Lebensmitteleinzelhandel an. Während die Discounter mit ihrem Verknappungsprinzip nicht Gefahr laufen, dass das Phänomen Consumer Confusion in großem Stile auftritt, haben die sog. Vollsortimenter das Phänomen in erheblichem Ausmaß zu stemmen. Im Übrigen wird das Problem auch noch dadurch befördert, dass die Baunutzungsverordnung in wohnortnahen Gebieten sehr restriktiv bei der Größe der genehmigten Fläche ist. Ein Vollsortiment, das die Wünsche der Verbraucher abbildet, ist auf den aus Genehmigungssicht unproblematischen 800 qm gar nicht mehr darstellbar. Nicht zuletzt deshalb kann man feststellen, dass ein wenig geschmeidiges Baurecht den Wettbewerb der Betriebsformen in gewisser Weise manipuliert und Betriebsformen mit dem Verknappungsprinzip oder Betriebsformen in peripherer Lage ohne limitierte Flächen bevorzugt behandelt.

Kann es in Apotheken zu Consumer Confusion kommen? Eher nein. Im Bereich der rezeptpflichtigen Medikamente ist dies nicht möglich. Es soll an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um einen extremen Vorteil der Betriebsform Apotheke handelt. Drogerien, Lebensmittelgeschäfte wie oben bereits beschrieben oder auch Warenhäuser können dies nicht gewährleisten, weshalb es auch seitens des Gesetzgebers gut ist, den Vertrieb von Arzneimitteln zu limitieren, da Güter der besonderen Art eben nicht einer Konsumentenverwirrtheit ausgesetzt sein sollten. Diese soll durch den Abverkauf ausschließlich über den HV-Tisch ausgeschlossen werden. Durch den überschaubaren und in der Regel wohl geordneten Verkaufsraum der Apotheken besteht auch darüber hinaus nur geringe Gefahr der Konsumentenverwirrtheit. Aber Vorsicht: bei medizinischen Produkten, Arzneimitteln, Hilfsmitteln usw., also all jenen Produkten, die in Apotheken anzutreffen sind, besteht erhöhter Klärungsbedarf. Da diese Produkte – von einigen Ausnahmen wie z. B. Paradontax als besonderer Zahncreme oder Magnesium-Tabletten abgesehen – wenn nicht beim ersten Kauf, beim nächsten Kauf in eine gewisse Kaufroutine übergehen, sind viele dieser Produkte für viele Kunden mit ergänzenden Fragen verbunden. Konsumentenverwirrtheit äußert sich demnach nicht nur in der Vielfalt aller angebotenen Produkte, sondern auch in der Komplexität und daraus abgeleitet dem Erklärungsbedarf einzelner Produkte.

Apotheken stellen demnach von ihrem Grundauftrag her ein gutes Beispiel dar, wie Consumer Confusion gerade vermieden werden kann. Dies setzt allerdings auch voraus, dass die Beratung im Ergänzungsbereich gerne und gut durchgeführt wird, dass sich die Apotheke über ein derlei einzigartiges Angebot von anderen Anbietern abhebt und diesen Vorteil auch selbstbewusst und offensiv vermarktet.

Im Übrigen zeigen Untersuchungen in anderen Branchen, dass die Verbraucher bei nichtvorhandener oder reduzierter Verwirrtheit durchaus auch höhere Preise zu zahlen bereit sind, denn keiner will im Ladenlokal einen desorientierten Eindruck machen.


Andreas Kaapke
Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2011, Nr. 40, S. 2

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