Management

Brauchen gute Chefs einen schlechten Charakter?

Wie sich Chefs gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten sollen

Spätestens seit dem wenig souveränen Auftritt des Finanzministers Wolfgang Schäuble, der in den Rücktritt seines gedemütigten Pressesprechers mündete, steht die Frage auf der Tagesordnung, wie sich Chefs gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten sollten.

Dazu passt eine Meldung des "Spiegel" (43/2010, S. 170) – die Verfasser einer Studie der University of Nebraska hatten herausgefunden: "In Maßen ist ein schlechter Charakter gut für die Karriere", es seien die eher negativ besetzten Charaktereigenschaften, die ganz nach oben führten. Menschen, die zum Überdramatisieren und zum Narzissmus tendierten, die andere häufig kritisieren und extrem auf die Einhaltung von Regeln achteten, stiegen eher in Führungspositionen auf als solche, die diese negativen Charaktereigenschaften nicht aufwiesen, so die Studie. Was ist dran an dieser Behauptung, was bedeutet sie für den Apotheker?

Schlechter Charakter – positive Folgen

Sicherlich sind Situationen denkbar, in denen eher negativ besetzte Charaktereigenschaften Vorteile für das Führungsgeschäft in der Apotheke mit sich bringen: Denken wir nur an die Situation, dass ein wichtiger Kunde anscheinend die Apotheke wechseln will, weil er mit der Kundenfreundlichkeit eines Mitarbeiters mehr als unzufrieden ist. Lange Diskussionen mit dem Mitarbeiter bezüglich seiner Kundeneinstellung wären wahrscheinlich kontraproduktiv – der Apotheker muss eine schnelle und eventuell auch harte Entscheidung fällen, bei der das Wohl des Angestellten nicht im Mittelpunkt steht. Wenn der Apotheker in dieser Situation unnachgiebig durchgreift, mithin autoritär vorgeht, kann dies durchaus positive Konsequenzen haben.

Allerdings: Fraglich ist, wie es um die Langzeitwirkung eines solchen Vorgehens bestellt ist. Denn dann kann die Mitarbeitermotivation leiden. Und das ist für die Leistungsfähigkeit und Arbeitsproduktivität in der Apotheke hinderlich.

Extreme Ausprägungen

Die Studie weist darauf hin: Jede Charaktereigenschaft kann ins Negative umschlagen, wenn sie zu intensiv ausgeprägt ist. Und dann können sie den Karriereaufstieg und den Führungserfolg behindern. Das gilt übrigens auch für "positive" Charaktereigenschaften: Eine Führungskraft, die den Mitarbeitern allzu große Freiheiten lässt und Entscheidungen stets im Konsens mit ihnen verabschiedet, steht vor einem Problem, wenn sie eine unangenehme Entscheidung fällen muss.

Vorläufiges Fazit: Wie jedem pauschalisierenden Urteil ist auch der Ansicht zu widersprechen, ein guter Chef müsse grundsätzlich einen "schlechten Charakter" haben. Darauf deuten Aussagen von Mitarbeitern hin, die beurteilen sollen, was denn den "idealen" Chef auszeichne. Eine Online-Umfrage von Secretary Plus Deutschland, durchgeführt im November 2010, ergab: Am wichtigsten ist den Arbeitnehmern, dass die Führungskraft ihre Erwartungshaltung klar formuliert und mit deutlichen Zielvorgaben arbeitet. Das ist für die Mitarbeiter von noch größerer Bedeutung als Lob und die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten. Es liegt auf der Hand, dass jene "schlechten" Charaktereigenschaften auf der Beliebtheitsskala nicht auftauchen.

Selbsteinschätzung wichtig

Welche Schlüsse kann ein Apotheker daraus ziehen? Auf jeden Fall ist es notwendig, dass er nicht immer nur versuchen sollte, den Charakter und die Persönlichkeit der Mitarbeiter einzuschätzen, um zum Beispiel ein ideales Team zusammenzustellen, in dem sich die Kompetenzen und die Verhaltensweisen der Mitglieder auf eine optimale Weise ergänzen. Ebenso notwendig sind der Wille zur Selbsterkenntnis und die Reflexion des Führungsstils.

Führungsstile werden definiert als beständige Verhaltenstendenzen, die eine Führungskraft relativ unabhängig von der jeweiligen Situation an den Tag legt. Wer weiß, ob er eher autoritär, integrationsorientiert, zielorientiert, mitarbeiterorientiert oder verfahrensorientiert führt, kann die Auswirkungen seines Handelns auf die Mitarbeiter bedenken und sein Verhalten notfalls verändern und der Situation anpassen.

Hinzu kommt: Wer sich selbst einschätzen kann, weiß um die Relativität seines Verhaltens: Der dominante Apotheker wird den eher introvertierten und schüchtern-zurückhaltenden Mitarbeiter mit leichter Hand führen können – während der gleichfalls dominante Mitarbeiter mit dem Chef aneckt, weil beide nicht "klein beigeben" wollen. Ein und dasselbe Verhalten führt im Umgang mit verschiedenen Mitarbeitern zu verschiedenen Konsequenzen.

Anderes Beispiel: Die Durchsetzungsfähigkeit des dominanten Apothekers, die in schwierigen Situationen eine Stärke darstellt, ist eher eine Schwäche, wenn er einen Kompromiss schließen muss. Und die emotionale Intelligenz des auf Bewahrung ausgerichteten Apothekers trägt dazu bei, im Mitarbeiterteam einen Teamgeist zu entfachen. Diese Eigenschaft erweist sich jedoch als Defizit, wenn er notwendige Veränderungsprozesse durchsetzen will.

Differenzierende Sichtweisen

Gibt es also so etwas wie einen "idealen Charakter" für eine Führungsposition? Wahrscheinlich nicht. Und die Frage, ob der Apotheker eher schlechte oder eher gute Charaktereigenschaften aufweist, ist zweitrangig. Wichtiger scheint die Bereitschaft zu sein, flexibel auf die jeweilige Führungssituation reagieren zu können. Dabei ist eine ausgeglichene Persönlichkeit wohl am ehesten imstande, jene Flexibilität an den Tag zu legen.

Hinzu kommt: Wer in der Lage ist, sich selbst und andere Menschen einzuschätzen, erleichtert sich die Führungsarbeit. Ein dominanter Charakter ist bei einer Führungskraft wohl nie von Nachteil, auch nicht bei einem Apotheker. Und wer um diese Charaktereigenschaft und ihren Ausprägungsgrad weiß, kann daran arbeiten, sie zu mäßigen oder ein Gegengewicht entwickeln, also etwa die Fähigkeit zum harmonischen Ausgleich stärken. Vor allem aber weiß der Apotheker, wie er auf Mitarbeiter wirkt: "Wenn ich als dominanter Chef mit dem selbstbestimmten, auf Status und Prestige bedachten Mitarbeiter ein konfliktäres Mitarbeitergespräch führe, muss ich anders vorgehen als bei dem gelassenen und toleranten ‚Jasager’, der zur Anpassung neigt."

Zu beachten ist: Die Kenntnis der Persönlichkeitsprofile darf nie zu eindimensionalen Reaktionsweisen führen. Oft kommen dominante Apotheker mit ihrem "Gegenstück", dem beziehungsorientierten Mitarbeiter, gut klar. Das heißt nicht, dass zwischen den beiden stets eitel Sonnenschein herrschen muss. Das gemütlich-bequeme Gehabe des Mitarbeiters nervt den Chef zuweilen gehörig und sorgt für Konfliktstoff. Der zielorientierte Vorgesetzte empfindet dieses Gebaren als Stolperstein auf dem Weg zum Ziel.

Fazit

Bei der Beantwortung der Frage, ob gute Chefs einen schlechten Charakter brauchen, tut Differenzierung Not. So gut wie immer spielt die konkrete Situation eine entscheidende Rolle. Aber die Kenntnis der Persönlichkeitsstruktur der Menschen im Apothekenteam sowie die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung helfen dem Apotheker immer weiter.


Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater



AZ 2011, Nr. 5, S. 6

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