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EHEC: Wer fragt nach, wer warnt vor Durchfallmitteln?

Das Stochern im Nebel geht weiter. Immer noch ist die Quelle des gefährlichen EHEC-Ausbruchs nicht zweifelsfrei identifiziert. Nervosität macht sich breit, die Kritik am Krisenmanagement nimmt zu. Warum zum Beispiel rücken erst jetzt die Sprossen ins Blickfeld, wo doch für den bislang schwersten EHEC-Ausbruch 1996 in Japan Radieschensprossen verantwortlich waren?

Immer wieder war zu sehen, dass an dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) erkrankte Patienten befragt wurden und immer stand zumindest für den Zuschauer die Frage nach Gurken, Tomaten und Blattsalat im Vordergrund. Denn die EHEC-Patienten, ganz überwiegend Frauen, sollen eines gemeinsam gehabt haben: sie sollen sich bewusst gesund mit Salat und Rohkost ernährt haben. Fleisch oder Rohmilchprodukte standen wohl nicht ganz oben auf der Liste.

Doch was wurde wann von wem tatsächlich gefragt? Darüber herrscht große Konfusion. Im Internet findet sich auf den Seiten der Deutschen Nephrologischen Gesellschaft ein einseitiger Fragebogen mit 14 Fragen, bei dem zwar nach Erdbeeren, Blattsalat, Salatgurken, rohen Tomaten differenziert nach Rispen-, Fleisch- und Cherrytomaten gefragt wird, jedoch nicht nach Sprossen aller Art.

Gefragt wird auch, ob die betroffene Person ihr Essen überwiegend selbst zubereitet. Dahinter steckt wohl die Frage, warum besonders Frauen betroffen sind und die Hypothese, dass diese, hauptverantwortlich für die Zubereitung von Nahrung, am intensivsten mit kontaminierten Lebensmitteln in Berührung gekommen sein könnten. Selbstverständlich werden auch genetische Faktoren diskutiert, die Frauen für die EHEC-Toxine anfälliger machen könnten. Doch sind das wirklich die einzigen Erklärungen?

Einem Fallbericht, geschildert in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 5. Juni 2011, ist zu entnehmen, dass eine betroffene Frau zu Beginn der Symptome zunächst einmal nach einem Durchfallmittel gegriffen hat, das für begrenzte Linderung sorgte. Doch was war das für ein Durchfallmittel? War es vielleicht eines der vielen Loperamid-haltigen Arzneimittel (Imodium und Co.), die sich in der Selbstmedikation größter Beliebtheit erfreuen? In jedem Beipackzettel lässt sich zwar nachlesen, dass solche Präparate nicht bei Durchfällen, die mit Fieber und/oder blutigem Stuhl einhergehen, angewendet werden dürfen. Doch ist das allen bewusst? Es ist zu bezweifeln, dass jeder, der solche Präparate in seinem Medizinschrank hat, weiß, dass mit ihrer Einnahme auch Gefahren verbunden sein können. Denn Loperamid-haltige Präparate stoppen lediglich die Darmmotilität und sorgen damit kurzfristig für Ruhe an der Front. Dabei können sie gefährlichen Erregern wie EHEC die Gelegenheit geben, sich ungestört weiter zu vermehren, die Darmwand zu schädigen und die gefürchteten Toxine verstärkt ins Blut abzugeben. Der Entstehung eines HUS wird so Vorschub geleistet.

Vor diesem Hintergrund wollten wir vom Robert Koch-Institut (RKI) wissen, welche Ratschläge man dort zur Anwendung von Antidiarrhoika bei Verdacht auf eine EHEC-Infektion gibt. Doch das RKI ist laut Auskunft der Pressestelle für solche Ratschläge nicht zuständig. Man verweist auf die medizinischen Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie. Hier haben wir nachgefragt, doch bislang keine Antwort erhalten.

Auch wollten wir wissen, ob es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Durchfallmitteln und dem Auftreten des hämolytisch-urämischen Syndroms gibt, ob erfasst wird, wer welche Durchfallmittel eingenommen hat. Möglicherweise greifen ja Frauen schneller zu entsprechenden Präparaten als Männer, vielleicht könnte das erklären, warum sie häufiger schwer erkranken.

Zugegeben, das ist auch nur eine vage Hypothese. Eine entsprechende Frage auf den Fragebögen könnte sie jedoch schnell bestätigen oder entkräften. Aber eine solche Frage sucht man auf dem einseitigen Fragebogen vergebens.

Und auch wenn eine solche Frage als nicht zielführend abgetan werden sollte. Eine klare Empfehlung zur Anwendung von Durchfallmitteln bei Verdacht auf eine EHEC-Infektion und insbesondere eine eindeutige Warnung vor solchen Präparaten, die das Infektionsgeschehen begünstigen können, hätte man sich längst von offizieller Seite gewünscht.

Dabei geht es nicht nur um Loperamid, sondern auch um andere Antidiarrhoika wie Kohle- oder Gerbstoffpräparate. Ein aus Schweinegrippe-Zeiten alter Bekannter, Cystus052, wird beispielsweise in einer Pressemitteilung als "Phyto-Christo" bei EHEC-Infektionen angepriesen. Ist die Anwendung solcher Durchfallmittel vertretbar oder im Zweifelsfall sogar gefährlich? In Lehrbüchern findet man den generellen Hinweis, dass bei EHEC-Infektionen Antibiotika und Antidiarrhoika kontraindiziert sind. Gilt das in jedem Fall? Gibt es Ausnahmen? Fragen über Fragen, die auf Antworten warten. Fragt sich nur, wer zuständig ist!


Dr. Doris Uhl, Redakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung



DAZ 2011, Nr. 23, S. 22

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