Aus Kammern und Verbänden

Besseres Arzneimittelangebot in "PharmaTopia"

Wie lassen sich das Arzneimittelangebot und die Arzneimittelanwendungssicherheit in Deutschland, Europa und in Entwicklungsländern verbessern? Dies war die zentrale Frage auf dem Kongress "PharmaTopia – die Welt in 30 Jahren" am 16. und 17. September in Bielefeld. Auf der Jubiläumsveranstaltung der pharmakritischen Organisation BUKO Pharma-Kampagne diskutierten deutsche und internationale Experten das derzeitige Arzneimittelangebot in Nord und Süd sowie die Informationsdefizite zu Arzneimitteln.

Die BUKO Pharma-Kampagne wurde vor 30 Jahren als Teil der Bundeskoordination (BUKO) Internationalismus gegründet, einem Zusammenschluss von über 200 Dritte-Welt-Aktions- und Solidaritätsgruppen sowie Einzelpersonen in Deutschland. Ziel war und ist es noch heute, die Aktivitäten der deutschen pharmazeutischen Industrie in der Dritten Welt kritisch unter die Lupe zu nehmen und durch gezielte Aktionen wie auch durch Aufklärung öffentlichen Druck zu erzeugen. Inzwischen ist es der BUKO Pharma-Kampagne gelungen, viele Arzneimittelhersteller zu bewegen, irrational zusammengesetzte Arzneimittel in den Entwicklungsländern nicht mehr anzubieten.

Auch den einheimischen Markt betrachtet die BUKO Pharma-Kampagne kritisch. Sie wendet sich vor allem gegen nicht haltbare Werbeversprechen und die Versuche, Ärzte und Apotheker wie auch andere Heilberufler und Patienten zu manipulieren. So hat sie zum Beispiel die Versuche der pharmazeutischen Industrie, in Zukunft bei Verbrauchern und Patienten direkt für verschreibungspflichtige Arzneimittel werben zu dürfen, in Zusammenarbeit mit Ärzte- und Apothekerorganisationen erfolgreich abgewehrt: In der Europäischen Union bleiben die bestehenden Werbeverbote in Kraft.

Auf der Jubiläumsveranstaltung standen Fragen im Vordergrund, wie die weiterhin bestehenden Irrationalitäten im heimischen Arzneimittelmarkt und das zum Teil als unethisch betrachtete Vorgehen der pharmazeutischen Industrie in armen Ländern bekämpft werden können. In vier Workshops sowie in den Plenarveranstaltungen diskutierten Experten aus Entwicklungsländern, Schwellenländern und aus Europa sowie die Teilnehmer vier zentrale Fragen.


Internet


www.bukopharma.de

An Public Health orientierte Forschung

Welche Arzneimittelforschung berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen in Nord und Süd? Als ein zentrales Ziel wurde herausgearbeitet, in Zukunft der frei von den Interessen der Pharmaindustrie durchgeführten Forschung mehr Gewicht zu verleihen und den Einfluss der Hersteller auf die Forschungsplanung zurückzudrängen. Stattdessen sollen Forschungsziele an den spezifischen Bedürfnissen der Menschen in armen und reichen Ländern und damit an Public Health orientiert werden.

Essenzielle Arzneimittel

Wie können die Menschen in Entwicklungsländern mit den wichtigsten Arzneimitteln versorgt werden? Die von der Weltgesundheitsorganisation WHO zusammengestellte und immer wieder aktualisierte Liste der "Essential Drugs" bildet dafür die Grundlage. Die wesentliche Herausforderung ist es heute, diese Medikamente den ärmeren Ländern zu Preisen anzubieten, die sie auch bezahlen können. Gerade zur Bekämpfung von Aids in Afrika müssen wirksame und bezahlbare Arzneimittel zur Verfügung gestellt werden. Die BUKO Pharma-Kampagne und andere entwicklungspolitisch aktive Gruppen setzen sich dafür ein, das Patentrecht international weiterzuentwickeln, um die Herstellung preisgünstiger Generika zu ermöglichen.

Objektive, unabhängige Arzneimittelinformationen

Wie lässt sich bei Arzneimitteln gute Information realisieren und Manipulation vermeiden? Während die BUKO Pharma-Kampagne in Entwicklungsländern die Verbraucherwerbung für Arzneimittel kritisch untersucht und industriegesteuerte irreführende Informationen öffentlich anprangert, geht sie in den entwickelten Ländern weit darüber hinaus. Mit anderen Organisationen, wie z. B. der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und unabhängigen Fachzeitschriften wie Arzneitelegramm und Arzneimittelbrief, streitet sie für objektive, industrieunabhängige Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaterialien und ‑veranstaltungen für die Heilberufe. Dabei ist sie Teil einer internationalen Bewegung, die Interessenkonflikte bei der Forschung und bei der Publikation von Forschungsergebnissen aufdeckt. Ziel ist mehr Transparenz bei klinischen Prüfungen, d. h. die Offenlegung aller relevanten Daten, damit der Nutzen neuer und bereits zugelassener Arzneimittel von unabhängigen Wissenschaftlern herausgearbeitet werden kann. Wissenschaftsbetrug sowie die Verheimlichung von Interessenskonflikten sollen als strafbare Handlung in rechtlichen Normen verankert werden.

Professionalisierung bei klinischen Prüfungen

Welche Studien stellen die Gesundheit der Patienten in den Vordergrund? Das war die zentrale Frage des vierten Workshops. Als Ergebnis stellten die Teilnehmer fest, dass nicht nur industriegesponserte Forschung, sondern auch die Forschung in deutschen akademischen Einrichtungen derzeit nicht dem internationalen Niveau entspricht. Grundlagenforschung wird unter den derzeitigen Verwertungsbedingungen zu kurzfristig angelegt, sodass sich Forscher am schnellen Erfolg, nicht aber unbedingt an nachhaltigen Zielen orientieren. Auch die meist auf wenige Jahre angelegten Forschungsprojekte und die zu kurzen Verträge mit jungen Wissenschaftlern behindern eine auf Gründlichkeit angelegte Forschungskultur. Hier muss neben einer gesicherten Finanzierung durch die Bundesregierung auch innerhalb des universitären Betriebs einiges getan werden, so das Fazit des Workshops. Notwendig seien eine Professionalisierung der Forschung und eine weitere Vernetzung von Forschungseinrichtungen, um z. B. eine ausreichend hohe Anzahl von Teilnehmern an einer klinischen Prüfung zu rekrutieren. Außerdem werde ein Forschungsumfeld benötigt, das junge und engagierte Forscher fördert und zu einem einwandfreien wissenschaftlichen Arbeiten anleitet.

Mehr Solidarität und Transparenz gefordert

In Plenardiskussionen standen Politiker und Experten Rede und Antwort. In allen Beiträgen wurde deutlich, dass Solidarität zwischen Nord und Süd notwendig ist, um das gesundheitliche Elend in vielen Entwicklungsländern zu bekämpfen. Beim Arzneimittelangebot allein auf Selbstverpflichtungen und altruistische Zurückhaltung der Industrie zu setzen, wird keine Lösung sein, so die gemeinsame Überzeugung der beiden anwesenden Politiker Kathrin Vogel (Die Linke) und Dr. Peter Liese (CDU). Denn die Interessen von Herstellern sind nicht die Interessen der bedürftigen Menschen. Hier müssen die bestehenden Rahmenbedingungen und gesetzlichen Grundlagen weiter angepasst werden.

Auch in den entwickelten Ländern gibt es nach Meinung der Experten noch viel zu tun. So müssen Politik und universitäre Forschungseinrichtungen die Rahmenbedingungen im Sinne der Solidarität mit den Patienten weiterentwickeln. Manipulationen, Intransparenz und die Verzerrung von Ergebnissen in Publikationen zu klinischen Prüfungen sollen verhindert werden. Zudem sandte die Tagung die Botschaft aus, dass mehr in die objektive und unabhängige Information für Heilberufe und die Bürger insgesamt investiert werden muss, um der finanziellen Überlegenheit der pharmazeutischen Industrie etwas entgegenzusetzen.


Dr. Udo Puteanus
udo.puteanus@liga.nrw.de



DAZ 2011, Nr. 38, S. 84

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