DAZ aktuell

"Betrugsfälle durch Apotheker sind die Ausnahme"

BERLIN (jz). Immer wieder berichten die Medien über spektakuläre Betrugsfälle im Gesundheitswesen. Über das tatsächliche Ausmaß und den Kampf gegen Korruption sprach die DAZ mit Oberstaatsanwalt Alexander Badle von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Er leitet dort seit Oktober 2009 die Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstrafen und Korruption im Gesundheitswesen.
Foto: Badle
Oberstaatsanwalt Alexander Badle, Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main

DAZ:

Herr Badle, in einem Ihrer aktuellen Fälle sollen eine Ärztin, ein Apotheker und ein Vermittler gemeinsam die Krankenkassen um zwei Millionen Euro betrogen haben, indem sie falsch ausgestellte Rezepte gegenüber den Krankenkassen abrechneten. Ist dieser Fall derzeit Ihr größter und ist er ein typischer Fall von Korruption im Gesundheitswesen?

Badle: Der Begriff "Größe" ist für die Beurteilung eines Ermittlungsverfahrens im Tatort Gesundheitsmarkt nur bedingt geeignet. Entscheidend ist meines Erachtens die Verknüpfung der Betrachtung der Mikroebene des Einzelfalls mit der Makroebene des Gesundheitsmarktes. Nur wer den Gesundheitsmarkt mit all seinen spezifischen Besonderheiten und Strukturen kennt, vermag verlässliche Wertungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund mache ich die Bedeutung eines Ermittlungsverfahrens nicht an isolierten Einzelparametern, wie zum Beispiel der Schadenshöhe, fest, sondern versuche eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Hierin liegt meines Erachtens ein wichtiger Schlüssel für eine effektive, effiziente und nachhaltige Bekämpfung von Straftaten aus diesem Teilbereich der Wirtschaftskriminalität, die wir mit unserer Arbeit als Zentralstelle verfolgen. Insoweit ist der aktuelle Fall – mit Blick auf die im Raum stehende Schadenssumme in Höhe von ca. zwei Millionen Euro – "groß", er ist deshalb aber nicht der größte Fall, an dem wir derzeit arbeiten. Es gibt andere Fälle, bei denen die Schadenssummen geringer sind, in denen sich aber strukturelle Mängel des Gesundheitsmarktes offenbaren.


DAZ:

Welche anderen Fälle von Korruption im Gesundheitswesen kommen häufiger vor?

Badle: Fälle von Vermögensstraftaten und Korruption sind relativ gleichmäßig über den gesamten Gesundheitsmarkt verteilt. Sie betreffen sämtliche Leistungsbereiche und richten sich sowohl gegen ärztliche als auch nichtärztliche Leistungserbringer. Klassiker ist sicher die Abrechnung nicht erbrachter ärztlicher Leistungen, mit denen sich unsere Zentralstelle regelmäßig beschäftigt. Diese Variante tritt im Bereich der ärztlichen, zahnärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung auf, ist aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei Hebammen oder Physiotherapeuten, anzutreffen.


DAZ:

Gibt es Berufsgruppen, die besonders anfällig bzw. auffällig sind?

Badle: Nein, nach meiner Erfahrung sind strafrechtliche Sachverhalte relativ gleichmäßig über den Gesundheitsmarkt verteilt.


DAZ:

Welcher Fall war in den vergangenen zwei Jahren Ihrer Arbeit der spektakulärste?

Badle: Aus den bereits genannten Gründen mag ich den Begriff "spektakulär" nicht sonderlich. Im Tatort Gesundheitsmarkt – in dem jährlich ca. 200 Mrd. Euro umgesetzt werden – müssen wir als Ermittlungsbehörden objektiv und sachlich agieren, da wir nur dann die Akzeptanz sämtlicher Akteure, insbesondere der Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen – aber auch der Beschuldigten – erfahren. Nur durch eine solche Herangehensweise erzielen wir nachhaltige Erfolge in der Kriminalitätsbekämpfung, die meines Erachtens wichtiger sind, als die punktuelle Bearbeitung "spektakulärer" Einzelfälle. Hierbei setzen wir insbesondere auch auf die präventive Wirkung der Arbeit unserer Zentralstelle.


DAZ:

Hat die Korruption im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren zugenommen? Und wurde deshalb im Oktober 2009 bei der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft die Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstrafen und Korruption im Gesundheitswesen eingerichtet?

Badle: Eine verlässliche Aussage, wie sich Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen in den zurückliegenden Jahren entwickelt haben, vermag niemand zu treffen. Der Anstieg der Fallzahlen in Hessen ist ein Beleg dafür, dass die Kontrollmechanismen in den zurückliegenden Jahren immer effektiver geworden sind. Insbesondere die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung Hessen haben die vom Gesetzgeber im Jahr 2004 normierten Vorgaben, Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzurichten (§§ 197a, 81a SGB V), in den zurückliegenden Jahren erfolgreich umgesetzt. Durch die Verbesserung der Infrastruktur der Fehlverhaltensbekämpfung werden naturgemäß unterdessen weitaus mehr Fälle aufgedeckt, als dies früher der Fall gewesen ist. Das bedeutet aber nicht, dass es früher weniger strafrechtlich relevante Sachverhalte gegeben hat. Diese Unterscheidung ist meines Erachtens sehr wichtig, da sonst der falsche Eindruck entstehen könnte, der Gesundheitsmarkt werde immer "krimineller". Das ist meines Erachtens nicht der Fall. Ich gehe sogar davon aus, dass durch die Verbesserung der Fehlverhaltensbekämpfung aufseiten der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und der konzeptionell ausgerichteten Ermittlungsarbeit der Zentralstelle, die präventive Wirkung insgesamt stark zugenommen hat und hierdurch viele Akteure im Gesundheitsmarkt von der Begehung von Straftaten abgehalten werden.


DAZ:

Ist die Frankfurter Zentralstelle die einzige ihrer Art, oder arbeiten Sie bundesweit mit entsprechenden Zentralstellen zusammen?

Badle: Unsere Zentralstelle ist bundesweit einzigartig. Wobei man einschränkend anmerken muss, dass auch in anderen Bundesländern Infrastrukturen für die Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen existieren. Eine der Besonderheiten unserer Zentralstelle liegt sicher in der hessenweiten Bearbeitung von Ermittlungsverfahren. Hierdurch haben wir einen guten Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Tatort Gesundheitsmarkt. Das ist mit Blick auf den bereits geschilderten Makroansatz unseres Konzepts sehr wichtig.


DAZ:

Arbeiten Sie mit anderen Stellen (Behörden, Einrichtungen) zusammen? Und wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Badle: Die Krankenkassen und die Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen haben sich in den zurückliegenden Jahren zu wichtigen strategischen Partnern unserer Zentralstelle entwickelt. Über 90 Prozent der in der Zentralstelle bearbeiteten Ermittlungsverfahren stammen aus den Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der vorgenannten Institutionen. Die Zusammenarbeit ist dementsprechend sehr eng. Hierin sehe ich einen weiteren konzeptionellen Vorteil unserer Zentralstellenarbeit. Feste Ansprechpartner auf beiden Seiten, als Basis für die Entwicklung nachhaltiger Strukturen und Konzepte für die Kriminalitätsbekämpfung.


DAZ:

Haben die Staatsanwälte Ihrer Zentralstelle eine spezielle Aus- oder Fortbildung im Gesundheitsbereich?

Badle: Nein, es gilt das amerikanische Prinzip des "learning on the job". Das funktioniert hervorragend, auch aufgrund der Unterstützung durch die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Krankenkassen, allen voran der AOK Hessen und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.


DAZ:

Ist die Herangehensweise der Ermittlungen bei Korruptionsfällen im Gesundheitsbereich eine andere als bei sonstigen Korruptionsfällen?

Badle: Die Herangehensweise ist grundsätzlich dieselbe. Es bedarf jedoch profunder Kenntnisse der spezifischen Rahmenbedingungen und Besonderheiten des Gesundheitsmarktes, da man sonst Gefahr läuft, die klassischen Ermittlungswerkzeuge falsch einzusetzen. Die Einstiegshürden für die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren aus dem Tatort Gesundheitsmarkt sind dementsprechend hoch und dürfen nicht unterschätzt werden. Die Durchsuchung einer Arztpraxis, eines Krankenhauses oder eines Pharmaunternehmens erfordern spezifisches Know-how.


DAZ:

Hat die Zentralstelle neben der Aufklärung der Fälle noch weitere Aufgaben (bezogen auf Korruption im Gesundheitswesen)?

Badle: Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld der Zentralstelle sind die Bereiche Aus- und Fortbildung. Hierzu zählen zum Beispiel Schulungen für Polizeibeamte an der Hessischen Polizeiakademie und Fachvorträge für Kolleginnen und Kollegen an der Deutschen Richterakademie.


DAZ:

Lassen Sie uns einen Vergleich wagen: Ist der Betrug mit Arzneimitteln lukrativer als der Drogenhandel?

Badle: Der Betrug mit Arzneimitteln ist zweifelsohne lukrativ. Ein Vergleich mit dem klassischen Drogenhandel lässt sich meines Erachtens dennoch nicht ziehen. Ein kleiner Dealer wird mit Straßengeschäften vielleicht weniger verdienen, als ein Arzt und ein Apotheker, die sich zur Begehung von Rezeptbetrügereien zusammengeschlossen haben, im großen Umfang fingierte Rezepte ausstellen und diese gegenüber gesetzlichen Krankenkassen abrechnen, obwohl die Medikamente nicht abgegeben worden sind. Hinzu kommt, dass das Entdeckungsrisiko im Bereich des klassischen Drogenhandels weitaus höher ist, als dies bei nach außen abgeschotteten kollusiven Betrugsstraftaten von Ärzten und Apothekern der Fall ist. Dennoch ist das Phänomen des Drogenhandels in unserer Gesellschaft weitaus präsenter, als die kollusive Begehung von Betrugsstraftaten durch Ärzte und Apotheker. Solche Fälle haben nach wie vor Ausnahmecharakter.


DAZ:

Sind bezogen auf die Korruption im Gesundheitsbereich mafiöse Strukturen erkennbar?

Badle: In den Medien wird ab und an der Eindruck erweckt, im Gesundheitswesen würden mafiöse Strukturen existieren. Insbesondere in der Berichterstattung über die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und der Pharmaindustrie wird gerne das düstere Lagebild eines mafiösen Beziehungsgeflechts skizziert. Das ist meines Erachtens Stimmungsmache, die nicht den realen Status quo des Marktes abbildet. Natürlich gab es in den zurückliegenden Jahren eine Reihe prominenter Ermittlungsverfahren, zum Beispiel gegen Pharmaunternehmen, die das Verordnungsverhalten von niedergelassenen Ärzten in unzulässiger Weise durch die Gewährung von Zuwendungen beeinflusst haben. Hierbei handelt es sich, gemessen am Gesamtumsatz der Branche, um Einzelfälle.


DAZ:

Also existiert keine Mafia im Gesundheitsbereich, aber Schäden gibt es trotzdem …

Badle: Es ist gefährlich, wenn man in einem Markt, der unter anderem maßgeblich auf dem Vertrauen der Versicherten in die Qualität der Leistungserbringer basiert – gestützt auf solche Einzelfälle – globales Misstrauen schürt. Folgen einer solchen Berichterstattung sind nachhaltige Kollateralschäden für eine der wichtigsten Säulen unseres Sozialstaats. Der Tatort Gesundheitsmarkt ist zu komplex, als dass er durch eine eindimensionale schwarz-weiß Berichterstattung erfasst werden könnte. Der Grundsatz der Objektivität, Neutralität und Sachlichkeit sollte allen Akteuren, die sich mit dem Tatort Gesundheitsmarkt beschäftigen, als Leitprinzip dienen.


DAZ:

Wie würden Sie den Schaden, den Korruption im Gesundheitsbereich anrichtet, einschätzen?

Badle: Hierzu gibt es keine verlässlichen Schätzungen. Diverse "Experten" streuen regelmäßig ihre Schätzungen über die Medienberichterstattung und übertreffen sich hierbei regelmäßig in ihren Spekulationen. Das ist Teil der bereits kritisierten Art und Weise, wie über den Tatort Gesundheitsmarkt in den Medien berichtet wird. Die Bedeutung der durch Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen entstehenden Schäden lässt sich allgemein dahingehend umschreiben, dass jeder Euro, der durch strafbares Verhalten aus dem System abfließt, eine zusätzliche Belastung für die künftige Finanzierung des Gesundheitswesens – als eine der wichtigsten Säulen unseres Sozialstaats – darstellt.



DAZ 2011, Nr. 39, S. 24

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