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Deutscher Apothekertag 2011
Versorgungswirklichkeit erfordert Einfallsreichtum
Samstagmittag kurz vor Apothekenschließung: Eine nierentransplantierte Patientin kommt in die Apotheke, tags zuvor verließ sie das Krankenhaus, zusammen mit vier Tabletten des Immunsuppressivums Mycophenolat, was genau einer Tagesdosis entspricht. Ihren Hausarzt hat die Patientin seither nicht erreicht und demnach auch kein Rezept für eine Anschlussmedikation, denn Entlassungsrezepte sind für solche Fälle in Deutschland nicht vorgesehen. Doch selbst wenn ein Rezept vorgelegen hätte, vor Montagmorgen wäre kein Mycophenolat-Präparat über den örtlichen Großhändler verfügbar gewesen. Um schwerwiegende Konsequenzen, bis hin zur Transplantatabstoßung zu vermeiden, klemmt sich der Apotheker also ans Telefon und versucht im entlassenden Krankenhaus jemanden zu erreichen, der der Patientin die notwendige Medikation für das Wochenende zur Verfügung stellt – ein mühsames Unterfangen, denn der Weg führt ausschließlich über die Telefonzentrale des Krankenhauses. Unzählige Male wird der Apotheker abgewiesen oder weiterverbunden. Nach zähem Ringen findet sich eine Ärztin im örtlichen Dialysezentrum, die sich bereit erklärt, unbürokratisch mit einigen Tabletten auszuhelfen. So macht sich die Patientin mit dem Taxi auf den Weg ins Dialysezentrum, um sich ihre lebensnotwendigen Tabletten abzuholen, während der Apotheker seinen Betrieb zusperrt – über eine Stunde nach offiziellem Dienstschluss!
Ein Extrembeispiel? Mitnichten, sondern deutsche Versorgungswirklichkeit im Sommer 2011. Hier werden gleich zwei Probleme offenbar, mit denen sich der Deutsche Apothekertag in diesem Jahr zu beschäftigen hatte. Zum einen wurde der Gesetzgeber aufgefordert, Krankenhausärzten die Ausstellung von Entlassungsrezepten zu ermöglichen und zum anderen soll die direkte Kommunikation zwischen Apothekern und Ärzten in Kliniken und MVZ verbessert werden, die häufig schon daran scheitert, dass auf Rezepten nur die Nummer der Telefonzentrale und keine Durchwahl zum Verordner angegeben ist. Da sind Rückfragen im Notdienst nicht selten ein aussichtsloses Unterfangen, zum Leidwesen von Patienten und Apothekern. Aus dieser leidvollen Erfahrung haben die Apotheker nun konstruktive Vorschläge gemacht, wie die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung effizienter gestaltet werden kann. Da alle Politiker beim Deutschen Apothekertag unisono betonten, dass es ihr größtes Anliegen sei, die Versorgungsqualität in Deutschland zu verbessern, dürfte die Einführung eines Entlassungsrezeptes und die obligatorische Nennung einer Arztdurchwahl reine Formsache sein, oder? Aber bis es so weit ist, sind Apotheker wohl weiterhin auf ihren Einfallsreichtum angewiesen, um mit profundem Fachwissen kreative Lösungen zu entwickeln, die – das sei nur nebenbei bemerkt – ein niederländischer Versandhändler nicht bieten kann.
Andreas Ziegler
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