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Gute Aussichten auf "nützliche" Arzneimittelinnovationen
Doch zwischen den Zeilen und bei den Gesprächen am Rande waren die durch das AMNOG ausgelösten Belastungen deutlich spürbar.
Von vier Landespolitikern, die sich zunächst für den Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern angekündigt hatten, sagten drei wegen zeitgleicher Parteiveranstaltungen und einer wegen Krankheit kurzfristig ab. Die FDP hatte den Besuch des Apothekertages gar nicht erst vorgesehen. Christel Johanns, Präsidentin der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, erinnerte an frühere Apothekertage im Land, an denen Politiker von Rang teilgenommen hatten. Doch jetzt zeige sich, dass "das Interesse an Apotheken sehr minimiert wird". Johanns stellte die Frage in den Raum: "Steckt System dahinter?" Dazu verwies sie auch auf den Deutschen Apothekertag, der früher auf größeres Interesse bei Politikern und Publikumsmedien gestoßen sei. In diesem Jahr in Düsseldorf seien von den Politikern nur noch Lippenbekenntnisse zu hören gewesen. Doch "wir wollen nicht Erfüllungsgehilfe sein, sondern freier Heilberuf", forderte die Kammerpräsidentin.
AMNOG und ApBetrO
Johanns fasste die großen Belastungen der Apotheken durch das AMNOG nur kurz zusammen. Die wirtschaftliche Situation, die schwierige Beziehung zum Großhandel, die Ängste der Apotheker, das "reale Leben mit Rabattverträgen" und das Verhalten der Krankenkassen bei Retaxationen seien bekannt. Es bestehe die Hoffnung, dass das ABDA/KBV-Konzept eine Chance zu mehr heilberuflicher Tätigkeit biete. Doch dies stehe "noch auf recht wackeligen Füßen", so Johanns.
Im jüngsten Entwurf zur Apothekenbetriebsordnung betrachtet Johanns die Filialapotheken ohne Labor und Rezeptur, den Nacht- und Notdienst sowie die Mindestraumgröße als strittige Punkte. Als Konsequenz könnte die "Apotheke light" entstehen. So drohe eine ähnliche Entwicklung wie bei den Pick-up-Stellen, die die Politiker nicht gewollt hätten. Doch die Apotheker hätten lange vor solchen Entwicklungen gewarnt.
Viele Tumoren trotz neuer Therapien
Durch die Absagen der Politiker und die Erkrankung eines Referenten verblieben im politisch motivierten Teil der Veranstaltung zwei Vorträge, wobei wiederum die pharmazeutischen Aspekte großen Raum einnahmen. Prof. Dr. Gerd Bendas, Bonn, stellte neue Tumortherapeutika im Spannungsfeld von Kosten und Nutzen dar. Die Tumortherapie habe die pharmazeutische Forschung der zurückliegenden 20 Jahre dominiert wie keine andere Indikation, doch angesichts der vielen Betroffenen und der Position als zweithäufigste Todesursache in Europa sei dies erklärlich. In Deutschland würden jährlich etwa 420.000 neue Tumorpatienten diagnostiziert und etwa 210.000 Menschen an Tumoren sterben. Dass die Erkrankungshäufigkeit und die Mortalität bisher langfristig stabil sind, betrachtet Bendas nicht als Zeichen für die Erfolglosigkeit der Therapien. Die neuen Therapien würden durchaus besser wirken, aber der zunehmende Anteil älterer Menschen und die bessere Diagnostik gleichen dies aus. Außerdem führe die verbesserte Therapie zu einer größeren Zahl absolut Betroffener, weil die Patienten länger mit dem Tumor überleben. Bendas verwies jedoch auch auf die abweichende These von Wasem, der sogar altersbereinigt eine steigende Krebsinzidenz sieht.
Zielgerichtete Tumortherapie
Die Tumortherapie beruht weiterhin auf der klassischen Triade von "Stahl, Strahl und Chemotherapie", doch habe sich die Interpretation des Tumors als autarkes Gewebe verändert, so Bendas. Es werde zunehmend besser verstanden, in welcher Hinsicht der Tumor vom sonstigen Organismus entkoppelt sei. "Entwicklung und Wachstum müssen besser verstanden werden, um den Tumor in seiner Entkopplung zu greifen", folgerte Bendas. Für diese "targeted therapy" gäbe es vier Ansätze: die Blockade von Wachstumsrezeptoren als Eingriff in die Proliferationsfähigkeit, die Angionesehemmung zur Verhinderung der Vaskularisierung des Tumors, die Immuntherapie und antimetastatische Wirkstoffe. Für den letzteren, neuesten Aspekt seien noch keine Substanzen auf dem Markt.
Für den Angriff an Wachstumsfaktoren stellt Trastuzumab das älteste Beispiel dar, das jüngste Produkt im Handel ist Vemurafenib gegen eine Mutation der B-Raf-Kinase. Beide Beispiele zeigen, dass dieser Ansatz eine spezielle Diagnostik erfordert, um die Existenz der speziellen Rezeptoren beim jeweiligen Tumorpatienten nachzuweisen. Demnach wirken nicht alle neuen Arzneimittel bei allen Patienten, was auch Konsequenzen für die Therapieschemata und die Kosten habe.
Bendas betonte die essenzielle Bedeutung der Blutversorgung für das Wachstum von Tumoren. Diese könnten lange sehr klein bleiben, aber ein plötzliches Signal könne zur Bildung von Blutgefäßen und damit zu beträchtlichem Wachstum führen. Die Angiogenesehemmung wirke einerseits sehr spezifisch auf diesen für Tumore wichtigen Effekt, sei aber andererseits ein universeller Mechanismus gegen alle soliden Tumoren. Denn das Blutgefäßsystem ist physiologisch und genetisch sehr stabil und kann damit kaum auf einen solchen pharmakologischen Angriff reagieren. Allerdings kann der Tumor so nicht getötet werden. Die Antiangiogenese sei damit nur eine ergänzende Therapie, die keine Heilung erwarten lässt, sondern nur eine Überlebensverlängerung.
Der dominierende Angriffspunkt gegen die Bildung von Blutgefäßen ist bisher der endotheliale Wachstumsfaktor VEGF. Doch neben einer Blockade außen am Rezeptor ergibt sich ein Angriff an nachgelagerten Zielen innerhalb der Zelle als zweite, alternative oder ergänzende Option. Dies führt zu den Tyrosinkinaseinhibitoren – für Bendas "die" Wirkstoffe des bisherigen neuen Jahrtausends. Die bisher eingeführten Vertreter werden überwiegend gegen nicht operable und eher seltene Tumoren eingesetzt, mit Ausnahme von Lapatinib gegen Brustkrebs. Viele weitere Tyrosinkinaseinhibitoren seien in der Forschungspipeline. Trotz vieler Neben- und Wechselwirkungen und oft geringer therapeutischer Breite hätten diese Substanzen großen Nutzen. "Es sind echte Innovationen, weil sie nicht mehr nur eine unspezifische Vergiftung, sondern eine selektive Therapie ermöglichen", so Bendas, allerdings liegen die Jahrestherapiekosten meist bei etwa 30.000 bis 50.000 Euro.
Ökonomische Folgen neuer Therapien
Doch auch durch die modernen Therapien sei der Gesundheitssektor nicht aus seinem bisherigen Rahmen geplatzt. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt bleibe langfristig etwa konstant. Auch die Verteilung zwischen den Indikationen sei durchaus angemessen. Im Jahr 2008 hätten onkologische Fertigarzneimittel und Zytostatikazubereitungen zusammen etwa 10 Prozent der Arzneimittelausgaben verursacht, während Tumoren 25 Prozent der Mortalität ausmachen. Allerdings würden die Kosten durch die innovative Tumortherapie überproportional steigen. Daher dränge sich eine Diskussion darüber auf, wie viel ein Jahr Leben kosten dürfe. Befürworter einer solchen Debatte würden darauf verweisen, dass anderenfalls eine Zwei-Klassen-Medizin entstehe. Als mögliches Ergebnis verwies Bendas auf das qualitätsbereinigte Lebensjahr (QALY, quality adjusted life year) als international verbreitetes, "virtuelles" Maß für Lebensdauer und -qualität. Doch angesichts der ethischen und methodischen Probleme im Umgang mit QALYs hält Bendas es für gut, dass diese in Deutschland nicht für die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit benutzt würden. Stattdessen hofft er, dass im politischen Dialog eine Balance zwischen dem therapeutischen Fortschritt und den Budgetbeschränkungen der Gesetzlichen Krankenversicherung gefunden werde.
"Knackpunkte" bei der frühen Nutzenbewertung
Im zweiten Vortrag stellte Dr. Regine Potthast, Apothekerin im Ressort Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, die Regularien der neuen frühen Nutzenbewertung für Arzneimittel vor. Diese wurden mit dem AMNOG zum 1. Januar 2011 eingeführt und bereits detailliert beschrieben (siehe insbesondere DAZ 5, S. 24-26, DAZ 7, S. 49-57 und DAZ 21, S. 49-50). Mit dem Verfahren solle geprüft werden, ob der Zusatznutzen des untersuchten Arzneimittels im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie belegt ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieser eintritt und welche Patientengruppe er betrifft. Potthast betonte, dass das IQWiG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) tätig wird, dieser aber die Entscheidungen fällt. Der G-BA legt auch die Vergleichstherapie fest, auf die sich der zu ermittelnde Zusatznutzen bezieht, und macht damit eine bedeutende Vorgabe für die Bewertung. Denn "die zweckmäßige Vergleichstherapie ist der Dreh- und Angelpunkt für den Zusatznutzen," erklärte Potthast. Außerdem hob sie die im Regelwerk verankerten Ausprägungen des Zusatznutzens hervor. Das IQWiG habe inzwischen quantitative Parameter definiert, um "erheblichen", "beträchtlichen" und "geringen" Zusatznutzen nach objektiven Kriterien unterscheiden zu können. Die Daten würden zunächst für jeden Endpunkt getrennt ermittelt, doch letztlich müsse eine zusammenfassende Bewertung für das Arzneimittel abgegeben werden.
Potthast stellte auch die Gliederung des vom Hersteller einzureichenden Nutzendossiers vor. Dabei ist grob zwischen einem öffentlichen und einem nicht öffentlichen Teil mit Geschäftsgeheimnissen zu unterscheiden. Da bei der Nutzenbewertung eine Verpflichtung zur Vollständigkeit und Transparenz der Daten bestehe, könne möglicherweise kein Zusatznutzen anerkannt werden, wenn dieser sich nur auf Daten im nicht veröffentlichungsfähigen Teil beziehe.
Aktuelle Erfahrungen des IQWiG
Ende Juli endete die Übergangsfrist zur Einführung des neuen Bewertungsverfahrens. Inzwischen habe das IQWiG 14 Dossiers geprüft, erklärte Potthast. Nach den bisherigen Erfahrungen würden die Dossiers die Informationspflichten weitgehend erfüllen, viele hätten eine gute Qualität. Die Übergangsfrist sei für alle Beteiligten hilfreich gewesen. Die Erfahrungen würden überarbeitet, um weitere Erläuterungen zu den Dossiervorlagen zu gestalten. Am Beispiel der ersten veröffentlichten Bewertung für Ticagrelor erklärte Potthast die differenzierte Betrachtung für vier Indikationen. Dabei wurden sogar unterschiedliche Vergleichstherapien berücksichtigt. Denn es könnten nur solche Vergleichsarzneimittel herangezogen werden, die für die jeweilige Indikation zugelassen sind. Im Dezember sei mit Bewertungen für weitere Arzneistoffe zu rechnen.
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