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Ärzte ermuntern Politik zur Abschaffung

BERLIN (ks). Die Praxisgebühr ist wieder in aller Munde. Nachdem der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), kürzlich erklärt hatte, dass sich Schwarz-Gelb das Thema in dieser Legislatur noch vornehmen müsse, äußerten sich zu Wochenbeginn weitere Politiker. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zeigt sich zwar zurückhaltend, doch die Ärzteverbände machen deutlich, dass sie dringenden Handlungsbedarf sehen.

In ihrem Koalitionsvertrag von 2009 hatten sich Union und FDP bekanntlich einiges vorgenommen – auch gesundheitspolitisch. Darin stand zum Beispiel, man werde Pick-up-Stellen für Arzneimittel verbieten. Aber auch für Ärzte gab es Versprechungen: "Wir wollen die Zahlung der Praxisgebühr in ein unbürokratisches Erhebungsverfahren überführen", heißt es im Vertrag. Lange war es still um dieses Vorhaben. Vergangene Woche erklärte dann Spahn der Wochenzeitung "Das Parlament", dass die Praxisgebühr die vorgesehene Steuerungsfunktion offenkundig nicht ausreichend erfülle – "nämlich ein Nachdenken darüber zu befördern, ob ein Arztbesuch wirklich notwendig ist". Denn noch immer geistert die Statistik von durchschnittlich 18 Praxisbesuchen pro Kopf und Jahr umher – auch Spahn verweist auf sie.

FDP setzt auf mehr Eigenverantwortung

In dieser Woche meldeten sich daraufhin weitere Politiker in der "Bild"-Zeitung und anderen Medien zu Wort. Plötzlich ist unter anderem von einer auf fünf Euro reduzierten Gebühr die Rede – die dann aber für jeden Arztbesuch erhoben werden soll. Einigkeit besteht in einem Punkt: Das eigentliche Ziel der Praxisgebühr – eine Steuerung der Versicherten hin zu weniger Arztbesuchen – wurde verfehlt. Union und FDP haben jedoch noch unterschiedliche Vorstellungen, wie sie dies ändern können. In der FDP setzt man auf Eigenverantwortung – etwa durch mehr Transparenz bei den Behandlungskosten. So könnten die Patienten nach dem Erstattungsprinzip die Abrechnungen der Behandlungen bekommen, ohne jedoch in Vorkasse gehen zu müssen, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Heinz Lanfer mann. Gegen eine kleine, sozial abgefederte Selbstbeteiligung sei überdies nichts einzuwenden – eine Gebühr pro Arztbesuch lehnt Lanfermann jedoch ab.

Positive Effekte nicht ganz ausblenden

Der Patientenbeauftragte der Regierung, Wolfgang Zöller (CSU), kann auch die positiven Effekte der Praxisgebühr nicht ganz ausblenden – schließlich spült sie fast zwei Milliarden Euro ins System. "Ich würde sie gerne abschaffen, aber ich kenne bisher keinen praktikablen Vorschlag, der folgende Voraussetzungen erfüllt: Einnahmen sichern, Steuerungswirkung erreichen, Bürokratie abbauen und chronisch Kranke nicht überfordern", so Zöller gegenüber der "Frankfurter Rundschau". Er sei für einen Ersatz durch eine neue Form der Kostenbeteiligung. Hier seien kreative Experten gefordert. Möglicherweise sei eine Regelung im Rahmen des geplanten Patientenrechtegesetz im kommenden Jahr machbar.

Im BMG ist man derzeit auf andere Themen gepolt als auf die Praxisgebühr. Angesichts der Vorgaben im Koalitionsvertrag sieht man dort den Ball ohnehin bei den Fraktionen liegen.

Ärzte: Fünf-Euro-Gebühr hilft auch nicht

Deutlich machten ihre Position heute allerdings die unterschiedlichen Ärzteverbände. Auch diese sind sich allesamt einig, dass die Gebühr nicht die Erwartungen erfüllt hat, die in sie gesetzt wurden. Dafür, so Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery, habe sie für jede Menge Bürokratie in den Arztpraxen gesorgt. "Sie muss abgeschafft werden", so sein Fazit. Auch von einer Fünf-Euro-Gebühr hält Montgomery nichts: "Wenn die Politik die Eigenverantwortung stärken will, sollte sie nicht bei den behandlungsbedürftigen Patienten, sondern bei den Versicherten ansetzen, etwa über eine Ausweitung von Wahltarifen".

Auch Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sieht in der Fünf-Euro-Variante keine Verbesserung. Dies sei "das falsche Rezept für das Problem der häufigen Arztbesuche in Deutschland".

KBV-Vorstandschef Andreas Köhler erklärte, eine Änderung der jetzigen Regelung zu unterstützen. Eine geringe Zuzahlung je Arztbesuch könne sinnvoll sein. Sie müsse aber sozial abgefedert sein, damit notwendige Arztbesuche nicht verhindert werden.

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, appellierte an die Koalition: "An dieser Stelle kann die Politik unter Beweis stellen, dass sie in der Lage ist, seit langem erkennbaren Unsinn auch unverzüglich zu beenden". Und auch der NAV-Virchowbund sieht es nicht anders: "Das Bürokratiemonster Praxisgebühr gehört abgeschafft", forderte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Dirk Heinrich.



DAZ 2011, Nr. 50, S. 34

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