Gesundheitspolitik

Verbraucherschützer fordern PKV-Reform

Berlin (ks). Welche Zukunft hat die Private Krankenversicherung (PKV)? Diese Frage erhitzt derzeit die Gemüter. Jürgen Graalmann, Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, sorgte letzte Woche für Zündstoff, indem er die Lage der PKV als "offensichtlich bedrohlich" umschrieb. Offenbar bekämen die Versicherer ihre Krise nicht mehr selbst unter Kontrolle. Er forderte daher gleiche Rahmenbedingungen für die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer. Dem schloss sich auch Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), an. Eine ausdrückliche Abschaffung forderten beide nicht. Billen gab sich jedoch überzeugt: "Die PKV wird sich selbst abschaffen".
Gerd Billen: Gleicher Wettbe-werb und gleiche Rahmenbedingungen für GKV und PKV.
Foto: vzbv/Dominik Butzmann

Viele Privatkassen haben zum Jahreswechsel ihre Beiträge erhöht – teilweise massiv. Die Verbraucherzentralen bekommen dies zu spüren. 144 in diesem Jahr eingegangene Beschwerden von PKV-Versicherten haben sie nun ausgewertet. Darin zeigt sich: Die steigenden Beiträge überfordern immer mehr Menschen – für Billen ein "Ausdruck eines sich überholenden Systems". Zugleich wird den Versicherten ein Tarifwechsel schwer gemacht. Auch beim vzbv ist man sich bewusst, dass die Erhebung nicht repräsentativ ist – denn PKV-Versicherte, bei denen alles gut läuft, klopfen naturgemäß nicht bei den Verbraucherschützern an. Möglicherweise könnten die Erkenntnisse jedoch auch nur die Spitze eines Eisbergs sein. Es sei nun die Aufgabe von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, zu ermitteln, wie viele Betroffene es wirklich gibt, so Billen.

Beitragsexplosionen zum Jahreswechsel

Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, berichtete, dass in den überprüften Fällen die Versicherungsprämien zum Jahreswechsel im Schnitt um 23,9 Prozent gestiegen seien – vor allem in geschlossenen Tarifen, in denen ältere und langjährige Kunden versichert sind. Junge, gesunde und kinderlose Neukunden hätten viele Versicherer dagegen in günstige Einsteigertarife gelockt. Besonders negativ fielen die Central und die Gothaer Versicherung mit einer durchschnittlichen Prämienerhöhung von 28,4 Prozent bzw. 26,4 Prozent auf. Negative Spitze war eine Erhöhung um 60 Prozent bei der Central.

Wechsel schwer gemacht

Betroffene, die sich mit einem Tarifwechsel entlasten wollten, wurden vielfach vor weitere Schwierigkeiten gestellt. Versicherten seien teilweise "Tarife ohne Sinn" angeboten worden, so Wortberg. Etwa der Wechsel vom teuren Alttarif in den noch teureren Basistarif mit schlechteren Leistungen. Nur in vier der 144 ausgewerteten Fälle sei in den Unterlagen zu erkennen gewesen, dass der Wechsel problemlos durchgeführt werden konnte.

Und so fordern die Verbraucherschützer als kurzfristige Maßnahme, die Wechselmöglichkeiten zu verbessern. Hierzu sei es erforderlich, dass der Versicherer spätestens zwei Wochen nach Eingang des Antrags über den Tarifwechsel entscheidet. Zudem müssten Neutarife so gestaltet sein, dass ein Tarifwechsel ohne Gesundheitsprüfung möglich ist. Auch dürften bei einem Tarifwechsel keine Gebühren erhoben oder Prämienerhöhungen begründet werden. Zudem müssten die Kalkulationsgrundlagen bei Beitragserhöhungen nachprüfbar sein und den Berechnungen des Aktuars entsprechen. Weiterhin müsse die für die nach dem 1. Januar 2009 abgeschlossenen Verträge eingeführte Möglichkeit, seinen Anbieter zu wechseln, auf alle in der PKV Versicherten erweitert werden.

Grundsätzlicher Reformbedarf in der PKV

Doch der vzbv sieht auch langfristigen Änderungsbedarf in der PKV – "um Gerechtigkeitsdefizite auszugleichen und Effizienzsteigerungen zu erzielen", so Billen. Der vzbv kritisiert, dass in der PKV eine Qualitätssicherung bei den Leistungserbringern und eine wirksame Kostendämpfung fehle. Dies habe finanzielle Auswirkungen, die innerhalb des PKV-Systems gelöst werden müssten. Dass es bei den Privaten keinen Sozial- und Gerechtigkeitsausgleich gebe, ist für Billen "mehr als unerquicklich". Auch wenn er ausdrücklich nicht die Abschaffung der PKV fordert – einfach den Schalter umzustellen sei schließlich auch nicht im Interesse der betroffenen Verbraucher – Minister Bahr sieht der vzbv-Vorstand dennoch gefordert. Wie der AOK-Chef fordert Billen einen gleichen Wettbewerb und gleiche Rahmenbedingungen für GKV und PKV. Es müsse Schluss sein, mit der "Rosinenpickerei". Eine Einheitskasse lehnt Billen ab. Es müsse ein Wettbewerb um die besten Leistungen entstehen.

PKV-Verband wehrt sich

Beim PKV-Verband hört man die Vorwürfe nicht gerne. Verbandsdirektor Volker Leienbach hält die Schlussfolgerungen der Verbraucherschützer aus 144 Beschwerden für "schlicht unseriös". Er verweist auf "unabhängige Branchen-Analysedienste", die aktuell einen Beitragsanstieg in der PKV von durchschnittlich nur rund 2 Prozent festgestellt hätten. Die Deutsche Aktuarvereinigung haben die Beitragsentwicklung von GKV und PKV seit 1997 analysiert und sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich beide Versicherungssysteme in Sachen Beitragssteigerung nicht viel nehmen: Bei der PKV seien die Beiträge jährlich um knapp 3,3 Prozent gestiegen, in der GKV um rund 3,1 Prozent. In Einzelfällen, in denen sich PKV-Versicherte von der Beitragsentwicklung in ihrem Tarif überfordert fühlten, gebe es wirksame Alternativen, so Leienbach weiter. Jeder Privatversicherte habe das gesetzliche Recht zum Wechsel in andere, preiswertere Tarife seines Versicherers. Die vom vzbv beschriebenen Probleme kann er so nicht erkennen.

Das Thema PKV wird die Politik sicher noch eine Weile beschäftigen. SPD, Linke und Grüne betrachten den Versicherungszweig ohnehin mehr als skeptisch. Und sogar der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn erklärte kürzlich, er halte die Trennung von PKV und GKV für nicht mehr zeitgemäß.



AZ 2012, Nr. 14, S. 1

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