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- AZ 33/2012
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Gesundheitspolitik
Das Twittern der Tenöre
Die Oppositionsführerin in Rheinland-Pfalz twittert aus ihrem Südfrankreich-Urlaub, dass die Nürburgring-Insolvenz Konsequenzen für den Ministerpräsidenten habe müsse, Kriegsbilder werden via Facebook verschickt und Ergebnisse von Bundespräsidenten-Abstimmungen in Windeseile über Social-Media-Plattformen in Echtzeit distribuiert. Die Jugendmarke Neo von Adidas hat in den sukzessive eröffnenden Märkten in Großstädten sog. Magic Mirrors installiert. Hier können die Jungs und Mädchen etwas anprobieren, sich dann vor diesen Spiegel stellen, sich mit Facebook verbinden und ein Bild von der Anprobe an alle Freunde und Fans versenden. Binnen zwei Minuten haben die jungen Kundinnen und Kunden ein Stimmungsbild, ob gekauft werden soll oder nicht. Das Web 2.0-Zeitalter ist nicht nur Spielerei oder eine Randerscheinung. In den jungen Alterskohorten spielt sich die Kaufwirklichkeit zunehmend in diesen Dimensionen ab und die Informationssuche erfolgt nahezu ausschließlich über derlei Formate. Weite Teile des Fernsehens sind uninteressant geworden, klassische Zeitungen werden von dieser Zielgruppe weniger und anders gelesen als früher gewohnt.
Kann man in dieser neuen Welt ohne Social Media, ohne Twitter, XING und Facebook bestehen? Natürlich, vielleicht muss man sagen natürlich, noch! Aber warum sollte es auch nicht eine Überlegung wert sein, über ein entsprechendes Angebot nachzudenken. Im Rahmen der Mitgliederversammlung einer Verbundgruppe von Lederwarenfachgeschäften haben zwei Mitglieder ihre Facebook-Aktivitäten vorgestellt. Natürlich ist dies nicht mit dem oben kurz beschriebenen Einsatz von Adidas Neo zu vergleichen, muss es aber auch nicht. Es muss nur im Rahmen der eigenen Möglichkeiten inhaltlich perfekt und technisch auf Augenhöhe erfolgen. Bringt Adidas Neo pro Tag mindestens eine neue Nachricht raus, bescheiden sich die Lederwareneinzelhändler mit vier bis sechs Nachrichten im Monat, denn eine Nachricht muss vor allem einen Nachrichtenwert haben und aktuell sein. Kunden goutieren Nachrichten, wenn sie diese als solche erkennen können, was in diesen Medien verhasst ist, sind gewerbliche Nachrichten, die keinen Neuigkeitswert haben und von daher die Nutzer "zumüllen" oder "bespamen".
Apotheken könnten wunderbar ihre Kompetenz ausspielen, indem sie Gesundheitstipps über Social Media-Plattformen kommunizieren. Dies ist in einer Kooperation vermutlich leichter zu bewerkstelligen als wenn man Einzelkämpfer ist. Und dazu muss die Apothekenkooperation noch nicht mal riesig sein. Eine Kooperation mit 50 Apotheken mit jeweils zwei Approbierten kommt auf rund 100 Approbierte. Wenn an jedem Werktag 1 Tipp gebracht wird, heißt dies für jeden Approbierten aus der Gruppe ca. 3 Tipps pro Jahr. Einzig muss darauf geachtet werden, dass nicht 20-mal Ginkgo-Produkte als Tipp kommen und somit der Nachrichtenwert minimiert wird. Wenn man so will, bedarf ein solches Vorgehen einer Quasi-Redaktion oder aber der Bereitschaft, die Themen vorher einzugeben bzw. alle Nachrichten der Gruppe zu lesen. Eine solche Plattform würde der Einzelapotheke wie dem Verbund helfen, stärkt die Kompetenz und hilft, sich im Wettbewerb abzugrenzen. Zudem wird die Apotheke als Betriebsform gegenüber am Rand wildernden Betriebsformen aus dem Drogerie- oder Lebensmittelsegment aufgewertet bzw. in ihrem Rang bestätigt.
Vielfach wird die Sorge geäußert bzw. die Unsicherheit signalisiert, man wisse gar nicht, welche Plattform man am besten nutzen solle. Mit Verlaub: Das war schon immer so, das ist so und das wird immer so bleiben. Die Medien, die man heute aus guten Gründen nutzt, können morgen an Attraktivität verlieren oder gar gewinnen. Die Medienfrage muss stets im Auge behalten werden, sie darf aber nicht dazu führen, etwas nicht zu machen oder machen zu können.
Eines muss indes klar sein, wer einmal mit Social Media anfängt, kommt nicht ohne Weiteres wieder raus und wer damit angefangen hat, muss die Qualitätsstandards erfüllen können. Von daher will gut überlegt sein, ob man diesem Leistungsdruck standhält. Auf der anderen Seite sind diese Medien die Zukunft, sie sind in aller Munde, die jüngeren Alterskohorten gehen wie selbstverständlich mit diesen Medien um, so dass auch mit Blick auf eine mittelfristige Zukunft der Apotheke eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Medium unabdingbar ist. Beide Entscheidungen sind nachvollziehbar: es zu lassen, weil es zu viele Kapazitäten bindet und der Nachrichtenwert nicht hoch genug gehalten werden kann; es zu machen, weil es modern ist und das Image der Apotheke positiv auflädt. So ist dies mit Entscheidungen. Sie tun manchmal weh!
Andreas Kaapke
Andreas Kaapke ist Professor für Handels-management und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de
AZ 2012, Nr. 33-34, S. 4
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