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Gesundheitspolitik
Arzneiverordnungs-Report rechnet neu
Ungewohnter Ausgangspunkt: Sinkende Ausgaben
Die Arzneimittelausgaben sind 2011 bekanntlich spürbar gesunken: Die gesetzlichen Krankenkassen gaben mit 30,9 Mrd. Euro 4 Prozent weniger aus als noch 2010. Doch nach dem aktuellen Arzneiverordnungs-Report wäre noch mehr drin gewesen: Ohne Einbußen bei der Versorgungsqualität hätten die Kassen nominal weitere 3,1 Mrd. Euro sparen können, erklärten Schwabe und Paffrath am 27. September bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Und zwar durch eine konsequente Verordnung von Generika sowie einen Verzicht auf Analogpräparate und umstrittene Arzneimittel. Im Jahr zuvor hatten sie das Wirtschaftlichkeitspotenzial noch auf 4,7 Mrd. Euro beziffert.
Erstmals werden bei der Berechnung die gesetzlichen Rabatte der Pharmaunternehmen und Apotheker in Abzug gebracht. Damit reagieren die Autoren auf seit Jahren erhobene Vorwürfe gegen ihre Methodik. Auch die Einsparungen aus Rabattverträgen werden berücksichtigt. Und die waren laut Paffrath, dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der AOK NordWest, ein wahres Glück für die Kassen. Die Verträge übererfüllten 2011 nämlich das theoretische Einsparpotenzial im Generikasegment um 200 Millionen Euro. Wäre jeweils stets das günstigste Generikum verordnet und abgegeben worden, hätten laut AVR 1,4 Mrd. Euro gespart werden können – tatsächlich verbuchten die Kassen aus ihren Rabattverträgen Erlöse in Höhe von 1,6 Mrd. Euro. Die 3,1 Mrd. Euro, die der AVR dennoch als Wirtschaftlichkeitspotenzial ausmacht, fallen auf die umstrittenen sowie die patentgeschützten Analogarzneimittel. "Sehr dankbar" zeigte sich Paffrath, dass das Einsparpotenzial bei den umstrittenen Arzneimitteln nur noch bei gut 500 Mio. Euro liegt.
Kostenintensive Analogpräparate
Sorgen bereiten den AVR-Herausgebern jedoch noch immer die patentgeschützten Analoga – hier sehen sie mit 2,8 Mrd. Euro die größten Reserven. Allein die zehn führenden Analogpräparate – die für Schwabe und Paffrath sämtlich mit einem Festbetrag belegt sein sollten – erreichten ein Sparpotenzial von 1,3 Mrd. Euro. Damit die mit dem AMNOG angestrebte Einsparsumme von 2 Mrd. Euro realisiert werden kann, darf man den AVR-Autoren zufolge nicht nur auf die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel setzen. Dringend nötig sei es auch, den Bestandsmarkt einer Nutzenbewertung zu unterziehen. Bislang ist mit den Gliptinen erst eine Arzneimittelgruppe vom Gemeinsamen Bundesausschuss aufgerufen worden. Eine Forderung, die auch Uwe Deh, Vorstand des AOK-Bundesverbandes, nur unterstützen kann: Bislang sei mit der frühen Nutzenbewertung gerade einmal ein Prozent des patentgeschützten Marktes einer Prüfung unterzogen worden. "99 Prozent sind noch unbeackert – hier müssen wir ran!" Schließlich sei das Datum der Zulassung eines Arzneimittels allein kein Qualitätskriterium.
Vergleich mit niederländischen Arzneipreisen
Doch natürlich gibt es beim Sparen noch mehr Luft nach oben. Um dies zu zeigen, führte Schwabe nun zum dritten Mal einen internationalen Vergleich durch. Nach Großbritannien und Schweden sind es dieses Jahr die Niederlande, deren Arzneimittelpreise genauer unter die Lupe genommen werden. Bei diesem Vergleich steigt das Wirtschaftlichkeitspotenzial laut AVR auf 7,8 Mrd. Euro. Dafür sorge, dass patentgeschützte Arzneimittel in unserem kleinen Nachbarland deutlich günstiger seien: Die deutschen Nettopreise der 50 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel lägen im Schnitt 22 Prozent über den holländischen Erstattungspreisen. Allerdings, so räumt auch der AVR ein, fällt der Unterschied deutlich bescheidener aus, wenn man die Mehrwertsteuer herausrechnet: Dann sind es in Deutschland nur noch durchschnittlich 6 Prozent mehr. In Holland liegt der Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel bei nur 6 Prozent. Generika seien in Deutschland 63 Prozent (mit MWSt) bzw. 42 Prozent (ohne MWSt) teurer als in Holland.
Schwachpunkt onkologische Zubereitungen
Was beim AVR übrigens außen vor bleibt, sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Rezepturen, speziell onkologischer Rezepturen, die sich allein auf rund 3 Mrd. Euro belaufen. Prof. Wolf-Dietrich Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, verwies darauf, dass der AVR bei der Umsatzentwicklung onkologischer Wirkstoffe nur die "halbe Wahrheit" abbilde. In den nächsten Jahren sei zu erwarten, dass die meisten Neuzulassungen derartige Präparate betreffen werden. Meist seien sie sehr teuer, aber häufig ohne überzeugenden Zusatznutzen. Im AVR fänden sich unter den 30 Arzneimitteln mit den höchsten Nettokosten (2011) allerdings nur zwei Onkologika: Imanitib und Revlimid. Bei ersterem, so Ludwig, sei der Nutzen klar, hier über den Preis reden zu wollen wäre "fahrlässig". Aber auch die unter den Nicht-Fertigarzneimitteln aufgeführten individuell hergestellten parenteralen Lösungen ermöglichten nur sehr eingeschränkt, die kommende Entwicklung abzuschätzen. Grund sei die weitgehend fehlende Transparenz der Arzneimittelverordnungen und Umsätze im stationären Bereich. Hier seien detaillierte Analysen dringend nötig, um zu prüfen, inwieweit unzureichend geprüfte aber kostenintensive neue Arzneimittel in der Onkologie vorschnell in die Versorgung einfließen.
Seit 1985 werden im AVR die Entwicklungen der vertragsärztlichen ambulanten Verordnungen analysiert. Datenbasis für den aktuellen Report sind 784 Millionen Verordnungen des Vorjahres.
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