Gesundheitspolitik

BAH vermisst Verhandlungen auf Augenhöhe

BAH-Jahresversammlung: Welchen Stellenwert haben Arzneimittel in der Versorgung?

Berlin (ks). Die Patientinnen und Patienten, aber auch die Gesellschaft erwarten hierzulande eine gute Gesundheitsversorgung – auch durch die Arzneimittelhersteller. Doch zugleich muss diese Versorgung bezahlbar bleiben. Damit dies funktioniert, setzt die Politik einen Ordnungsrahmen. Beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) sieht man sich hierdurch allerdings "extremen Zwängen" ausgesetzt. Auf seiner diesjährigen Jahresversammlung am 26. September in Berlin forderte Verbandsvorsitzender Hans-Georg Hoffmann daher einen Kurswechsel von der Politik. Die parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach sieht die Lage der Hersteller nicht ganz so dramatisch, betonte jedoch, mit ihnen im Dialog bleiben zu wollen.

Rund 250 Gäste folgten den Ausführungen zu früher Nutzenbewertung, Zwangsrabatten und Kassenmacht, um die es unter anderem bei der Jahresversammlung des BAH ging. Foto: AZ/Sket

Welchen Stellenwert haben Arzneimittel in unserer modernen Gesundheitsversorgung? Sieht auch die Politik, dass Medikamente nicht nur dem einzelnen Patienten helfen, sondern auch der Gesellschaft Gewinn bringen? Beispielsweise in Form von gut bezahlten Arbeitsplätzen. Hoffmann hegt Zweifel, ob die schwarz-gelbe Koalition beispielsweise mit der frühen Nutzenbewertung tatsächlich den Weg für einen faireren Wettbewerb und das Patientenwohl frei gemacht hat. Möglicherweise ging es doch einmal wieder nur um Kostendämpfung?

Kritik an Kassenmacht

Grundsätzlich stünden die Hersteller zur frühen Nutzenbewertung, betonte Hoffmann in seiner Eröffnungsrede vor rund 250 Gästen. Kritik gibt es allerdings an der konkreten Umsetzung und Ausgestaltung. Für verbesserungswürdig hält der BAH-Vorsitzende etwa die Verhandlungen über den Erstattungsbetrag. Er beklagt insbesondere die Machtposition des GKV-Spitzenverbandes im gesamten Verfahren der frühen Nutzenbewertung. Vom IQWiG bis hin zur Preisverhandlung oder sogar der Schiedsstelle säßen Vertreter des Spitzenverbandes mit am Tisch und könnten Erfahrungen sammeln. "Vom Prinzip der gleich langen Spieße und von fairen Verhandlungen auf Augenhöhe kann hier keine Rede sein", so Hoffmann. Nötig sei Wettbewerbsgleichheit mit den gesetzlichen Krankenkassen. Leider sei der Gesetzgeber nicht bereit, das Kartellrecht auf den GKV-Spitzenverband – und somit konsequenterweise auf die Verhandlungen über den Erstattungsbetrag auszuweiten.

Überdies ist die frühe Nutzenbewertung aus Hoffmanns Sicht zu einseitig auf die klinische Evidenz ausgerichtet. Dabei würden andere versorgungsrelevante Aspekte ausgeblendet. Warum, so fragt er, werden nicht auch die durch eine effektivere Arzneimitteltherapie geringer ausfallenden Folgekosten berücksichtigt? Gesundheitsökonomische Argumente sollten nach Auffassung des BAH auf jeden Fall Eingang in das Verfahren finden. Auch der Umgang mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie bereitet Hoffmann Sorge. So etwa im Fall des Epilepsie-Mittels Trobalt® , bei dem der Hersteller GlaxoSmithKline für sein Nutzendossier eine andere Vergleichstherapie gewählt hatte als der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vorgegeben hatte. Die Folgen sind bekannt: GSK nahm das Präparat in Deutschland vom Markt – AOK und Techniker Krankenkassen zeigten sich jedoch bereit, für Einzelimporte zu zahlen. "Von Versorgungsgleichheit kann keine Rede sein", so Hoffmann. Positiv wertete er allerdings, dass Herstellern durch die "16. AMG-Novelle" übergangsweise eingeräumt wird, in solchen Fällen rasch eine neue Nutzenbewertung zu beantragen. Auch dass die Zulassungsbehörden BfArM und PEI nun stärker in den Prozess eingebunden werden, begrüßt der BAH. Jedoch hätte aus Sicht des Verbandes auch die europäische Zulassungsagentur EMA noch mit ins Boot geholt werden müssen.

Ärger über Zwangsrabatte

Hoffmann forderte angesichts der Milliardenüberschüsse bei den gesetzlichen Krankenkassen im Gesundheitsfonds zudem, den im August 2010 auf 16 Prozent erhöhten Herstellerzwangsabschlag abzusenken. Er erneuerte zudem seine Kritik an der Entscheidung, auch die privaten Krankenversicherungen an den gesetzlichen Rabatten teilhaben zu lassen. Dies sei ein "ordnungspolitischer Sündenfall".

Zudem wünscht sich Hoffmann – nicht zuletzt für die Verbraucher – , dass Hersteller ihre Packungsbeilage in einer vereinfachten, leicht verständlichen und patientengerechten Sprache gestalten dürften.

Doch der BAH-Vorsitzende sieht auch etwas Licht am Horizont: Positiv sei, dass gesetzliche Kassen seit dem 1. Januar 2012 nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel im Rahmen von Satzungsleistungen erstatten dürfen. Er appellierte an die Krankenkassen, von der neuen Möglichkeit Gebrauch zu machen und in die Eigenverantwortung sowie die Gesundheit ihrer Versicherten zu investieren.

Flach: Frühe Nutzenbewertung als lernendes System

Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ulrike Flach (FDP), versicherte Hoffmann, der Politik sei sehr wohl bewusst, dass man sich auf Arzneimittel in Deutschland verlassen könne – auch dank der Hersteller. "Die Erforschung und Anwendung von Arzneimitteln ist für uns eine große Erfolgsgeschichte", sagte Flach. Sie verteidigte aber auch die Steuerungsinstrumente. So sorgten insbesondere Festbeträge und Rabattverträge für die Stabilität, die es ermögliche, auch Innovationen zu finanzieren. Das AMNOG mit seiner frühen Nutzenbewertung habe das Ziel, eine Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit zu schaffen. Für echte Innovationen solle es auch faire Preise geben. Die Kritik des BAH an der Macht des GKV-Spitzenverbandes kann Flach ein Stück weit nachvollziehen. Auch das Gesundheitsministerium, so erinnerte sie, habe sich damals für eine andere Lösung eingesetzt. Die FDP konnte sich bei der Union jedoch nicht mit ihrer Idee dezentraler Preisverhandlungen durchsetzen. Flach räumte auch ein, dass die Vergleichstherapie ein "kritischer Moment" sei: Wer von ihr abweiche, gehe ein Risiko ein. Doch bislang zeigten die wenigen bis jetzt erfolgten Marktrücknahmen, dass dies nicht zu Versorgungslücken führe. "Es gibt genug Alternativen", so Flach. Im Übrigen sei die frühe Nutzenbewertung ein lernendes System – dies zeigten auch die jüngst in der AMG-Novelle vorgenommenen Änderungen. Die Anregung, die EMA ins Verfahren der frühen Nutzenbewertung einzubinden, versprach die Staatssekretärin mitzunehmen. Was die Überprüfung der erhöhten Herstellerrabatte betrifft, nahm sie dem BAH den Wind aus den Segeln: Hier stehe man kurz vor einer neuen Beurteilung, ob diese Abschläge noch erforderlich seien. Im vergangenen Februar hatte das Ministerium die erhöhten Rabatte noch für nötig gehalten. Nicht zuletzt räumte Flach ein, dass es im Koalitionsvertrag noch einen ihr wichtigen, aber bislang unerfüllten Punkt gibt: Die steuerliche Forschungsförderung. Doch auch diese, so versprach sie, wolle die Koalition noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen.

Erstattungsbeträge: Die Arbeit der Schiedsstelle

Ebenfalls Gast der Jahresversammlung war Dr. Manfred Zipperer, der Vorsitzende der seit letztem Sommer existierenden Schiedsstelle, die sich mit Streitigkeiten rund um den Erstattungsbetrag befasst. Er gab einen Überblick, welche Aufgaben der Schiedsstelle obliegen, wie sie zusammengesetzt ist und wie ein Verfahren vor ihr abläuft. Bislang, so Zipperer, werde das Gremium nicht mit Arbeit überschüttet. Gleich zu Beginn stand eine Entscheidung zu einer strittigen Passage der Rahmenvereinbarung an (Stichwort: Länderkorb). Zudem gab es einen Schiedsspruch zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Bromfenac (Yellox®). Dieser überschaubare Arbeitsanfall zeige, dass den Beteiligten an einem Konsens gelegen sei. Und dies kann Zipperer nur unterstützen: Schließlich habe man sehr viel mehr Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, wenn man die Verhandlungen selbst zum Ende bringe, als wenn die Entscheidung in die Hände einer Schiedsstelle lege. Er betonte, dass die Schiedsstelle nicht befugt sei, G-BA-Beschlüsse zu korrigieren – "so reizvoll dies auch wäre". Doch die Entscheidungen des G-BA seien der unveränderbare Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen wie auch für die Schiedsstelle. Allerdings sei ein Schiedsspruch wiederum Voraussetzung dafür, den G-BA-Beschluss gerichtlich anzugreifen. Zipperer erwartet, dass die Schiedsstelle deutlich mehr zu tun bekommen wird, wenn die ersten Beschlüsse zum Bestandsmarkt gefallen sind.



AZ 2012, Nr. 40, S. 7

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