Aus Kammern und Verbänden

Friedlieb Ferdinand Runge

Ein vielseitiger Erfinder ohne Fortüne

Über Leben und Werk des Apothekers und Chemikers Friedlieb F. Runge referierte Dr. Katrin Cura, Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik der Universität Hamburg, am 8. Dezember 2011 in Hannover. In der Veranstaltung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie hob sie Runges Beitrag zur Entwicklung der Chlorchemie hervor.
Friedlieb Ferdinand Runge (1794 – 1867) nach dem Verlust seiner Haarpracht. Denkmal in Oranienburg von Stephan J. Möller, 1992. Foto: Doris Antony, Berlin

Friedlieb Ferdinand Runge (1794 – 1867) ist trotz einiger wichtiger Entdeckungen heute weitgehend vergessen. So hat er beispielsweise erstmals Anilin, Carbolsäure (Phenol) und Coffein dargestellt bzw. isoliert. Auch der Analytik gab er An regungen, denn die "Runge- Bilder" sind als Vorläufer der Papierchromatographie anzu sehen.

Goethe gab ihm den Tipp zur Isolierung des Coffeins

Runge wurde 1794 in Billwerder (heute: Stadtteil im Bezirk Bergedorf, Hamburg) als drittes Kind eines Pastors geboren. Aufgrund der ärmlichen Verhältnisse war ihm keine höhere Schulbildung vergönnt. Er absolvierte eine Apothekerlehre in Lübeck, in der er auch genaues und anwendungsorientiertes chemisches Arbeiten lernte. Mit der Kenntnis der pupillenerweiternden Wirkung von Bilsenkraut verhalf er einem Freund dazu, vorübergehend zu "erblinden" und so nicht zur Armee eingezogen zu werden. Sein besonderes Interesse an Pflanzeninhaltsstoffen führte ihn zum Medizin- und Chemiestudium nach Berlin, Göttingen und Jena. Im Jahr 1819 wurde er mit einer Arbeit über Pflanzengifte promoviert. Auf Anregung von Goethe untersuchte er Kaffeebohnen auf ein Gegengift zu Atropin und entdeckte dabei das Coffein. Da Runge aber kein Abitur vorweisen konnte, musste er eine weitere Doktorarbeit über Indigo anfertigen, um eine Universitätslaufbahn einschlagen zu können.

Mit Chlor gegen die Miasmen

Eine gewisse Unstetigkeit veranlasste ihn, eine Studienreise durch Europa zu unternehmen. In Paris lernte er die Methode kennen, die Cholera mit Chlorkalk zu bekämpfen. Vor dem Hintergrund der Vorstellung, die Krankheit werde über schlechte Luft, die Miasmen, übertragen, wurde die "verpestete" Luft mit Chlorgas gereinigt. Diese Methode entwickelte Runge während seiner Zeit als Privatdozent in Breslau weiter, indem er einen Apparat zur "Luftreinigung" schuf: In einer Mischbüchse mit Messlöffel befanden sich Chlorkalk und sauer reagierende Salze. Beim Mischen der festen Substanzen wurde sogleich Chlorgas frei gesetzt.

Die Miasmentheorie wurde erst nach dem Aufschwung der Bakteriologie überwunden, wie die Bekämpfung der Cholera zeigt. Noch 1892 wurde Hamburg von einer Choleraepidemie heimgesucht, die fast 10.000 Einwohner das Leben kostete. Der Erreger breitete sich damals über das aus der Elbe gewonnene Trinkwasser in den beengten Wohnvierteln mit ihren katastrophalen hygienischen Verhältnissen aus, und die Epidemie endete erst nach dem Bau einer Sandfilteranlage für das Trinkwasser.

Konservierungsmittel Phenol

Von Breslau ging Runge nach Oranienburg bei Berlin in eine chemische Fabrik, die sich auf die Herstellung von Salmiak spezialisiert hatte. Als Rohstoff diente ein Abfallprodukt, das bei der Kohlevergasung anfiel. Ein weiteres Abfallprodukt, der Steinkohleteer, konnte damals noch nicht verwertet werden und wurde in stinkenden Gruben gesammelt. Bei seinen chemischen Versuchen mit dem Teer büßte Runge zu seinem Leidwesen die langen Haare ein, entdeckte dabei aber eine übel riechende Substanz, die er Carbolsäure nannte (Phenol). Bei der Suche nach einem praktischen Verwendungszweck entdeckte er deren lebensmittelkonservierende Wirkung. Mit Phenol bestrichenes Fleisch erwies sich als ein Jahr lang haltbar. Die oberste Schicht war dann zwar nicht mehr genießbar, das Fleisch aber immerhin nicht verfault. Phenol wurde dann in großem Stil zur Haltbarmachung von Eisenbahnschwellen verwendet. Der britische Chirurg Joseph Lister setzte es ab 1867 zur Wunddesinfek tion und bei Operationen ein (Antisepsis).

Runge hatte weder vom Phenol noch von anderen Substanzen, die er entdeckt hatte, einen ökonomischen Nutzen gezogen. Noch zu seinen Lebzeiten entstand die Teerfarbenindustrie auf der Grundlage von Anilin, das Runge als Erster aus dem Steinkohleteer isoliert hatte. Die chemische Fabrik in Oranienburg produzierte jedoch keine Farben, sondern Stearinkerzen und Kernseife.

Kunstwein oder: die Grenzen der Chemie

Dass Runge so wenig Erfolg mit seinen Entdeckungen und Erfindungen beschieden war, lag wohl auch an seiner Persönlichkeit. Es mangelte ihm, modern ausgedrückt, an Marketingtalent und Mentoren. Zudem galt der Junggeselle als Sonderling. Auch in seinem Haushalt wandte er seine chemischen Kenntnisse an. So bewirtete er seine Gäste mit Lebensmitteln aus Konservendosen und kredenzte ihnen einen Kunstwein aus Alkohol und organischen Säuren.

Im Jahr 1867 starb Runge in Oranienburg in bescheidenen Verhältnissen.


Dr. Gabriele Beisswanger, Minden



DAZ 2012, Nr. 1, S. 88

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