Aus Kammern und Verbänden

Pharmaziehistorische Biennale in Regensburg

Wissenschaftsdifferenzierung in der Pharmazie – Entwicklung pharmazeutischer Zweigdisziplinen

Die von Dr. Gerhard Gensthaler (München) und Frau Rotraud Mörschner (Berlin) glänzend ausgerichtete Pharmaziehistorische Biennale fand heuer vom 20. bis 22. April in der Reichs- und Domstadt Regensburg statt. Im Salzstadel, einem altehrwürdigen Gebäude unmittelbar vor der Steinernen Brücke, wurde die Tagung durchgeführt.
Prof. Dr. Christoph Friedrich Fotos: Caroline Schlick

Mitgliederversammlung

Präsident Prof. Dr. Christoph Friedrich (Marburg) leitete am Freitag die Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP). Neben den Regularien, die die Mitglieder ohne nennenswerte Kommentare abarbeiteten, fanden vor allem die anstehenden Neuwahlen statt. Die Versammlung wählte als neuen Vorstand Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou (Marburg) als Präsidentin und Dr. Dr. Thomas Richter (Würzburg) als Vizepräsidenten. Die Schriftführerin Dr. Gabi Beisswanger (Minden) und der Schatzmeister Dr. Michael Michalak (Bochum) hatten sich erneut zur Wahl gestellt und wurden im Amt bestätigt. Ein zünftiger Begrüßungsabend im Fürstlichen Brauhaus Thurn und Taxis mit einer kurzweiligen Einführung in die bayerische Mundart durch den Altpräsidenten der Bayerischen Landesapothekerkammer, Dr. Hermann Vogel (München), beschloss den ersten Tag der Biennale.

Am Samstagmorgen eröffnete Präsident Friedrich die Tagung. Nach einer knappen Einführung in die Geschichte und Pharmaziegeschichte Regensburgs begrüßte er die anwesenden Präsidenten und die Altpräsidenten verschiedener Institutionen und wissenschaftlicher Gesellschaften. Grußworte überbrachte für die Stadt Regensburg der Bürgermeister Joachim Wolbergs und für die Bayerische Landesapothekerkammer deren erste Vizepräsidentin, Apothekerin Rewitzer. Als Vertreter der Universität Regensburg richtete der geschäftsführende Direktor des Instituts für Pharmazie, Prof. Dr. Jörg Heilmann, eine Begrüßung an die Versammelten, gefolgt von Prof. Dr. Christa Kletter (Wien), Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, sowie Dr. Michael Stein, Geschäftsführer der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, die traditionsgemäß als Mitveranstalter der Biennale fungiert, so auch in Regensburg.

Ehrungen

Es folgten Auszeichnungen für verdiente Mitglieder der Gesellschaft: Prof. Dr. Peter Dilg (Marburg) und Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Kirchen/Sieg) wurden wegen ihrer Verdienste um die Gesellschaft zu Ehrenmitgliedern ernannt. Die Johannes-Valentin-Medaille in Bronze erhielten Barbara Wittor, langjährige Leiterin der Regionalgruppe Sachsen, sowie Dr. Michael Michalak für seine beständige und umsichtige Amtsführung als ebenfalls langjähriger Schatzmeister der DGGP. Die Johannes-Valentin-Medaille in Silber vergab die Gesellschaft für 2011 an Dr. Michael Kessler-Oeri (Basel), den Leiter des Pharmazie-Historischen Museums der Universität Basel, und für 2012 an Dr. Irene Lauterbach (Saarbrücken) wegen herausragender wissenschaftlicher Leistungen auf dem Gebiet der Pharmaziegeschichte.

Mit einer kurzen Einleitung in das Tagungsthema "Wissenschaftsdifferenzierung in der Pharmazie – Entwicklung pharmazeutischer Zweigdisziplinen" leitete Prof. Friedrich zum wissenschaftlichen Teil des Programms über.


Verdiente Pharmaziehistoriker und Mitglieder der DGGP (v. li.): Dr. Michael Kessler-Oeri, Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Dr. Irene Lauterbach, Barbara Wittor, Prof. Dr. Peter Dilg, Dr. Michael Michalak.

Die klassischen Zweigdisziplinen der Pharmazie

Die ersten drei Vorträge widmeten sich den klassischen pharmazeutischen Fächern Pharmazeutische Chemie, Pharmazeutische Biologie und Pharmazeutische Technologie. Was heute geradezu als Kanon in der universitären Forschung und Lehre gilt, musste sich mühsam den Weg an die Hochschule bahnen.

Wie Prof. Dr. Horst Remane und Prof. Dr. Peter Nuhn (beide Halle) darlegten, stieß die Verselbstständigung der Pharmazeutischen Chemie an vielen Universitäten auf erheblichen Widerstand der Chemiker. Obwohl die Chemiker selbst einst aus der Pharmazie hervorgegangen waren, galt im fortschrittswütigen 19. Jahrhundert die Ausbildung von Apothekern, denen immer noch der Ruf des Handwerklichen anlastete, als eher unattraktiv. An den Beispielen Marburg, Halle und Leipzig vermochten die Vortragenden zu zeigen, wie sehr es glücklicher Umstände, fleißiger Dozenten und beharrlichen Durchsetzungsvermögens Einzelner bedurfte, ehe eigene Institute errichtet werden konnten. Die 1921 erfolgte Einführung des Abiturs als Voraussetzung zum Pharmaziestudium brachte nur vereinzelt Verbesserungen; die Schließung mehrerer Institute durch die Nazis 1938 im Zuge der Kriegsvorbereitungen kann als Rückschlag bezeichnet werden. Doch insbesondere die Lehrbücher für Pharmazeutische Chemie von E. Schmidt über H. Thoms bis hin zu H. Auterhoff sorgten für eine Kontinuität dieser Zweigdisziplin, die allerdings im 20. und 21. Jahrhundert tiefgreifende Veränderungen erfuhr. Der erste Paradigmenwechsel führte um 1960 von der Analytik und Synthese der Arzneimittel hin zur Untersuchung der Wirkstoffgruppen unter pharmakologischen Aspekten. Der zweite Paradigmenwechsel um 1980 bedingte einen erneuten Umschwung zur medizinischen Chemie, die die Entwicklung von Arzneistoffen zum Gegenstand hat.

Der neue Vorstand der DGGP: Präsidentin Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou und Vizepräsident Dr. Dr. Thomas Richter.

Wie die Pharmazeutische Chemie musste sich auch die Pharmazeutische Botanik – allerdings zunächst als Pharmakognosie – ihren Weg an die Universität erkämpfen. Priv.-Doz. Dr. Sabine Anagnostou verfolgte diesen Weg, der von der medizinischen Disziplin "Materia medica" seinen Ausgang nahm. Zunächst als Unterricht für Ärzte (und wenige Apotheker) zur Prüfung auf Echtheit und Verfälschungen der Arzneimittel aus den drei Naturreichen gedacht, entwickelte sich das Fach Ende des 19. Jahrhunderts unter den Pharmakognosten F. A. Flückiger in Straßburg und A. Tschirch in Bern von einer Drogenkunde zur Drogenwissenschaft. Doch an den meisten deutschen Universitäten fehlten eigene Institute und Lehrstühle. Ilse Esdorn lehrte als erste Frau ab 1932 Pharmakognosie in Hamburg. Nach 1945 entstand in Braunschweig ein Institut für Pharmakognosie, und Kurt Mothes gelang es trotz mancher Widrigkeiten, 1958 zu DDR-Zeiten in Halle ein Ordinariat für die Biochemie der Pflanzen zu besetzen. Er kann als Begründer der modernen Pharmazeutischen Biologie gelten, die sich insbesondere der Erforschung pflanzlicher Sekundärstoffe widmet. Heute befasst sich die Pharmazeutische Biologie auch mit der Molekularbiologie und wird so auch am IPMB in Heidelberg gelehrt.

Prof. Dr. Christoph Friedrich (Marburg) zeigte eine ähnliche Genese für das Fach Pharmazeutische Technologie auf, das früher lange Zeit als Galenik bezeichnet wurde. In die Lehrbücher hatte die Galenik als "Lehre der Apothekerkunst" seit K. G. Hagen Ende des 18. Jahrhunderts Eingang gefunden. Viele Apotheker des 19. Jahrhunderts, unter ihnen J. A. Buchner, J. W. Döbereiner und C. F. Mohr, verfassten wissenschaftliche Werke, in denen die Arzneimittelherstellung behandelt wird, doch ein Aufstieg als Fach an den Universitäten blieb der Galenik zunächst, da zu sehr mit dem Handwerk des Apothekers verbunden, verwehrt. Auch die Entwicklung einer galenischen Industrie führte zunächst nicht zur Einfügung galenischer Lehrveranstaltungen an den Universitäten. Erst in der NS-Zeit kam es in Braunschweig zur Errichtung eines Instituts für Angewandte Pharmazie unter der Leitung von W. Kern. Weitere Abteilungsgründungen folgten, so 1941 unter F. Gstirner in Posen.

Nach 1945 konnte sich zunächst in der DDR das Fach "Galenik und pharmazeutische Technik", das nach dem Studienplan von 1951 an allen Universitäten gelehrt wurde, etablieren. In der Bundesrepublik hatte W. Awe 1950 einen Lehrstuhl für "Angewandte Pharmazie" besetzen können; 1959 entstand hier ein eigenes Institut. Der pharmazeutische Chemiker E. Bamann gründete in München eine Galenische Abteilung, die Frau E. Ullmann leitete, die ihrerseits erst 1977 einen eigenen Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie erhielt.

Damit hatte sich diese Zweigdisziplin – durch Prüfungs- und Studienordnungen gefördert – ebenfalls etabliert, sodass nun die Trias Pharmazeutische Chemie, Pharmazeutische Biologie und Pharmazeutische Technologie nicht mehr aus dem Curriculum des Pharmazieunterrichts wegzudenken war. Eine Bresche in diese pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Festung zu schlagen, musste jeder anderen pharmazeutischen Zweigdisziplin schwerfallen.

Neue Disziplinen drängen nach

Dr. Ulrich Meyer (Berlin) zeigte anhand der Pharmakologie, dass es nur teilweise gelang, diese neue Zweigdisziplin der Pharmazie zu etablieren. Nachdem die Prüfungsordnung für Apotheker aus dem Jahr 1934 die Pharmakologie als Lehr-, wenn auch nicht als Prüfungsfach vorgesehen hatte, erschienen erste Lehrbücher der Pharmakologie für Apotheker, so beispielsweise das Werk von H. Fühner. Nach dem Krieg entstanden in der Bundesrepublik zwar einige Abteilungen für Pharmakologie, die die meisten Universitätsmediziner jedoch ablehnten. Der Streit um eine Reform der Studienordnung unter Berücksichtigung der Pharmakologie zog sich bis 1971 hin, als die Pharmazeutische Technologie und die Pharmakologie zu Prüfungsfächern aufstiegen. Daraufhin entstanden in Marburg, Frankfurt am Main und Tübingen eigene Lehrstühle für Pharmakologie für Naturwissenschaftler. In der DDR war das Fach hingegen bereits seit 1951 Lehr- und Prüfungsfach gewesen.

Einflüsse anderer Staaten auf die Disziplingenese

Einen Ausblick auf die Verhältnisse in Frankreich und der Schweiz bot François Ledermann (Bern) anhand der Fachliteratur. Während in Frankreich mit der 1803 gegründeten Pharmazieschule in Paris mit den Lehr- und Prüfungsfächern Pharmazie, Chemie, Botanik und Arzneikunde über die Zeiten ein relativ stabiles Fächersystem bestand, hatte die Schweiz mit kantonalen Unterschieden zu kämpfen. Hier waren es vor allem wieder F. A. Flückiger und A. Tschirch in Bern, die für eine Differenzierung und anschließende Festigung der pharmazeutischen Fächer sorgten.

Die international gelehrte und forschende Sozialpharmazie stellte Prof. Dr. Marion Schäfer (Berlin) vor. Ausgehend von Anregungen aus den USA, eine "pharmacy administration" oder "social pharmacy" als Fach in der universitären Ausbildung zu verankern, kam es 1968 zur Einführung des Faches Sozialpharmazie in der DDR. Unter dem Einfluss von H.-J. Seidlein in Greifswald entstand 1984 ein Lehrprogramm auf wissenschaftlicher Basis mit Praxisnähe, das einen erheblichen Nutzen für das mehrheitlich verstaatlichte Apothekenwesen der DDR bot. Andere sozialistische Staaten, aber auch Skandinavien und die USA entwickelten ähnliche Konzepte, die teils bis heute universitär weitergeführt werden. Trotz des engagierten Einsatzes der Bundestagsabgeordneten der Bündnis 90/Grünen, Prof. Dr. Erika Hickel aus Braunschweig, fiel die Sozialpharmazie der Wende von 1989 zum Opfer und ist seitdem nicht mehr an deutschen Universitäten vertreten.

Den Weg der Klinischen Pharmazie verfolgte Priv.-Doz. Dr. Axel Helmstädter (Marburg u. Frankfurt/Main) und zeigte, dass auch die "clinical pharmacy" ihren Ausgang von den USA nahm. P. Parker forderte 1967, dass die Arzneimitteltherapie von den Apothekern überwacht werden sollte, eine Forderung, der sich Eugene White mit seinem Beratungszentrum 1983 anschloss. Da man in den USA bemerkt hatte, dass auch im Krankenhaus Medikationsfehler auftraten, entschloss man sich, 1962 in Lexington/Kentucky ein professionelles Arzneiinformationszentrum für die "unit-dose"-Versorgung aufzubauen; ab 1966 folgte das "ninth floor project", das eine Versorgung der Patienten im Krankenhaus durch Apotheker vorsah. Das "Karlsruher Modell" von H.-J. Meyer forderte ab 1977 eine Begleitung der Ärzte im Krankenhaus durch Apotheker, aber erst 1998 gab die DPhG eine Definition der "clinical pharmacy". Trotz mancher Widerstände der traditionellen pharmazeutischen Fächer, die Wissenschaftsmessungen verlangten, fand die Klinische Pharmazie Eingang in die Approbationsordnung von 2001.

Die Arzneimittelkontrolle als Zweigdisziplin untersuchte Prof. Dr. Berthold Göber (Berlin) und wies darauf hin, dass dieses Fach in der DDR eine gesicherte Stellung im universitären Curriculum innehatte. 1973 schuf man den Fachapotheker für Arzneimittelkontrolle, und in der DPhG der DDR wurde eine eigene Fachgesellschaft gegründet. Zu Recht wies Göber darauf hin, dass dieser Disziplin auch heute noch eine große Bedeutung zukommt, zumal sich im Internet-Versandhandel die Arzneimittelfälschungen häufen.

Dr. Christiane Staiger, Neu Isenburg, erläuterte die sich an das Studium anschließende Weiterbildung der Apotheker. Auch hier waren die USA Vorreiter, denn bereits 1921 forderte Edgar C. Austin eine Weiterbildung, und 1974 legte Donald E. Frankee einen Weiterbildungsplan für Krankenhausapotheker vor. Weitere Spezialisierungen in der Weiterbildung finden sich in den USA, wo beispielsweise auch die Radiopharmazie berücksichtigt wurde. In der DDR bestand seit 1974 eine Fachapothekerordnung mit drei Fachrichtungen, die für alle Apotheker verpflichtend war und in enger Zusammenarbeit mit den Universitäten durchgeführt wurde. Die Musterweiterbildungsordnung der BAK kennt seit 2011 neun Gebiete und fünf Bereiche der Weiterbildung.

Posterpreise

Am Sonntagmorgen präsentierten die Doktoranden und Postdocs der Pharmaziegeschichte ihre ausnahmslos ansprechenden und wissenschaftlich anspruchsvollen Poster. Eine unabhängige Jury verteilte die Posterpreise: Der erste Preis ging an Andrea Jessen (Braunschweig), der zweite Preis an F. Vongehr/Prof. Dr. Friedrich (Marburg), der dritte Preis an Tanja Lidy/Priv.-Doz. Dr. Helmstädter (Marburg u. Frankfurt/M.).

Zum Abschluss der Tagung dankte die "incoming" Präsidentin Priv.-Doz. Dr. Anagnostou mit bewegten Worten dem Organisator auch dieser Biennale und jetzigen Altpräsidenten Prof. Dr. Christoph Friedrich für sein achtjähriges Wirken als Präsident.


Wolf-Dieter Müller-Jahncke



DAZ 2012, Nr. 19, S. 80

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