Arzneimittel und Therapie

Regelmäßiges PSA-Screening für alle Männer?

Benefit und Nachteile sorgfältig individuell abwägen

Nach einem Follow up von neun Jahren konnte eine europäische Studie (ERSPC), die die Auswirkungen von regelmäßigem Screening des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) untersucht hatte, eine signifikante 20%ige Reduktion des relativen Risikos zeigen, an Prostatakrebs zu sterben. Nach elf Jahren betrug die Reduktion des Mortalitätsrisikos sogar 29%. Jedoch war unklar, inwieweit diese regelmäßigen Untersuchungen, potenziell zu heftiger Therapien und deren Nebenwirkungen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Männer hatte. Eine Studie, die soeben im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, ging dieser Frage nach.
Ohne den PSA-test würden sehr viel mehr Männer ihre Krebserkrankung erst dann bemer-ken, wenn sie bereits Metastasen haben. Seit Einführung des PSA-Tests sind weniger Männer an Prostatakrebs gestorben als zuvor. Der Nutzen des PSA-Screenings wird kontrovers diskutiert: Werden durch die frühe Diagnose nicht zu viele Patienten unnötig behandelt, die eine langsam wachsende und damit nicht tödliche Form des Krebses haben? Foto: Doc Rabe Media – Fotolia.com

Grundlage für die aktuelle Publikation waren die Follow-up-Ergebnisse der ERSPC-Studie nach elf Jahren. Initiiert in den frühen 1990er Jahren untersuchte die ERSPC-Studie in sieben Ländern bei 162.243 Männern den Effekt des PSA-Screenings auf die Verringerung des Mortalitätsrisikos durch Prostatakrebs. In den meisten Ländern war ein PSA-Wert von 3,0 ng/ml eine Indikation für eine Biopsie, in einigen erst ein Wert von 4,0 ng/ml. Bei Werten zwischen 2,5 ng/ml und 4 ng/ml wurden zusätzliche Tests durchgeführt. Die Behandlung erfolgte entsprechend den lokalen Therapieleitlinien der jeweiligen Studienzentren. Das Screening-Intervall betrug vier Jahre, außer in Schweden, wo alle zwei Jahre gescreent wurde. Zielparameter im Follow up waren die Zahl an aufgetretenen Prostatakrebsfällen, die entsprechende Behandlung, Todesfälle und Lebensqualität adjustierte Lebensjahre (QALYs), die durch das PSA-Screening gewonnen wurden. Zur Ermittlung der QALYs gingen Kosten-Effektivitätsanalysen, aber auch Faktoren der Nützlichkeit einer Therapie und das Auftreten von Komplikationen wie Harninkontinenz, Funktionsstörungen des Darms und erektile Dysfunktion in die Bewertung ein. Auf der Grundlage dieser Daten wurde eine Mikrosimulations-Screening-Analyse (MISCAN) durchgeführt, mit deren Hilfe die ERSPC-Daten auf andere Screening-Intervalle extrapoliert werden konnten.

Ist ein jährliches Screening angebracht?

Zunächst wurde festgestellt, dass Männer, bei denen der Prostatakrebs während des Screenings diagnostiziert wurde, weniger Symptome aufwiesen, als diejenigen, deren Krebs erst klinisch aufgefallen war. Dieser Unterschied könnte aber auch durch das Alter zustande gekommen sein, weil die Diagnose in der nicht gescreenten Gruppe später gestellt wurde.

Mithilfe der ERSPC-Daten und des MISCAN wurde nun die Lebenszeit von 1000 Männern modelliert und der Effekt eines jährlichen PSA-Screenings von Männern im Alter von 55 und 69 Jahren verglichen mit nicht gescreenten Männern. Die Modellanalyse ergab, dass bei jährlichem Screening die Anzahl an diagnostizierten Prostatakrebs-Fällen von 112 auf 157 Fälle ansteigen würde, was einem Anstieg des relativen Risikos um 40% entspräche. Die Zahl der Todesfälle würde aber gleichzeitig sinken von 31 auf 22 Fälle (28%ige Reduzierung des relativen Risikos), 14 Männer weniger würden eine palliative Therapie erhalten (- 35%) und absolut würden bei einem jährlichen Screening 73 Lebensjahre durch die Verhinderung des Prostatakrebs-Todes gewonnen.

Gleichzeitig zeigte das Modell aber auch, dass es zu 247 zusätzlichen, negativen Biopsien käme, und 41 zusätzliche Männer würden einer radikalen Prostatektomie oder Bestrahlung unterzogen. Es würde zu überflüssigen Diagnosen und Therapien und daraus resultierenden nicht notwendigen Nebenwirkungen kommen. Die Zahl an gewonnenen Lebensqualität adjustierten Jahren betrüge demnach nur 56, also 23% weniger im Vergleich zu den nicht-adjustierten Lebensjahren.

Weitere Empfehlungen für Screening-Strategien

Der Benefit des PSA-Screenings, der sich in der ERSPC-Studie nach neun Jahren gezeigt hatte, wird insofern etwas eingeschränkt durch den Verlust an Lebensjahren, die an die Lebensqualität der Männer adjustiert (QUALYs) wurden. Denn durch potenzielle Überdiagnosen und Übertherapien kommt es nicht selten zu vermeidbarer Toxizität. So wurden in oben beschriebenem Basismodel 104 Krebsfälle detektiert, davon stellten sich aber 45 (43%) als überdiagnostiziert heraus. Eine „Überdiagnose“ wurde definiert als Detektion von Prostatakrebs während der Screening-Periode, die während der gesamten Lebenszeit des Mannes aber niemals klinisch diagnostiziert worden wäre, wenn der Patient niemals gescreent worden wäre.

Eine Ausweitung des Screenings bis zum Alter von 74 Jahren führte zu einem Gewinn von 82 Lebensjahren und einer weiteren Verringerung der Anzahl an Todesfällen durch Prostatakarzinome, aber durch eine erhebliche Zahl an Überdiagnosen nur zu einem Gewinn an 56 QUALYs. Einzelne Screenings nur im Alter von 55, 60 und 65 Jahren wurden auch modellhaft untersucht. Es käme zu weniger diagnostizierten Krebsfällen als beim jährlichen Screening, aber auch zu weniger Überdiagnosen. Egal in welchem Intervall gescreent wird, ist es in jedem Fall notwendig, Benefit und Nachteile eines regelmäßigen PSA-Screenings abzuwägen. Daten eines Langzeit-Follow-ups sowohl der ERSPC-Studie als auch der Analysen der Lebensqualität sind notwendig, bevor allgemeine Empfehlungen bezüglich des Screening-Intervalls ausgesprochen werden. Auf jeden Fall müssten, so die Autoren, Strategien entwickelt werden, um die Anzahl an Überdiagnosen zu verringern. So könnte eine noch aktivere Überwachung und ein Herauszögern der Therapie bis zum Auftreten früher Krankheitssymptome sicher auch die Zahl an gewonnenen QUALYs erhöhen. Auch in Abhängigkeit vom Komorbiditätsstatus des Patienten könnten optimale Screening-Strategien entwickelt werden. Für allgemeine Empfehlungen sollte als nächster Schritt auch die Kosten-Effektivität des Screenings betrachtet werden.


Quelle

Heijnsdijk E. et al.: Quality-of-Life Effects of PSA-Screening. NEJM (2012) 367: 595-605.

Schröder FH, et al.: Screening and prostate-cancer mortality in a randomized European study. NEJM (2009) 360:1320 – 1328.


Apothekerin Dr. Annette Junker



DAZ 2012, Nr. 34, S. 34

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