Arzneimittel und Therapie

Mysteriöse Immunschwäche

Aids-ähnliche Symptome ohne HIV-Infektion

Seit 2004 beobachten Spezialisten bei schwerkranken Erwachsenen Symptome, die verblüffend stark denjenigen von Aids-Patienten ähneln, wobei die Betroffenen jedoch HIV-negativ sind. Meist stammen diese Patienten aus Ostasien. Sie werden von opportunistischen Infektionen geplagt, die teils schwerste Symptome verursachen. Derartige Fälle wurden nun systematisch untersucht und die Ergebnisse im New England Journal of Medicine publiziert. Als Ursache für die Aids-ähnliche Erkrankung fand man Autoantikörper gegen Interferon γ (IFN-γ). Kommt hier eine neue Bedrohung, ähnlich wie Aids, auf die Menschheit zu?

Ein Forscherteam unter der Federführung von Sarah Browne vom US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda untersuchte die Fälle, die schon merkwürdig sind: Ursprünglich gesunde Erwachsene klagen über Infektionen, die bei genauerer Untersuchung durch Salmonella und Nicht-tuberkulöse-Mykobakterien verursacht wurden. Diese Erreger gehören zu den Auslösern opportunistischer Infektionen, die dann auftreten, wenn das Immunsystem stark geschwächt ist. Bei Aids-Patienten beobachtet man solche Infektionen, da das HI-Virus bekanntlich die Zahl der T-Helferzellen dezimiert, wodurch das Immunsystem quasi zusammenbricht.

Die Untersuchung in Taiwan und Thailand

In der von Browne und Kollegen durchgeführten Studie wurden insgesamt 203 Probanden genauer untersucht (s. Tabelle). Es wurden fünf Gruppen gebildet: Bei den Patienten in Gruppe 1 war ausschließlich eine nicht-tuberkulöse Mykobakterien-Infektion diagnostiziert worden. Patienten in Gruppe 2 litten an anderen opportunistischen Infektionen, zum Teil zusätzlich an einer nicht-tuberkulösen Mykobakterien-Infektion. In Gruppe 3 befanden sich neun Patienten mit einer disseminierten Tuberkulose, während in Gruppe 4 Fälle mit Lungen-Tuberkulose zusammengefasst waren. Als Kontrolle dienten 48 Blutspenden gesunder Probanden in Gruppe 5. In den Gruppen 1 und 2 befanden sich also genau die Patienten, die aufgrund einer Immunschwäche an einer opportunistischen Infektion litten. Allerdings waren alle diese Patienten HIV-negativ und die Zahl ihrer CD4+-T-Zellen lag auch im Normbereich. Da bei den Patienten keine familiäre Häufung auftrat, konnte auch eine Erbkrankheit, die mit einem Defekt des Interleukin-12-abhängigen IFN-γ-Signaltransduktionsweges assoziiert ist, ausgeschlossen werden.


Charakteristika der Studienteilnehmer

Gruppe 1
(n = 52)
Gruppe 2
(n = 45)
Gruppe 3
(n = 9)
Gruppe 4
(n = 49)
Gruppe 5
(n = 48)
Alter (median)
18 – 78 (50)
22 – 69 (49)
21 – 74 (38)
18 – 77 (43)
21 – 62 (38)
Anzahl mit Anti-IFN-γ-Antikörper (%)
42 (81)
43 (96)
1 (11)
1 (2)
1 (2)


Was war es dann? Fündig wurden die Wissenschaftler bei Antikörpern, die IFN-γ abfangen. Mit hoher Inzidenz hatten die Patienten, die an den opportunistischen Infektionen litten, Autoantikörper gegen IFN-γ entwickelt. Vereinzelt wurden auch Anti-IFN-γ-Autoantikörper bei Patienten der Gruppen 3 bis 5 detektiert (siehe Tabelle). Diese besaßen jedoch keine IFN-γ-neutralisierenden Eigenschaften, so dass die Funktion des Zytokins trotz des Vorhandenseins der Autoantikörper erhalten blieb.

Wahrscheinlich ist die Krankheit viel weiter verbreitet, als das bisher bekannt ist, denn die Autoren spekulieren, dass etliche Patienten fälschlicherweise als Tuberkulose-Patienten diagnostiziert werden. Dass diese Antikörper bisher fast ausschließlich bei Asiaten gefunden wurden, legt nahe, dass eine genetische Prädisposition sehr wohl eine Rolle spielen könnte.

Derzeit ist die Krankheit nur unzureichend zu behandeln, denn trotz einer antimikrobiellen Therapie zeigen die Patienten starke Krankheitssymptome. Allerdings sind nun nach Identifizierung der Krankheitsursache Interventionsoptionen denkbar, die darauf abzielen, die gefährlichen Autoantikörper, beispielsweise durch die Gabe therapeutischer Antikörper zu eliminieren.


Quelle

Browne, S. K.; et al.: Adult-Onset Immunodeficiency in Thailand and Taiwan. N Engl J Med (2012) 367: 725-734.


Prof. Dr. Theo Dingermann,
Dr. Ilse Zündorf,
Institut für Pharmazeutische Biologie,
Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt, dingermann@em.uni-frankfurt.de



DAZ 2012, Nr. 35, S. 39

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