DAZ aktuell

Krankenkassen horten Überschüsse

Pharmabranche sieht keinen Grund für Aufrechterhaltung von Zwangsmaßnahmen

BERLIN (ks). Das Finanzpolster der gesetzlichen Krankenkassen wird immer komfortabler. Letzte Woche vermeldete das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die vorläufigen Finanzergebnisse für das 1. Halbjahr 2012. Danach erzielten die Kassen einen Überschuss von rund 2,70 Mrd. Euro.
Üppige Rücklagen auf den Konten der Krankenkassen. Der Gesundheitsminister möchte, dass es u. a. für Entlastungen der Versicherten verwendet wird. Foto: Unclesam – Fotolia.com

Zugleich summieren sich die Rücklagen bei den Kassen wie auch im Gesundheitsfonds: Gemeinsam verfügten sie Ende Juli rechnerisch über Finanzreserven in Höhe von rund 21,8 Mrd. Euro. Eines stellte das BMG sofort klar: Diese Zahlen geben keinen Anlass, bei den Sparmaßnahmen im Arzneimittelbereich zurückzudrehen.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) freut sich über die positiven Zahlen. Und damit erst gar keine Begehrlichkeiten aufkommen können, erklärte er anlässlich ihrer Präsentation: "Die Überschüsse sind das Geld der Versicherten und Patienten. Sie sollen profitieren durch Leistungsverbesserungen und Entlastungen. Krankenkassen sind keine Sparkassen." Diesen Appell wiederholt der Minister stets auf Neue. Denn obwohl von der positiven Finanzentwicklung dem BMG zufolge ausnahmslos alle Krankenkassen profitieren, sind es nach wie vor wenige, die Prämienauszahlungen vornehmen. Es handele es sich überwiegend um kleinere Kassen mit insgesamt rund 700.000 Versicherten, so das BMG. Dies seien gerade einmal 1 Prozent der über 70 Millionen GKV-Versicherten.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), pflichtete Bahr bei. Es sei "falsch, dass Kassen Milliarden an Beitragsgeldern horten". Beitragszahler sollten endlich in Form von Prämien davon profitieren, dass ihre Kasse gut wirtschaftet. "Notfalls müssen wir das gesetzlich noch einmal klarstellen", so Spahn. Die Reserve für schlechte Zeiten, so betont er, werde im Gesundheitsfonds gehalten.

GKV: Rücklagen können schnell schmelzen

Der GKV-Spitzenverband relativierte die aktuellen Finanzergebnisse rasch: Sie seien zwar "ein gutes Signal, denn sie bestätigen die solide Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung", erklärte Sprecher Florian Lanz. Allerdings dürften die hohen Summen den Blick nicht darauf verstellen, dass der Überschuss aus dem ersten Halbjahr 2012 lediglich einer Reserve von fünf Tagen entspreche. Überdies habe der Gesundheitsfonds ein Minus von fast 500 Millionen Euro gemacht. Durch den gekürzten Bundeszuschuss und stetig steigende Leistungsausgaben könnten die Rücklagen der Krankenkassen schnell schmelzen. Lanz betonte weiterhin, dass jede einzelne Krankenkasse aufgrund ihrer individuellen wirtschaftlichen Situation "verantwortungsbewusst und eigenverantwortlich" darüber entscheide, ob sie einen Zusatzbeitrag nimmt, eine Prämie zahlt oder besondere Zusatzleistungen anbietet. Dies seien gerade ihre Mittel zum Wettbewerb – denn der Beitragssatz ist schließlich gesetzlich festgeschrieben.

Arzneimittelausgaben im Fokus

Besondere Beachtung schenkt das Ministerium auch den Arzneimittelausgaben. Sie sind im 1. Halbjahr 2012 um 3,1 Prozent auf 15,83 Mrd. Euro gestiegen (17 Prozent der Gesamtausgaben). Dieses Plus ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der im vergangenen Jahr spürbar gesunkenen Arzneimittelausgaben zu sehen. Und so weist auch das BMG darauf hin, dass die Kosten für Medikamente trotz dieser Zuwachsrate im 1. Halbjahr 2012 immer noch um rund 560 Mio. Euro unterhalb der Ausgaben des 1. Halbjahres 2010 lagen. Dieser Vergleich zeige, dass das Arzneimittel-Sparpaket, das die Bundesregierung in 2010 auf den Weg gebracht hatte, weiterhin Wirkung entfalte. Er mache aber auch deutlich, dass andere finanzwirksame Maßnahmen – insbesondere das bis Ende 2013 befristete Preismoratorium und der erhöhte Herstellerrabatt für Nicht-Festbetragsarzneimittel – weiterhin erforderlich seien. Hätte die Bundesregierung den erhöhten Herstellerrabatt und das Preismoratorium frühzeitig aufgehoben – wie von der Industrie gefordert – , läge der aktuelle Zuwachs wieder im annähernd zweistelligen Bereich, so das BMG.

Das Ministerium konstatiert weiterhin, dass das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) die Rahmenbedingungen für Wirtschaftlichkeit und Preiswettbewerb in der Arzneimittelversorgung dauerhaft verbessert habe. Die frühe Nutzenbewertung und die anschließenden Preisverhandlungen seien "entscheidende Schritte, um die Ausgabendynamik, die bislang immer von den patentgeschützten Arzneimitteln ausging, in den Griff zu bekommen". Das BMG verweist zudem darauf, dass die Kassen im ersten Halbjahr 2012 auch im Festbetragsbereich sparen konnten: Die durch Rabattverträge erzielten Einsparungen werden auf 844 Mio. Euro beziffert – im 1. Halbjahr 2011 waren es noch 689 Mio. Euro. Neben den Rabattvereinbarungen habe auch die Einführung neuer Festbeträge zu finanziellen Entlastungen in diesem Bereich beigetragen, so das Ministerium.

Höhere Klinikkosten, stagnierende Verwaltungsausgaben

In den anderen größeren Leistungsbereichen ist die Entwicklung der Ausgaben unterschiedlich verlaufen. In der ambulanten ärztlichen Behandlung wuchsen sie um 2,1 Prozent je Versicherten auf 17,11 Mrd. Euro. Der Anstieg bei den Ausgaben für Krankenhausbehandlungen lag bei 3,4 Prozent. Insgesamt flossen in den größten GKV-Kostenblock 31,8 Mrd. Euro.

Die Netto-Verwaltungskosten der Krankenkassen gingen im 1. Halbjahr 2012 mit 0,1 Prozent je Versicherten geringfügig zurück. Da es im Gesamtjahr 2011 einen Ausgabenrückgang von 1 Prozent gab, erwartet das BMG, dass die gesetzliche Ausgabenbegrenzung auch in diesem Jahr insgesamt eingehalten werden kann. Danach sind die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, die Verwaltungsausgaben 2012 (wie die des Jahres 2011) auf das Niveau des Jahres 2010 zu begrenzen.



DAZ 2012, Nr. 37, S. 26

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