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Apotheker als Versorgungsforscher?
Dr. Verheyen promovierte im Fach Pharmakoepidemiologie/Sozialpharmazie an der Humboldt-Universität in Berlin und kennt sich gut mit den Arbeitsbedingungen in den Apotheken aus. Wir fragten ihn, unter welchen Voraussetzungen die Apotheken für die Versorgungsforschung durch wissenschaftliche Institute der Krankenkassen interessant werden könnten.
DAZ: Herr Dr. Verheyen, Versorgungsforschung wird für alle Bereiche des Gesundheitswesens immer wichtiger. Wie schätzen Sie die Vorraussetzungen in den öffentlichen Apotheken ein, sich an dieser Forschung zu beteiligen?
Verheyen: Durch das Studium sind dem Apotheker (nur) zum Teil Mittel an die Hand gegeben worden. Zum Beispiel werden im Bereich Klinische Pharmazie gesundheitswissenschaftlich relevante Themen wie Pharmakoepidemiologie, Pharmakoökonomie, Design klinischer Studien und von Aspekten zur Messung von Lebensqualität gelehrt. Allerdings macht die Klinische Pharmazie im Verhältnis zu den anderen Pharmazeutischen Fächern nur einen sehr kleinen Teil des Lehrplanes aus.
Ein Problem ist sicherlich der durchgetaktete Arbeitstag in der Apotheke mit wenig Zeit, Raum und Personal für Tätigkeiten, die nicht direkt zum Betreiben der Apotheke gehören.
Positiv zu erwähnen sind die von der ABDA entwickelten Leitlinien zur Beratung und die Einführung von QMS in vielen Apotheken, die standardisierte Abläufe und Beratung ermöglichen und so den Apotheker befähigen können, gesundheitswissenschaftlich aktiv zu werden.
DAZ: Nun sind ja alle Einrichtungen des Gesundheitswesens aufgerufen, sich an der Versorgungsforschung zu beteiligen. Welche Vorteile hat da die Einbindung der Apothekerinnen und Apotheker in die gesundheitswissenschaftliche Forschung?
Verheyen: In der Apotheke hat man unbestritten den einfachsten Zugang zum Patienten. Auch sensible Patientengruppen, Schwangere etwa, können durch das Vertrauensverhältnis zum Apothekenpersonal erreicht werden. Man erhält Informationen zum tatsächlichen Umgang des Patienten mit dem Arzneimittel und der Arzneimittelwirkung im realen Leben. Diese Primärdaten können eine wertvolle Ergänzung zu Routinedaten, beispielsweise aus Verordnungsanalysen, sein. Die anlassbezogene Befragung von Patienten stellt daher die beste Möglichkeit dar, sich als Apotheke in die Forschung einzubringen, auch wenn die Erhebung klinischer Parameter theoretisch ebenso möglich und auch sinnvoll wäre.
DAZ: Und was spricht Ihrer Meinung nach dagegen?
Verheyen: Erstmal, diese Möglichkeit hat auch die Arztpraxis, die Klinik und zum Teil sogar die Krankenkasse selbst. Es handelt sich also nicht um ein Alleinstellungsmerkmal der Apotheken. Werden klinische Parameter gemessen, müssen enorme Ansprüche an die Qualität der Messmethoden und den Umgang mit den Messdaten erfüllt werden. Ich sehe ganz wenige Apotheken in der Lage dazu; auf jeden Fall sind die Bedingungen sehr unterschiedlich in den einzelnen Apotheken. Die Datenvalidität bei Selbstauskunft von Patienten ist allgemein als eher gering einzustufen.
DAZ: Wo gibt es denn bereits heute im Bereich Gesundheitswissenschaften Berührungspunkte zwischen Apotheken und Krankenkassen?
Verheyen: Wir haben in den letzten Jahren Studien zu den Themen Arzneimittelsicherheit, Polymedikation, Suchtverhalten bei Arzneimitteln und Arzneimittelmanagement durchgeführt. Bei all diesen Themen ist eine Zusammenarbeit mit Apotheken gut denkbar oder bereits praktiziert worden. Ein Thema der Zukunft ist zum Beispiel "Optimierung der Arzneimitteltherapie bei Kindern". Auch dafür haben wir schon mit Apothekerverbänden in Hinblick auf eine Mitarbeit diskutiert.
DAZ: Welche Interessen und Mittel haben die Krankenkassen, solche Studien durchzuführen?
Verheyen: Primäres Ziel für uns ist immer die Optimierung der Versorgung. Dafür brauchen wir einen möglichst umfassenden Einblick in die Patientencharakteristika. Unsere Beratungsinstrumente wollen wir immer weiter optimieren, damit sie in der gelebten Realität bessere klinische Ergebnisse ergeben. Natürlich haben wir auch immer die Kostenoptimierung im Blick.
Ganz wichtig ist auch, welche Einstellung hat der Patient zum Arzneimittel? Schließlich wollen wir den Patienten befähigen, seine Therapie selbst zu managen.
Mittel für die Forschung zu bekommen ist außerordentlich schwierig. Der Nutzen für die Versicherten muss immer klar erkennbar sein, das Wirtschaftlichkeitsgebot muss eingehalten werden.
DAZ: Welche Anforderungen stellen sich an die Apotheken, damit diese an Versorgungsforschung teilnehmen können und die Ergebnisse dann auch vom Gesetzgeber bzw. den Krankenkassen zur Kenntnis genommen werden?
Verheyen: Zuerst einmal müssten viele Apotheker ihre leider immer noch vorhandene Ablehnung gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Gesetzlichen Krankenversicherung ablegen. Methodische und organisatorische Standards müssen bei der Durchführung von Studien unbedingt eingehalten werden, und da handelt es sich um hochkomplexe Strukturen. Man braucht ein gut funktionierendes QMS, geschultes Personal, Mehrarbeit, eine Umstellung der Arbeitsabläufe etc.
Sehr wichtig ist weiterhin, dass die Studien ergebnisoffen durchgeführt werden. Planung und Auswertung dürfen nicht zum Vorteil, aber natürlich auch nicht zum Nachteil der Apothekerschaft beeinflusst werden. Man muss sich darüber klar sein, dass zum Beispiel Studien im Rahmen des Arzneimittelmanagements durch Apotheker oder Apothekerinnen nicht zwangsläufig ein positives Ergebnis zeigen. Das gilt gerade für harte Endpunkte wie Lebensqualität, Krankenhauseinweisungen oder Sterblichkeit. Studien in der Vergangenheit haben da durchaus widersprüchliche und uneindeutige Ergebnisse gebracht. Eine Zusammenarbeit mit der GKV und eine Anerkennung der Studienergebnisse durch den Gesetzgeber können nur erfolgen, wenn unabhängig und ergebnisoffen geforscht wird.
DAZ: Wie schätzen Sie die Lage nun ein: Haben Krankenkassen per se Interesse daran, den Apotheker in solche Studien zur Versorgungsforschung konkret mit einzubinden?
Verheyen: Ob die Einbindung der Apotheker in Studien zur Versorgungsforschung sinnvoll ist, wird sich m. E. immer nur spezifisch für ein Projekt entscheiden lassen. Bisher haben die Apotheker dieses Feld nicht systematisch besetzt, so dass weitere Anstrengungen notwendig sind, um dort auch die Struktur- und Prozessvoraussetzungen zu schaffen. Dies könnte in der Zukunft realisiert werden, bisher sind diese Einbindungen aber eher sporadischer Natur und nicht per se etabliert.
DAZ: Wie Sie selbst darlegten, ist der mit der Datenerhebung im normalen Apothekenalltag verbundene personelle und zeitliche Aufwand nicht leicht in die Arbeitsabläufe zu integrieren. Können die Apotheken für solche Leistungen eine Honorierung erwarten?
Verheyen: Wenn die Apothekerschaft und Krankenkassen eine solche Studie in Kooperation umsetzen wollten und damit gemeinsame Ziel verfolgten, ist sicherlich auch von beiden Seiten eine finanzielle Beteiligung sinnvoll. Wenn die Apotheken dagegen Daten "für" eine Krankenkasse erheben und kein Nutzen für die Apotheken entsteht, würde dies sicherlich auch vergütet werden.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Jan Giersdorf im Auftrag des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen (LIGA.NRW), Von-Stauffenberg-Str. 36, 48151 Münster.
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