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Pharmazie und Physik

Ohne Grundlagen geht es nicht!

Das pharmazeutische Wissen wird immer vielfältiger, das Pharmaziestudium immer umfangreicher. Mehr und mehr Fächer und Fakten sollen in derselben Zeit gelernt und geübt werden. Ist es da nicht an der Zeit, die Gegenstandskataloge zu entrümpeln und die Studierenden von ohnehin ungeliebten Grundlagenfächern wie der Physik zu befreien?

Editorial


Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Die Physik ist die Grundlage aller Naturwissenschaften – also auch der Pharmazie. Johannes Rybach zeigt hier an Beispielen die Bedeutung der Mechanik, der Thermodynamik, der Elektrizitätslehre und der Optik für die Pharmazie auf. So erläutert er die mechanische Größe "Kraft" anhand der intermolekularen und interpartikulären Wechselwirkungen, die zum Beispiel die Stabilität einer Suspension ganz konkret beeinflussen. Die Gesetze der Thermodynamik spielen eine wichtige Rolle bei der Faltung von Proteinen – auch bei Biologicals wie monoklonalen Antikörpern. Die Elektrizitätslehre spielt in der Analytik eine große Rolle, und ohne ein Verständnis für die Gesetze der Optik bleiben so grundlegende Verfahren wie die Spektroskopie unverständlich.

So mag der vorliegende Artikel für Studenten der unteren Semester, die ihren Physik-Schein noch vor sich haben, eine Motivationshilfe sein, sich diesem – wir finden zu Unrecht! – ungeliebten Fach zu widmen. Studierende im Hauptstudium und Approbierte können hier ihr physikalisches Grundwissen "aufpolieren".

Viel Vergnügen und eine interessante Lektüre wünscht


Ihre UniDAZ-Redaktion

Natürlich ist das eine rhetorische Frage, die in der Überschrift bereits beantwortet wird. Gerade die immer tieferen Einsichten in die Natur und die komplexeren Entwicklungen der Technik lassen die Bedeutung der Physik weiter ansteigen: Sie ist die Basis der anderen Naturwissenschaften; ohne Physik versteht man weder Chemie noch Biologie. Schon darum ist die Physik auch für die Pharmazie (und Medizin) von Bedeutung. Außerdem erklärt sie moderne technische Geräte und Diagnoseverfahren in wissenschaftlicher Tiefe. Ihre wichtigste Rolle spielt sie jedoch bei der Verknüpfung der zahllosen Fakten, als Grundierung des Wissens über Natur und Leben. Erst die Physik zeigt die Prinzipien und Zusammenhänge in den entsprechenden Wissenschaften.

Das hat durchaus Vorteile für das Studium: Wenige physikalische Gesetze bringen Struktur in die Vielzahl der Phänomene. Wer die grundsätzlichen Prinzipien verstanden hat, muss Details nicht mechanisch pauken. Zudem gibt es unmittelbare Anwendungen der Physik in Hülle und Fülle. Auf den folgenden Seiten sollen einige Beispiele aus der Pharmazie vor diesem Hintergrund erläutert werden.

Klassische Mechanik

Die klassische Mechanik hat ihre größte Bedeutung bei der Definition der zentralen physikalischen Größen: Was genau ist zum Beispiel eine Kraft? Aus den Axiomen des Isaac Newton ergibt sich der Zusammenhang "Masse mal Beschleunigung" (genauer: die zeitliche Veränderung des Impulses). Auf diese Weise gelangt man zur Einheit "Newton", die für alle Kräfte auf dieser Welt gilt, bis hin zu den elektrischen und atomaren.

Kräfte können sich überlagern und gemeinsam auf dieselbe Masse m wirken. In diesem Fall reicht zur Beschreibung des Resultats die Vektoraddition der Beschleunigungen, wie sie das volkstümliche Beispiel in Abbildung 1 zeigt. Offensichtlich kann die Radial- bzw. Zentrifugalbeschleunigung aR größer werden als die immer wirkende Erd- oder Fallbeschleunigung g, der wir unser "Gewicht" verdanken. In Suspensionen verursacht die Gewichtskraft

FG = mg

die unvermeidliche, manchmal störende Sedimentation der aufgeschwemmten Teilchen. Sollen Kolloide aber bewusst getrennt werden, setzt man sie einer Radialbeschleunigung aus, die in Ultrazentrifugen bis zu einer Million mal größer als die Erdbeschleunigung werden kann (aR ≤ 106 · g). Die Diagonale in Abbildung 1 entartet dann zur Waagerechten. Auf diese Weise lassen sich etwa Viren und Lipoproteine effektiv und schnell isolieren oder Zellen aus Blut abtrennen.

Abb. 1: Auf dem Kettenkarussell überlagert sich die Radialbeschleunigung der immer vorhandenen Erdbeschleunigung. Aus [2], Abb. 2.10
Foto: J. Rybach

Für pharmazeutische Produkte ist die Sedimentation von Nachteil, da sie die Laufzeit begrenzt. Die Gewichtskraft muss darum durch andere Kräfte kompensiert werden. Zum Beispiel beschreibt die Fluidmechanik eine Reibungskraft, die proportional zur Viskosität der Flüssigkeit ist (Gesetz von Stokes) – deren Erhöhung ist ein probates Mittel zur Stabilisierung der dispersiven Phase.

Eine noch größere Rolle spielen interpartikuläre Kräfte. Sie beruhen letztlich alle auf der Wechselwirkung elektrischer Ladungen bzw. Dipole, deren Prototyp die Coulomb-Kraft ist (siehe Abschnitt unten). Dies gilt auch für die Van-der-Waals-Kräfte, die – im Gegensatz zur bekannten Ionenbindung oder Wasserstoffbrückenbindung – auch bei ungeladenen bzw. unpolaren Molekülen auftreten. Ihr wichtigster Bestandteil ist die anziehende London-Kraft zwischen polarisierbaren Molekülen, wenn spontan und gegenseitig jeweils zwei schwache Dipole induziert werden. Diese Van-der-Waals-Kraft kann bei starker Annäherung sogar die Coulomb-Abstoßung überwiegen, da sie mit der sechsten Potenz des Abstandes zunimmt, die Coulomb-Kraft aber nur quadratisch. Bei Suspensionen kann es so zum gefürchteten Caking kommen, das auch durch Aufschütteln nicht rückgängig zu machen ist – das Arzneimittel wird unbrauchbar.

Wer ein neues Arzneimittel entwickelt, kann also bereits vom Kräfte-Gleichgewicht in einer Suspension herausgefordert werden. Als Beispiel sei die Rezeptur einer Sucralfat-Lösung angeführt, die bei der Erprobung unterschiedlicher viskositätssteigernder Stoffe immer wieder zu starker Sedimentation und Ausflockung neigte; Ursache war die Interaktion mit vom Wirkstoff freigesetzten Al3+-Ionen. Die – patentierte – Lösung bestand schließlich aus der Kombination eines speziellen Verdickungsmittels mit einem Peptisator, der das Coulomb-Potenzial (Zeta-Potenzial) der Arzneistoffpartikel vergrößerte und dadurch ihre elektrostatische Abstoßung hinreichend erhöhte.

Thermodynamik der Moleküle

Was genau ist Energie? Diese physikalische Größe wird über die mechanische Arbeit

W = F · s

("Kraft mal Weg" mit der Einheit "Newtonmeter") definiert: Arbeit kann gespeichert werden (W = E), im einfachsten Fall als potenzielle Energie Epot = m · g · h nach einer Hubarbeit.

Energie ihrerseits kann wieder in Arbeit umgewandelt werden, auch wenn sie z. B. in chemischer Form – als Bindungsenergie der Moleküle in Treibstoffen, in Kohle usw. – vorliegt. Meistens geschieht das auf dem Wege der Wärme, einer weiteren, bei Umwandlungen fast immer auftretenden Energieform.

Die wichtigste Eigenschaft der Energie ist, dass sie nicht verloren gehen kann; jeder kennt den Energieerhaltungssatz, der als 1. Hauptsatz der Wärmelehre universelle Gültigkeit hat. Es gibt jedoch einen 2. Hauptsatz, der fast noch wichtiger für die Natur und unser Leben ist. Er besagt in salopper Formulierung, dass Energie die Tendenz zur Ausbreitung bzw. gleichmäßigen Verteilung hat; nie wird sie sich von selbst konzentrieren. Zucker löst sich im Kaffee unter Wärmeabgabe auf, niemals wird er von selbst wieder kristallisieren und die Flüssigkeit aufheizen. Stets erwärmt sich ein kalter Löffel im Kaffee – obwohl er gemäß dem 1. Hauptsatz durchaus auch abgekühlt werden und seine Wärmeenergie an den Kaffee abgeben könnte!

Beschrieben wird diese Gesetzmäßigkeit durch die Entropie. Wiederum einfach formuliert ist sie ein Maß für die Ordnung eines Systems in dem Sinne, dass eine energetische Struktur vorhanden ist, zum Beispiel Temperaturunterschiede zwischen Komponenten des Systems. Größere "Unordnung", also Angleichung der Temperaturen, bedeutet höhere Entropie – nur solche Prozesse laufen in der Natur von selbst ab. In diesem Sinne verringern im oben zitierten Beispiel Kaffee und Löffel die thermische Ordnung in der Tasse, indem sie die gleiche Temperatur annehmen. Als Konsequenz dieser "alternativlosen" Entropiezunahme strebt die Natur immer einen Zustand mit der niedrigsten Gesamtenergie des Systems an.

Abb. 2: Die modellhaft vereinfachte Molekülstruktur des Enzyms Triosephosphatisomerase zeigt dessen komplizierte Faltung. Grafik: Wikimedia Commons

Solche theoretischen Ergebnisse der statistischen Physik haben praktische Konsequenzen auf allen Gebieten. (Der oft zitierte "naturgesetzliche" Ordnungszustand von Studentenbuden und Professorenzimmern kann allerdings nicht seriös mit Entropiezunahme begründet werden.) Ein wichtiges Beispiel aus der Biochemie ist die Faltung von Proteinen, etwa für eine enzymatische Funktion. In Abbildung 2 ist exemplarisch das räumliche, modellhaft vereinfachte Enzym Triosephosphatisomerase dargestellt.

Seit Jahrzehnten sind die hochkomplexen Faltungsprozesse Gegenstand intensiver Forschungen, zumal einige Krankheiten wie die Alzheimersche und Diabetes mellitus auf Fehlfaltungen von Proteinen beruhen. Für die konkrete Ausformung spielen natürlich Kräfte zwischen den Molekülbausteinen und dem umgebenden Medium – meistens Wasser – die entscheidende Rolle. Überwiegend sind das, wie im ersten Abschnitt bereits beschrieben, Brücken-Bindungskräfte, Van-der-Waals-Kräfte und die Coulomb-Kraft. Die theoretische Synthese einer stabilen Gesamtkonfiguration im Sinne der Statik ist jedoch fast aussichtslos [1].

An dieser Stelle helfen die übergeordneten Größen Energie und Entropie, die ja in der Natur immer ein Minimum respektive ein Maximum anstreben müssen. Aus energetischen Gründen muss sich "von selbst" eine dreidimensionale Struktur mit minimaler Oberfläche ausbilden. Für die Wassermoleküle in der Umgebung bedeutet das dann insgesamt eine minimale Orientierung – es resultiert also summarisch ein Minimum der Bindungsenergie. Andererseits behält das Gesamtsystem Protein-Wasser im entropischen Sinne eine maximale Unordnung, die Entropie erreicht also den höchsten möglichen Wert – darum ist die Faltung stabil.


Abb. 3: Die Brown‘sche Molekularbewegung führt zu einer zufälligen Teilchenwanderung („random walk“), wie sie für die Diffusion typisch ist. Aus [2], Abb. 4.10

Diffusion und Osmose

Die Energieform "Wärme" kann man auch mechanisch interpretieren, nämlich als kinetische Energie der Teilchen eines Stoffes. Die konkrete Beschreibung gelingt allerdings nur mit statistischen Aussagen, da die Anzahl der Atome bzw. Moleküle in der Praxis immer gigantisch groß ist. Für ein einzelnes Teilchen würde – wenn man Rotation und Vibration vernachlässigt – eine translatorische Bewegung mit vielen Stößen zu beobachten sein: die berühmte Brown’sche Molekularbewegung (Abb. 3).

Diese Wärme-getriebene Molekularbewegung führt zu einer ständigen Durchmischung der Teilchen. Dadurch werden einerseits Temperaturunterschiede in Gasen und Flüssigkeiten nivelliert, andererseits aber auch unterschiedliche Partialdrücke oder Konzentrationen ausgeglichen: Es entsteht Diffusion. Dem "random walk" in Abbildung 3 überlagert sich eine Drift, die das 1. Ficksche Gesetz als Massestrom beschreibt [2].

Dieselbe Ursache und derselbe Mechanismus gelten für die Osmose. Sie tritt speziell an einer teildurchlässigen Wand (semipermeable Membran) auf. In Abbildung 4 zeigt der vergrößerte Bildausschnitt, dass zwar die kleinen Lösungsmoleküle – in der Praxis meistens H2O – die semipermeable Membran einer Pfefferschen Zelle passieren können, die größeren gelösten Moleküle jedoch nicht. Dadurch entsteht eine Wasserverschiebung, die physikalisch als osmotischer Druck messbar wird (im abgebildeten Beispiel einfach durch den umgekehrt gleichen Schweredruck der Wassersäule). Eine pharmazeutisch wichtige Konsequenz ist, dass die H2O-permeablen Zellwände von Erythrozyten in destilliertem Wasser platzen würden. Darum stellt der verantwortliche Pharmazeut für Infusionen stets eine isotone (physiologische) Kochsalzlösung her, deren osmotischer Druck (ca. 7,7 bar) gleich dem des Blutplasmas ist.

Abb. 4: In einer Pfefferschen Zelle lässt der osmotische Druck die Lösung gegen den Schweredruck ansteigen. Aus [2], Abb. 4.12

Ohne Diffusion und Osmose ist der menschliche Organismus nicht arbeits- und reparaturfähig. Angetrieben durch einen Konzentrationsgradienten gelangen Arzneistoffe in den Körper, vollzieht sich der Sauerstoff-Austausch in der Peripherie, geschehen Stofftransporte in jeder Zelle des Körpers. Ganz offensichtlich wird die Macht des Konzentrationsgradienten am feinen Aufbau des Nierenmarks. Durch den Aufbau sowie die verschiedenen Permeabilitäten der parallel angeordneten Henle-Schleifenschenkel wird aktiv ein osmotischer Längsgradient aufgebaut. Diese Gegenstrommultiplikation ermöglicht die Harnkonzentrierung und damit einen Rücktransport von ca. 99% des Filtrationsvolumens (bei ca. 180 Liter pro Tag anderenfalls eine ebenso anstrengende wie lebensgefährliche Situation).

Osmotische Diuretika, die bei Hirn-ödemen oder akuten Glaukomanfällen eingesetzt werden, halten Wasser in den Tubuli der Niere und forcieren dadurch die Diurese. Basis dieser Funktion ist, dass diese Substanzen nicht in das Interstitium rückresorbiert werden. Auch osmotische Laxanzien funktionieren über das gleiche Prinzip.

Der osmotische Druck ist auch bei modernen oralen osmotischen Systemen, wie der Name schon andeutet, die treibende Kraft. Die Tabletten besitzen eine Umhüllung in Form eines Films, der eine semipermeable Membran darstellt. Durch sie diffundiert Wasser in das System – bei Push-Pull-Systemen in eine für diese Funktion vorgesehene Kammer. Bei der bekannten Concerta®-Tablette z. B. beinhaltet diese Kammer NaCl, welches nun durch Volumenvergrößerung den Wirkstoff langsam über ein Laser-gebohrtes Loch aus einem anderen Kompartiment herausdrückt. Dieser Mechanismus führt zu einer langanhaltenden, gleichmäßigen Kinetik und ermöglicht erst die Einmalgabe pro Tag trotz der geringen Halbwertszeit des Wirkstoffes.

Elektrische Ladungen

Die elektrische Ladung von Teilchen bringt natürlich weitere Effekte und Anwendungen in die Physik, angefangen vom Elektron mit der (negativen) Elementarladung bis zu massereichen Ionen (positiv oder negativ geladen, je nach fehlenden oder überzähligen Elektronen in den Atomhüllen). Die zugrunde liegenden Größen Kraft und Arbeit bzw. Energie sind aber die gleichen wie in der Mechanik.

Es zeigt sich zunächst, dass Ladungen Kräfte aufeinander ausüben. Bei zwei ruhenden Punktladungen spricht man von der Coulomb-Kraft im engeren Sinne (s. o.), aber solche elektrostatischen Kräfte wirken zwischen allen Ladungsmengen bzw. Ladungsverteilungen. Um diese Kraftwirkung einfacher beschreiben zu können, stellt man sich ein elektrisches Feld zwischen den Ladungen vor, das mit Linien veranschaulicht wird (Abb. 5). Diese Feldlinien sind eigentlich generalisierte Kraftvektoren; sie zeigen an jedem Raumpunkt in die Richtung der Kraftwirkung. Die elektrische Feldstärke E wird folgerichtig durch den Quotienten von Kraft und Ladung definiert; sie ist also eigentlich eine auf die Ladungsmenge normierte Kraft.

Abb. 5: Elektrische Feldlinien beginnen und enden an Ladungen. Aus [2], Abb. 5.2

Werden nun Ladungen gegen oder mit dieser Kraftwirkung bewegt, wird eine Arbeit benötigt oder geleistet – die ist ja gerade als das Produkt aus Kraft und Weg definiert, siehe Abschnitt "Mechanik". Sinnvollerweise bezieht man diese Arbeit wiederum auf die Ladung und erhält so die neue Größe Spannung U. Werden also positive und negative Ladungen gegen die Kraft ihrer Anziehung durch eine Arbeit getrennt, so steht Energie zur Verfügung. In der Praxis geschieht die Ladungstrennung oft chemisch, z. B. in Batterien, oder magnetisch, in den Generatoren der Kraftwerke (oder dem Dynamo am Fahrrad).

Warum sollte der Pharmazeut das wissen? In bestimmten Fällen können Arzneistoffe mithilfe eines elektrischen Feldes direkt durch die Haut befördert werden. Für diese Iontophorese müssen die Moleküle natürlich in geladener Form, also als Ionen vorliegen. Das elektrische Feld entsteht zwischen zwei Elektroden durch Anlegen einer Spannung; positive Ionen wie etwa Procain wandern dann zur negativen Kathode (darum heißen sie Kationen); negative Anionen wie Salicylate zur positiven Anode.

Offensichtlich verlässt man dabei das Gebiet der Elektrostatik; bewegte Ladungen stellen ja einen elektrischen Strom I (mit der Einheit Ampere) dar. Die Größen U und I sind aber durch eines der einfachsten – und darum beliebtesten – physikalischen Gesetze miteinander verknüpft: Sie sind direkt proportional zueinander, und der Proportionalitätsfaktor heißt elektrischer Widerstand R: U = R · I

Dies ist also das Ohmsche Gesetz, das gerne auch auf andere Zusammenhänge wie die Wärmeleitung oder den Strömungswiderstand übertragen wird. Bei der Iontophorese gibt es konkret die maximale Spannung U zwischen den Elektroden vor, bei der wegen des Körper- und Übergangswiderstandes ein ungefährlicher Strom I (maximal 30 mA) fließt.

Ein konkretes Beispiel ist das transdermale System Ionsys® der Firma Alza mit dem Wirkstoff Fentanyl. Bei einem Gleichstrom von nur 170 μA können Plasmaspitzen schon nach 15 Minuten erreicht werden. Daneben steht in den USA übrigens ein Pflastersystem zur lokalen Anästhesie durch Lidocain und Adrenalin (LidoSite®, Firma Vyteris) zur Verfügung.

Durch ein elektrisches Feld – also mithilfe einer Spannung – bewegte Ladungen werden auch bei einem der wichtigsten Untersuchungsverfahren der Biochemie angewandt, der Elektrophorese. Der Widerstand ist durch die Größe der Ionen und die Viskosität des Mediums bestimmt, in dem sie sich bewegen. Häufig ist das ein Gel, durch dessen Poren die Moleküle wie durch ein Sieb wandern müssen. Die Wanderungsgeschwindigkeit unterschiedlicher Moleküle hängt also direkt von ihrer Ladung und Größe ab; über den unterschiedlichen Weg in der gleichen Zeitspanne lassen sie sich trennen und identifizieren. In Abbildung 6 wird ein entsprechendes Untersuchungsergebnis gezeigt; die quantitative Auswertung nennt man Elektropherogramm.

Abb. 6: Durch die unterschiedliche Wanderungsgeschwindigkeit der Moleküle im elektrischen Feld entsteht ein Elektropherogramm. Foto: Stephen Helms

Die wohl bekannteste Anwendung der Elektrophorese ist die DNA-Analyse. Der Apotheker findet sie aber auch im Europäischen Arzneibuch; zum Beispiel wird die Kapillarelektrophorese zur Reinheitsanalyse von Peptiden eingesetzt. Physikalisch besonders interessant ist ihre Rolle bei der Bestimmung von Enantiomeren. Wie im folgenden Abschnitt näher beschrieben, unterscheiden sich die beiden enantiomeren Moleküle nicht in ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften. Eine Trennung wird durch ein optisch aktives Umfeld erreicht, zum Beispiel durch Zusatz eines chiralen Selektors. Die häufig eingesetzten Cyclodextrine bilden mit den Enantiomeren temporäre Diastereomeren-Komplexe, die nun durch unterschiedliche elektrophoretische Mobilität oder Stabilität des Komplexes aufgetrennt werden können. Im elektrischen Feld bewegen sich die Teilchen sowohl mit einer elektrophoretischen als auch einer elektroosmotischen Wanderungsgeschwindigkeit. Der elektroosmotische Fluss entsteht durch das Ausbilden einer diffusen Doppelschicht an der Oberfläche der Kapillaren und ist proportional zum Zeta-Potenzial. Somit gelangen auch elektrisch neutrale Moleküle mit den solvatisierten Kationen in Richtung Kathode.

Diagnostik mit Licht

Einige der mächtigsten Untersuchungsmethoden für das pharmazeutische Labor beruhen auf der Optik. Diese hat sich seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem der spannendsten und modernsten Gebiete der Physik entwickelt. Das allerdings versteht man nur, wenn man über die Schulphysik mit ihren Lichtstrahlen, Linsen und Prismen hinausblickt und die Verwandtschaft des Lichtes mit dem Elektromagnetismus sowie der Atomphysik betrachtet.

Was ist Licht eigentlich?

Wenn das die Physiker genau wüssten … Auf keinen Fall ist es ein Strahl, der pfeilgerade jeden Raum durchmisst. Bereits mit einem einfachen Experiment kann man die Ausbreitungsrichtung "verbiegen": Abbildung 7 zeigt, wie in einer Zuckerlösung, deren Konzentration mit der Höhe variiert (die also einen Gradienten besitzt), ein Lichtbündel gekrümmt und verbreitert wird.

Abb. 7: Die "geradlinige Ausbreitung" des Lichtes gilt nur für ein homogenes Medium, also z. B. nicht für eine Zuckerlösung mit Konzentrationsgradient. Foto: R. Radmacher

Formal liegt das an der hier inhomogenen Brechzahl des Ausbreitungsmediums. Die aber gibt per definitionem die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes in Bezug auf die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit an, also die höchste physikalisch mögliche Geschwindigkeit überhaupt. Sie beträgt bekanntlich 300.000 km/s, während das Licht im Wasser nur etwa 230.000 km/s schnell ist. Die tiefere Ursache dafür ist seine Welleneigenschaft – sichtbares Licht besteht bekanntlich aus elektromagnetischen Wellen der Wellenlänge 380 bis 780 nm. Die fluktuierenden elektrischen und magnetischen Felder treten in Wechselwirkung mit dem Ausbreitungsmedium (z. B. Luft, Wasser), was die Ausbreitung gewissermaßen verzögert – nur eben nicht im Vakuum.

Wellen …

Viel deutlicher zeigt sich der Wellencharakter allerdings, wenn Spalte oder Löcher in der Größenordnung der Wellenlänge im Wege sind. Dann kommt es zur Beugung der Wellen, d. h. zur Ablenkung auch in den geometrischen Schattenraum. Die abgelenkten Wellen interferieren außerdem, überlagern sich also zu verstärkten oder geschwächten Feldern, was bei Licht eine unterschiedliche Helligkeitsverteilung bedeutet. Diese Interferenzmuster oder Beugungsbilder hängen von der Wellenlänge ab: Genau diese lässt sich so mit hoher Genauigkeit messen. Dazu wird vielfarbiges, etwa weißes Licht in ein Spektrum zerlegt.

In Abbildung 8 ist die technische Ausführung schematisch dargestellt. Ein System vieler feiner Spalte – ein Beugungsgitter – lenkt die Wellen in mehrere Beugungsmaxima, von denen z. B. die "1. Ordnung" genutzt werden soll. Das Gerät wird zum Gitterspektralapparat, wenn es die Lage dieses Maximums in Abhängigkeit von der Wellenlänge messen kann.

Abb. 8: Ähnlich wie der bekannte Prismenspektrograph (A) trennt ein Gitterspektralapparat (B) unterschiedliche Wellenlängen, hier sogar in mehreren Beugungsordnungen. Aus [2], Abb. 8.23

… und Quanten

Warum aber ist die exakte Kenntnis von Wellenlängen so wichtig? Diese Frage führt zur zweiten Eigenschaft des Lichtes, nämlich zu den Energiequanten, die man auch Photonen nennt.

Seit über hundert Jahren, seit der Quantenhypothese von Albert Einstein, schlagen sich die Physik und die verwirrte Studentenschaft mit dem Dualismus des Lichtes herum, also mit der gleichzeitigen Gültigkeit von zwei Modellen. Die Ausbreitung des Lichtes, speziell Beugung und Interferenz, versteht man anschaulich nur im Wellenbild. Diese von James Clerk Maxwell mit seinen berühmten Gleichungen formulierte elektromagnetische Theorie ist für den Weg des Lichtes vollständig und unumstößlich. Sie versagt jedoch bei der Entstehung und der Absorption der Wellen: Dabei tritt Licht immer nur in Energieportionen auf, eben den Quanten.

Die Ursache führt unmittelbar zur Anwendung der Spektroskopie. Im Unterschied zu anderen elektromagnetischen Wellen wie Mikrowellen oder Rundfunkwellen sind die Sender von Lichtwellen die Atome selbst. Nach dem Atommodell von Bohr gibt es bei ihnen aber nur ganz bestimmte Energiezustände der Hüllenelektronen, und ein Lichtquant wird als Differenzenergie bei ihrem Übergang zu einem anderen Energieniveau emittiert oder absorbiert. Anstandshalber soll erwähnt werden, dass theoretische Physiker die Elektronenbahnen und Energieschalen nur belächeln, wie überhaupt den ganzen Dualismus. Ihre Mathematik, z. B. die berühmten Schrödinger-Gleichungen, beschreibt dies und alles andere vollständig und bruchlos, verzichtet dafür aber auf jedwede Anschaulichkeit.

Wie auch immer: Die Energieniveaus sind charakteristisch für die Atome, und die entsprechenden Photonen haben durch die jeweiligen Quantensprünge spezifische Energien sowie spezifische Wellenlängen. Das Natrium-Atom hat beispielsweise ein Spektrum, das im Wesentlichen die sogenannte D-Linie bei der Wellenlänge 589,3 nm zeigt (gelbes Licht). Aus diesem Grund – und wegen der leichten Realisierbarkeit von Natriumdampflampen – werden optische Parameter von Stoffen wie ihr Brechungsindex bei dieser Wellenlänge gemessen und tabelliert. Insgesamt lassen sich alle Elemente mit spektroskopischen Methoden eindeutig nachweisen, und das mit höchster Empfindlichkeit. Das gilt besonders für das Verfahren der Atom-Absorptionsspektroskopie, bei der aus polychromatischem Licht gewissermaßen einzelne Spektrallinien herausgelöscht werden. Auf diese Weise kann man z. B. kleinste Spuren von Schwermetallen nachweisen.

Auch die einfache Strahlenoptik hat jedoch bereits Anwendungen, die für die Pharmazie relevant sind. Zum Beispiel misst die Refraktometrie den spezifischen Brechungsindex von Flüssigkeiten. Das Europäische Arzneibuch beschreibt diese schnelle und einfache Methode zur Bestimmung der Reinheit und Identität, auf die ja jeder Ausgangsstoff in der Apotheke getestet werden muss – wenn nicht gerade ein pandemischer Ausnahmezustand herrscht. Bei den gängigen Refraktometern wird der Grenzwinkel der Totalreflexion bestimmt und nach Snellius der Brechungsindex errechnet. Alle Referenzwerte beziehen sich auf Temperaturen von 20 °C und die Natrium-D-Linie (s. o.).

Polarisiertes Licht als Mittel der Strukturaufklärung

Zur Eigenschaft des Lichtes als transversale elektromagnetische Welle gehört, dass eine bestimmte Schwingungsrichtung des elektrischen Feldes (sowie senkrecht dazu des magnetischen) erzeugt bzw. selektiert werden kann; man spricht dann von polarisiertem Licht und der Polarisationsebene. In der Pharmazie hört man nun immer wieder den Satz, dass etwas "optisch aktiv" sei. Dies hat weniger mit dem Effekt der Phosphoreszenz, den man zuweilen bei der Fluorimetrie beobachten kann, zu tun als damit, dass bestimmte Stoffe die Polarisationsebene verändern können. Die Messung dieses Effektes bei der Polarimetrie ist ein wichtiger Baustein in der Analytik von optisch aktiven Molekülen. Aber was genau steckt hinter dieser Eigenschaft, und hat diese auch einen Effekt auf uns, auf den Menschen?

Verhalten sich zwei Konfigurationen eines Moleküls wie Bild und Spiegelbild, so nennt man sie Enantiomere, welche mindestens ein Chiralitätszentrum besitzen. Solch ein asymmetrisches Zentrum ist zumeist ein pyramidales Kohlenstoffatom mit vier unterschiedlichen Substituenten. Trifft nun die polarisierte Lichtwelle auf das Molekül in der Testlösung, wird die Schwingungsebene gedreht. Formal kann man diese Wirkung mit der Aufspaltung der Welle in zwei senkrecht zueinander orientierte Komponenten beschreiben, die eine unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit besitzen. Die physikalische Ursache ist eine Wechselwirkung des Wellenfeldes mit den intramolekularen Ladungs- bzw. Feldverteilungen.

Auch die Grundbausteine aller im Körper befindlicher Proteine – die Aminosäuren – sind chiral (mit Ausnahme von Glycin) und liegen im Körper vor allem in der L-Konfiguration vor. Enantiomere unterscheiden sich in ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften nur in der optischen Aktivität und einer unterschiedlichen Reaktion mit anderen chiralen Molekülen. So verwundert es nicht, dass die Wirkung eines chiralen Arzneistoffes zum Beispiel an Proteinen sich je nach Enantiomer unterscheidet. Bei vielen Molekülen ist z. B. nur ein Isomer aktiv, das andere im besten Fall einfach inaktiv. Der selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer Citalopram, vielfach eingesetzt bei Depressionen, entfaltet seine Wirkung im racemischen Gemisch nur durch das S-Enantiomer. Beim Schmerzmittel Ibuprofen kann andererseits getrost das racemische Gemisch appliziert werden, da der Körper in der Lage ist, das "falsche" Enantiomer in das pharmakologisch relevante R(–)-Ibuprofen umzuwandeln.

Dass beide Molekülorientierungen verschiedene therapeutisch nutzbare Effekte zeigen, wird bei Levo- und Dextrothyroxin deutlich, welche zum einen als Schilddrüsenhormon und zum anderen als Lipidsenker eingesetzt werden. Im schlimmsten Fall kann das "falsche" Enantiomer aber sogar toxisch sein: L‑Dopa wird zur Behandlung von Parkinson eingesetzt, die alternative Konfiguration D-Dopa kann jedoch zur Granulozytopenie führen. Besonders bei diesen Arzneistoffen wird noch einmal deutlich, wie wichtig speziell die optische Analytik und allgemein die zugrunde liegende Physik für die Pharmazie sind.

Fazit

Die in diesem Beitrag skizzierten Beispiele zeigen, dass die Physik auch für die Pharmazie relevant und interessant ist. Vielen Studierenden macht das systematische Erschließen und tiefere Verstehen der Natur sogar Spaß – das erleichtert ihnen auch die unvermeidliche Wiederbegegnung mit der Wissenschaft im beruflichen Alltag. Für alle anderen, denen die Physik mehr Hindernis oder gar Ärgernis im Studium bedeutet, wäre eine Ergänzung des Gegenstandskataloges für den ersten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung [3] sinnvoll. Analog zum entsprechenden IMPP-Katalog für die ärztliche Prüfung [4] sollten zu jedem physikalischen Fachgebiet pharmazeutische Anwendungen aufgelistet werden. Es gibt sie ja, zahlreich und wichtig – und dadurch motivierte Studentinnen und Studenten lernen leichter und besser.


Literatur

[1] Lin MM, Zewail AH. Protein folding – simplicity in complexity (Einstein Lecture). Ann Phys (Berlin) 2012; 524(8): 379 – 391.

[2] Rybach J. Physik kompakt, Grundlagen und Anwendungen in Pharmazie, Medizin und Gesundheitswesen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012.

[3] Gegenstandskatalog für den Ersten Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung. Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen, Mainz

[4] IMPP-Gegenstandskatalog (IMPP-GK 1) für den schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (ÄAppO vom 27. Juni 2002), Teilkatalog "Physik für Mediziner".


Autoren

Prof. Dr. rer. nat. Johannes Rybach studierte Physik in Köln und Düsseldorf. Er lehrt an der Hochschule Niederrhein unter anderem im Fachbereich 
Apotheker Simon Rybach studierte Pharmazie in Düsseldorf und Wien. Er arbeitet in der pharmazeutischen Entwicklung bei einem Unternehmen in Hamburg.
















Literaturtipp: Physik kompakt


Die Physik ist die Basis aller Naturwissenschaften. Somit bildet das Verständnis der elementaren physikalischen Prinzipien auch die Grundlage der Pharmazie. Umso wichtiger ist es, sich dieses Grundlagenwissen zügig und mit Spaß an der Sache anzueignen.

Das kompakte Lehrbuch schärft durch die geschickte Verknüpfung der Inhalte den Blick für die inneren Parallelen und die logische Struktur der Physik. Denn wer ein paar grundsätzliche Zusammenhänge verstanden hat, besitzt den Schlüssel zur gesamten Wissenschaft und braucht keine Details mehr zu pauken.

An vielen Beispielen zeigen Brückenschläge von der Theorie zur Praxis, warum der Lernstoff wichtig ist. Diese anwendungsorientierte Darstellung motiviert den Leser, weil er den Bezug zum späteren Berufsalltag erkennt.


Johannes Rybach

Physik kompakt – Grundlagen und Anwendungen in Pharmazie, Medizin und Gesundheitswesen

X, 228 S., 141 farb. Abb., 12 Tab., Kart. 29,80 Euro

Subskriptionspreis bis 31.1.2013: 24,80 Euro

Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2012

ISBN 978-3-8047-2880-6


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DAZ 2012, Nr. 43, S. 78

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