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Sparpotenziale unter der Lupe
Vor der Einführung des Kombimodells für die Arzneimittelpreisverordnung wurde den Apotheken vorgeworfen, an hochpreisigen Arzneimitteln ungebührlich zu verdienen, meist ohne die Verluste im Niedrigpreissegment anzusprechen. Das Kombimodell löste dieses Problem, aber es erhöhte zwangsläufig die Apothekenverkaufspreise bei niedrigpreisigen Rx-Arzneimitteln. Daher sind solche Produkte in Deutschland heute teurer als in Ländern mit anderen Preisbildungssystemen. Aus Preisvergleichen werden nun vorzugsweise Einsparpotenziale bei den Herstellern dieser Arzneimittel abgeleitet, doch erstens liegt die Ursache nicht im Einflussbereich der Hersteller und zweitens besteht überhaupt kein Einsparpotenzial, denn bei einer Änderung der Apothekenhonorierung an dieser Stelle müsste das Geld an anderer Stelle zu den Apotheken fließen. Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Großhandelsvergütung und noch viel mehr durch den in Deutschland beträchtlichen Anteil der Mehrwertsteuer, die in manchen anderen Ländern ganz entfällt. Daher müssten anstelle der Apothekenverkaufspreise die Abgabepreise der Hersteller verglichen werden.
Verwirrende Daten
Bei internationalen Preisvergleichen ist das aber keineswegs Standard, wie Cassel und Ulrich feststellten – und dies erklärt etliche spektakulär wirkende Ergebnisse. So propagierte der Arzneiverordnungs-Report (AVR) 2010 und 2011 enorme Einsparpotenziale, die aus dem Vergleich mit den Arzneimittelpreisen in Schweden (2010) bzw. Großbritannien (2011) abgeleitet wurden. Gemäß AVR kosteten die zehn umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel in Deutschland 55,9 % bzw. 66,1 % mehr als in Schweden bzw. Großbritannien. Alle im AVR 2011 dargestellten Einsparpotenziale zusammen würden sich zu 41 % des gesamten GKV-Arzneimittelmarkes addieren; die Arzneimittelhersteller würden dann etwa drei Viertel ihres Nettoumsatzes einbüßen. Cassel und Ulrich folgern, dass solche Einsparpotenziale in der Politik unrealistische Erwartungen wecken und daher nicht als Handlungsgrundlage dienen sollten. Die 50 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel seien in Deutschland nach der Methode des AVR um 48 % teurer als in Schweden, aber nach einer Berechnung des BPI auf Herstellerebene und unter Berücksichtigung aller Abschläge sogar 1,5 % billiger als in Schweden. Das zeigt, wie sehr das Ergebnis von der Berechnungsmethode abhängt.
Viele Einflussgrößen
Probleme ergeben sich nicht nur bei internationalen Vergleichen, sondern auch auf nationaler Ebene bei der generischen Substitution und dem Austausch von Analogpräparaten. Denn es ist zu fragen, welche Packungspreise relevant sind. Relativ einfach sind Vergleiche anhand der durchschnittlichen Preise für eine definierte durchschnittliche Tagesdosis (DDD, defined daily dosage) bei der Hauptindikation, aber dies sagt wenig über die tatsächlich verwendeten Packungen aus. Dazu verweisen Cassel und Ulrich auf eine Untersuchung von Pfannkuche et al., die unterschiedliche Wirkstärken, Packungsgrößen und Darreichungsformen sowie das zum Verordnungszeitpunkt günstigste Substitutionsprodukt berücksichtigt. Pfannkuche et al. hatten anhand der Omeprazol-Ausgaben der GEK für 2005 gezeigt, dass das Einsparpotenzial so auf nur 22 % des anhand der DDD errechneten Betrags schrumpfte. Im Arzneimittelreport der Barmer GEK werde die aufwendigere, aber aussagekräftigere Methode benutzt, aber Cassel und Ulrich bemängeln, dass die Vorgehensweise des AVR hier weitgehend intransparent sei.
Infos im WebDas Gutachten von Prof. Cassel und Prof. Ulrich sowie Diskussionsbeiträge dazu finden Sie im Internet unter |
Am propagierten Einsparpotenzial des AVR kritisieren Cassel und Ulrich außerdem, dass bei Verzicht auf "umstrittene" Arzneimittel andere Produkte verordnet würden, die auch Kosten verursachen. Weitere Probleme ergeben sich aus den gesetzlichen Abschlägen der Hersteller und Apotheken für die Krankenkassen und aus den Rabattverträgen, zumal die Rabatte nicht bekannt sind. Auf internationaler Ebene ist zudem wichtig, ob die Wechselkurse laufend aktualisiert, auf einen bestimmten Stichtag bezogen oder auf den Stand bei Markteinführung festgeschrieben werden. Cassel und Ulrich kritisieren zudem die übliche Vorgehensweise, Einsparpotenziale unter der Annahme sonst unveränderter Bedingungen zu ermitteln, denn der Markt entwickelt sich dynamisch. So würde voraussichtlich bei Konzentration der gesamten Nachfrage auf den billigsten Anbieter dieser seinen Preis bald erhöhen.
Verzicht als Fazit
Angesichts der vielen Schwachpunkte bei Preisvergleichen sind die daraus abgeleiteten Einsparpotenziale für Cassel und Ulrich "eher ein Irrlicht als ein richtungsweisender Leuchtturm für rationales Handeln im Gesundheitswesen". Für Vergleiche fordern sie als "good practice"-Regeln, mehrere vergleichbare Referenzländer zu nutzen, Preise auf Herstellerebene zu vergleichen, diese um preisverzerrende Regulierungen zu bereinigen, Packungsgrößen und Wirkstärken mit den Verordnungsmengen zu gewichten sowie Fremdwährungen zu Einführungswechselkursen umzurechnen bzw. Euro-Beträge nach Kaufkraftparitäten zu gewichten. Zudem raten Cassel und Ulrich, wegen der kaum zu überwindenden methodischen Schwierigkeiten auf die Berechnung von Einsparpotenzialen zumindest bei internationalen Vergleichen zu verzichten.
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