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Deutschland sucht ...

Kirsten Sucker-Sket, Redakteurin der DAZ

... nein, nicht den Impfpass, sondern den Impfstoff! Was sich seit Mitte September in einigen Bundesländern bei der Beschaffung von Grippeimpfstoffen abspielt, ist mehr als abenteuerlich. Das AMNOG hat den Kassen ermöglicht, Impfstoffe für Schutzimpfungen auszuschreiben und Rabattverträge zu schließen. Nun zeigen sich die Schattenseiten der Sparwut: In Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg ist nach wie vor nicht absehbar, ob und wann der "Gewinner"-Impfstoff Begripal® ohne Kanüle von Novartis verfügbar sein wird. Und auch die ersatzweise angebotenen Vakzine des Schweizer Konzerns machen Probleme: Optaflu® hat mit eher psychischen Barrieren zu kämpfen (siehe Beitrag auf S. 20), Begripal® (mit Kanüle) und Fluad® hingegen mit handfesten weißen Partikeln. In Italien wurde letzte Woche die Auslieferung der beiden Impfstoffe gestoppt, nachdem man Ausflockungen in den Impfdosen beobachtet hatte. Auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) rief kurz darauf vier Chargen Begripal® und eine Charge Fluad® vorsorglich zurück. Damit verschwanden 750.000 Impfdosen vom Markt – jedenfalls soweit sie noch nicht verimpft waren.

All dies wirft Fragen auf: Wie kann ein Weltkonzern wie Novartis in eine solche Lage geraten? Was ist los im italienischen Siena, in einer der vier europäischen Produktionsstätten für Novartis-Impfstoffe? Warum kommen die Vakzine mit einer solchen Verzögerung – und werden dann auch noch in weiten Teilen von den Behörden zurückgerufen? Weshalb kann Begripal® mit Kanüle, nicht aber der identische Impfstoff ohne Kanüle produziert werden? Und wieso hüllt sich Novartis zu all diesen Fragen in Schweigen? Der italienische Gesundheitsminister war nicht amüsiert, als er letzte Woche erfuhr, dass Novartis schon seit Juli von den Produktionsproblemen in Siena wusste. Auch die deutschen Krankenkassen hält das Unternehmen hin. Und diese spielen mit: Sobald Begripal® ohne Kanüle zur Verfügung steht, soll der Markt für andere Hersteller wieder verschlossen sein. Man fragt sich, wie die Kassen einen Rabattvertrag unterschreiben konnten, der offenbar keine klare Aussage zum Lieferdatum und keine Folgen für die Nicht-Lieferfähigkeit vorsieht. Das blockiert andere Hersteller, die theoretisch einspringen könnten. Sie bleiben zuvörderst den Regionen verpflichtet, in denen sie Ausschreibungen gewonnen haben. Keine Klagen gibt es etwa aus Niedersachsen und den östlichen Bundesländern – hier liefern Novartis-Konkurrenten wie Abbott, CSL, GSK, Ratiopharm und Sanofi-Pasteur. Dennoch: Letzten Freitag gab das PEI 560.000 weitere Impfdosen von GSK frei – immerhin 400.000 von ihnen sind für den deutschen Markt bestimmt und sollen ab dem 13. November ausgeliefert werden. Wo sie am Ende landen, wird sich zeigen. Fakt ist, dass Apotheken in Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg, aber auch im Saarland und in Hessen massive Probleme haben, an die Vakzine heranzukommen. Vertreter des PEI wollen in den nächsten Tagen zusammen mit Kassen und Impfstoffherstellern Lösungen ausloten. Gibt es in anderen Bundesländern mehr Impfdosen, die man in die unterversorgten Regionen abzweigen könnte? Sind Importe aus dem Ausland möglich? Kann doch noch nachproduziert werden? Ich denke, richtig wäre es, die problembehafteten Rabattverträge jetzt aufzuheben und den Markt bedingungslos auch für andere Hersteller freizugeben. Denn wer passt wirklich auf, dass die Kassen ihren Sicherstellungsauftrag ernst nehmen? Bislang will niemand Verantwortung übernehmen! Die Länder sehen den Bund in der Pflicht – und dieser die Länder.

Der Bundesgesundheitsminister bemüht sich indessen, den Ball flach zu halten. Alle Impfwilligen, die sich – wie im letzten Jahr – wieder impfen lassen wollten, könnten sich darauf verlassen, dass der Impfstoff zur Verfügung steht, sagte er am Wochenende. Letzte Saison habe man 15 Millionen Impfdosen benötigt, nun stünden bereits rund 14 Millionen zur Verfügung. Das Problem sei die Logistik – es zu lösen, Aufgabe der Krankenkassen, die die Rabattverträge ausgehandelt haben. Tatsächlich: Betrachtet man Daniel Bahrs Zahlen-Vergleich, sollte man nicht panisch einen Impfstoffmangel beschwören. Aber ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Es ist zum einen nicht gesagt, dass sämtliche vom PEI freigegebenen Impfdosen auch im deutschen Markt verbleiben. Zum anderen war die Impfrate in der vergangenen Saison nicht allzu hoch. Anders als in diesem Jahr war keine harte Grippewelle vorhergesagt. Auch war die Zusammensetzung des Grippe-Impfstoffs in der letzten Saison identisch mit der des Vorjahres. Manch einer mag es daher für überflüssig gehalten haben, sich erneut impfen zu lassen. Zudem wird über eine allgemeine Impfmüdigkeit geklagt. Ob die gegenwärtigen Geschehnisse diesen Trend aufhalten können, ist zweifelhaft. Grotesk wirken da die BZgA-Plakate: "Deutschland sucht dem Impfpass". Ohne Impfstoff nutzt auch der Impfpass wenig!


Kirsten Sucker-Sket



DAZ 2012, Nr. 44, S. 3

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