Arzneimittel und Therapie

Entgleisen verhindern

Die Glukosurie zählt zu den prominenten Krankheitssymptomen eines Diabetes und zeigt in aller Regel einen entgleisten Zuckerstoffwechsel an. Ein neues Therapieprinzip schickt sich an, eben diese Zuckerausscheidung mit dem Urin in die Behandlung der chronischen Glucosestoffwechselstörung einzuführen. Dazu wird der Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2) im proximalen Tubulus der Niere gehemmt. Mittlerweile befinden sich mehrere Vertreter der Substanzklasse der SGLT-2-Inhibitoren in klinischer Entwicklung.
Um insulinunabhängig die Blutglucosewerte zu senken, wird an der Entwicklung von Inhibitoren des Natrium-Glucose-Cotransporters 2 geforscht.Der Ansatz gilt als vielversprechend, da bei Typ-2-Diabetes eine vermehrte renale Glukoneogenese und eine gesteigerte tubuläre Rückresorption mittelserhöhter SGLT-2-Expression erheblich zur Hyperglykämie beitragen.  Foto: abcmedia – Fotolia.com

Über den Wirkstoffkandidaten Empagliflozin klärte nun eine von Lilly und Boehringer Ingelheim unterstützte Pressekonferenz am Rande der 48. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Berlin auf. Dort wurden auch erste klinische Belege für die Effektivität und Sicherheit des neuartigen Behandlungsansatzes präsentiert.

Leber und Nieren sind die einzigen menschlichen Organe, die Glucose in die Zirkulation bringen können. "So stammt etwa ein Fünftel der Glucose, die während nächtlicher Ausnüchterung in den Blutkreislauf gelangt, aus der Niere. Und bei Stoffwechselgesunden geht kein Zucker über den Urin verloren", erklärte Dr. Ludwig Merker, Dormagen. Die Nieren filtern nämlich die Glucose heraus und stellt sie dem Organismus wieder zur Verfügung. Es bleiben etwa 180 g Glucose aus dem gesamten Plasmafiltrat von 180 l pro Tag dem gesunden menschlichen Organismus erhalten. Bei Typ-2-Diabetes jedoch ist der Natrium-Glucose-Cotransporter 2 (SGLT-2) hochreguliert, was zu einem übermäßigen Rückbehalt der Plasmaglucose führt, die normalerweise ausgeschieden würde.

Auf der einen Seite ist die Glukosurie als Symptom eines Diabetes mellitus hinlänglich bekannt. Sie tritt auf, wenn infolge eines entgleisten Zuckerstoffwechsels die Glucosekonzentration im Urin die Nierenschwelle übersteigt. Auf der anderen Seite könnte aber eine bewusst herbeigeführte Zuckerausscheidung mit dem Urin nicht nur überflüssige Glucose, sondern auch den pathologisch erhöhten Rückbehalt der Glucose aus dem Plasmafiltrat reduzieren. Das könnte auf ebenso einfache wie elegante Weise zu einer Senkung des Blutzuckers beitragen. So beschrieb der Diabetologe die Rationale des neuartigen Behandlungsansatzes des Diabetes mellitus.

SGLT-2-Inhibitoren


Für die Rückresorption der Glucose im proximalen Tubulus der Nephrone sind zwei Typen von Transporterfamilien verantwortlich: Natrium-Glucose-Cotransporter (SGLT)-1- und -2. SGLT-1-Transporter sind für 10% der Glucoserückresorption verantwortlich, SGLT-2-Transporter für 90%. Wird durch SGLT-2-Inhibitoren der renale natriumabhängige Glucosetransporter Typ 2 blockiert, so kommt es zur erhöhten Glucoseausscheidung im Harn, wobei die Blutglucosewerte bis zu 30 mg/dl gesenkt werden. Die Hemmung des SGLT-2-Proteins funktioniert unabhängig von der Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse, auch wenn diese kein Insulin mehr produziert. Auch eine möglicherweise bestehende Insulinresistenz hat keinen Einfluss.

Im Moment befinden sich mehrere SGLT-2-Inhibitoren in klinischen Studien: für Empagliflozin (Lilly und Boehringer Ingelheim) wird 2013 mit einer Zulassung durch die FDA gerechnet, für Canagliflozin (Johnson & Johnson) wurde in den USA bei der FDA die Zulassung beantragt. Dapagliflozin (Forxiga®, Bristol-Myers Squibb) ist bereits von der EMA zugelassen worden, er ist indiziert als Ergänzung zu Diät und Bewegung in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Wirkstoffen oder als Monotherapie für Patienten, die Metformin nicht vertragen. Die FDA hatte die Zulassung 2011 aufgrund von Sicherheitsbedenken noch abgelehnt.


Eine weitaus stärkere Glucoseausscheidung ist übrigens bei Menschen mit einem genetischen Defekt ihres Natrium-Glucose-Cotransporters 2 im proximalen Tubulus der Niere zu beobachten, erläuterte Merker. Er machte damit deutlich, dass eine verstärkte Glucoseausscheidung nicht mit gesundheitlichen Problemen einhergehen muss. Während nämlich normalerweise 90% der Glucose im Primärharn über SGLT-2 rückresorbiert wird, verbleibt bei diesen Menschen die Glucose im Urin und wird bis auf einen Rest von nur 10% ausgeschieden. Lediglich dieser Rest wird über SGLT-1 im distalen Tubulus zurückgehalten. Bei der sogenannten familiären renalen Glukosurie handelt es sich um ein völlig harmloses Krankheitsbild ohne gesundheitliche Folgen. Eine Neigung zu Harnwegsinfektionen, wie man vermuten könnte, sei bei den Betroffenen nicht festzustellen, so Merker. Selbst eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion durch die permanente Überladung mit Glucose im Filterorgan sei ausgeschlossen.

Mit der Entwicklung von SGLT-2-Inhibitoren versucht man nun, die genetische Mutation zu imitieren und für die Behandlung der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes nutzbar zu machen. Wie Dr. Thomas Hach von Boehringer Ingelheim berichtete, wurde kürzlich ein umfangreiches Phase-III-Studienprogramm für Empagliflozin mit mehr als 14.500 Patienten gestartet. Das zwölf multinationale Studien umfassende Programm schließt auch eine große kardiovaskuläre Outcome-Studie ein.

In einer Phase-IIb-Studie konnte bereits gezeigt werden, dass Empagliflozin in den Dosierungen von 10 mg bzw. 25 mg als Blutzucker senkende Monotherapie über 78 Wochen ähnlich wirksam ist wie Metformin. Über denselben Zeitraum ergab sich aber eine deutlich stärkere Gewichtsreduktion von etwa zwei gegenüber einem Kilogramm. Als Add-on-Therapie zu Metformin erwies sich Empagliflozin 25 mg hinsichtlich der HbA1c-Senkung gegenüber dem DPP-4-Hemmer Sitagliptin überlegen. Die Gewichtsreduktion fiel hier mit Minus 3,5 kg vs. 0,5 kg noch deutlicher aus. Neuesten Daten einer gepoolten Analyse von Phase-IIb-Studien zufolge kam es unter Empagliflozin vs. Placebo darüber hinaus zu einer Blutdrucksenkung von 4,5 mmHg systolisch. Diese Blutdrucksenkung korrelierte weder mit der HbA1c-Minderung noch mit der Gewichtsreduktion, sondern muss als unabhängiger Effekt eingestuft werden, hob Hach hervor.


Medizinjournalist Martin Wiehl



DAZ 2012, Nr. 49, S. 48

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