Management

Führen ohne Weisungsbefugnis

Wie Sie auch ohne Vorgesetztenfunktion ans Ziel kommen

In größeren Apotheken übernehmen angestellte Apotheker oft Führungsaufgaben. Oder: Die "rechte Hand" des Apothekers soll Führungsaufgaben wahrnehmen, ohne Vorgesetztenstatus zu haben. Mitarbeiter zielgerichtet zu führen, ohne die klassische Führungsrolle mit disziplinarischer Personalverantwortung zu besitzen: Das ist eine außerordentliche Herausforderung. Wie kann sie bewältigt werden?

Bleiben wir im Folgenden bei dem Beispiel der "rechten Hand" eines Apothekers und nennen diese exemplarische Figur Frau Müller. Die Probleme, vor denen Frau Müller steht, sind klar: Der Chef vertraut ihr angesichts ihrer Erfahrung Führungsaufgaben an – ihr fehlt jedoch die Möglichkeit, Sanktionen zu ergreifen. Wenn sie der Kollegin einen Hinweis gibt – keine Anweisung, denn dazu ist sie nicht berechtigt – , muss sie auf das Entgegenkommen der Kollegin setzen.

Problematisch wird die Situation insbesondere dann, wenn es zwischen der Mitarbeiterin und der rechten Hand auf der Beziehungsebene kriselt. Wendet Frau Müller klassische Motivationsinstrumente wie Lob und Anerkennung an, wird die Kollegin dies wahrscheinlich nur als Zynismus empfinden und nicht ernst nehmen.

Hinzu kommt: Frau Müller fehlt die Autorität, die – zumindest meistens – einer Chefin oder einem Chef aufgrund der Position zukommt. Autorität verdankt sich nicht immer nur den Persönlichkeitseigenschaften der Führungskraft, sondern oft genug dem "Amt" und der "Funktion".

Die Unterstützung durch den Apotheker

Die Problembeschreibung deutet an, welche Lösungsmöglichkeiten Frau Müller offen stehen. Beginnen wir mit der Unterstützung durch den Apotheker. Dieser sollte in der Teamsitzung erläutern, warum eine der Mitarbeiterinnen eine herausgehobene Stellung erhält. Entscheidend ist, dass er die Sonderstellung der Mitarbeiterin nicht befiehlt und den anderen aufzwingt, sondern die Entscheidung sachlich begründet und das Team bittet, Frau Müller jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen.

Zielführend in solch einer Situation ist es, an den Gemeinschaftsgeist zu appellieren und zu betonen, dass alle Teammitglieder in einem Boot sitzen und sich die Apothekenziele nur gemeinsam erreichen lassen.

Kultur der Wertschätzung etablieren

Im Vorteil sind jene Apotheken, in denen es einem Apotheker gelungen ist, eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung aufzubauen, in der es zum normalen Umgangston gehört, sich zu respektieren und zu unterstützen.

Konkret: Wenn jede Mitarbeiterin nur den eigenen und eng begrenzten Teilbereich sieht, für den sie unmittelbar verantwortlich ist, fördert dies die Ellbogenmentalität: "Hauptsache, in meinem Bereich gibt es keine Probleme!" Den Mitarbeiterinnen müssen die Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Bereichen in der Apotheke bewusst sein bzw. bewusst gemacht werden. Dann können sie nachvollziehen, warum es notwendig ist, dass die "rechte Hand" jetzt auch Führungsaufgaben übernimmt.

Allerdings: Die Unterstützung durch den Apotheker allein wird nicht genügen, um als Führungskraft ohne Weisungsfunktion zu bestehen. Vielmehr muss Frau Müller selbst die Initiative ergreifen. So sollte sie gemeinsam mit dem Chef klären, welcher konkreten Führungskompetenzen es bedarf, um die neue Rolle auszufüllen. Ergebnis könnte sein, dass sie durch Weiterbildungsmaßnahmen die eine oder andere wichtige Führungskompetenz aufbauen muss.

Menschenkenntnis und Sozialkompetenz

Zudem sollte die "rechte Hand" über Menschenkenntnis verfügen. Der Grund: Das größte Pfund, mit dem eine Führungsperson ohne Weisungsbefugnis wuchern kann, ist die Sozialkompetenz, ist die Fähigkeit zu erkennen, mit welchen Menschen sie es zu tun hat und womit und wie sich eine Kollegin begeistern lässt.

Nehmen wir an, Frau Müller überträgt einer Kollegin die Aufgabe, eine kranke Mitarbeiterin zu vertreten:

  • Bei der lob-empfänglichen Kollegin merkt sie an, diese sei doch für diese Aufgabe bestens geeignet.
  • Bei der eher sachlich orientierten Kollegin arbeitet sie mit der Begründung, nur so sei das Tagesgeschäft zu schaffen.
  • Bei der freizeitorientierten Kollegin argumentiert sie, so könne der Feierabend doch noch pünktlich eingeläutet werden.
  • Und dann gibt es die Kollegin, die sich mit dem Hinweis auf die Kundenorientierung motivieren lässt, die Vertretung zu übernehmen.

Die Herausforderung für die "rechte Hand" besteht darin, die Mentalität und Persönlichkeit, die Vorlieben und Animositäten der jeweiligen Kollegin zu berücksichtigen. Wenn es ihr gelingt, den jeweils richtigen Motivationsknopf zu drücken, wird sie die Führungsaufgaben auch ohne Vorgesetztenfunktion erledigen können. Die Erfahrung zeigt, dass dies meistens funktioniert. Denn die "rechte Hand" kennt die Kolleginnen natürlich schon recht lange und ist durchaus in der Lage, deren jeweilige Mentalität einzuschätzen.

Authentisch bleiben ...

Es gibt Mitarbeiterinnen, denen die Führungsrolle zu Kopf steigt. Sie werden von den anderen Mitarbeiterinnen dann als arrogant empfunden. Besser ist es, möglichst "man selbst zu bleiben", sich also von der neuen Rolle nicht korrumpieren und verbiegen zu lassen. Ein wichtiger Grundsatz lautet daher: Frau Müller muss die Rolle als Führungskraft annehmen und so bleiben, wie sie ist. Sie sollte signalisieren: "Obwohl sich unser Binnenverhältnis geändert hat: Wir sitzen immer noch in demselben Boot. Und nur gemeinsam können wir es zum Erfolg steuern."

Ratsam ist es, in einem Meeting die neue Rollenverteilung anzusprechen und die Folgen zu thematisieren. Frau Müller verdeutlicht nun: "Der Rollenwechsel hat für unsere Zusammenarbeit folgende Konsequenzen: ..." Sie spricht an, welche Aufgaben sie ab sofort zu bewältigen hat und bittet um Unterstützung.

... und wertschätzend kommunizieren

All dies sollte in einer wertschätzenden Sprache geschehen, die verdeutlicht, dass die "rechte Hand" die Kolleginnen auch in der neuen Rolle als gleichberechtigte Partnerinnen respektiert, ihr aber nun einmal gewisse Funktionen übertragen worden sind, die sie ausfüllen muss und will – zum Wohl der Apotheke, im Sinne der gemeinsamen Verwirklichung der Apothekenziele und zum Nutzen der Kolleginnen.

Konfliktfelder ansprechen und ausräumen

In dem Meeting kann Frau Müller alle potenziellen Konfliktherde direkt ansprechen. Hat vielleicht eine Kollegin ein Problem damit, dass sie künftig die Führungsaufgabe übernehmen soll? Das Meeting bietet die Möglichkeit der sofortigen Aussprache.

Gibt es ein besonders schwieriges Verhältnis zu einer Kollegin, sollte Frau Müller diese Problematik jedoch keinesfalls im Meeting ansprechen, sondern das Vieraugengespräch suchen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine andere Mitarbeiterin gehofft hatte, dass der Apotheker ihr die Führungsrolle überträgt.

Es bleibt festzuhalten: Wie Frau Müller in den Wald hineinruft, so schallt es heraus: Wer Führungsaufgaben übernimmt und dabei Respekt vor den Kolleginnen zeigt, mit Fingerspitzengefühl vorgeht und die notwendigen Führungskompetenzen erwirbt, dem wird ebenfalls Respekt entgegengebracht.


Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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