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Wirtschaft
Sozialversicherung: Vielfalt trotz Fusionen
Die Gründe für den zurückgehenden Fusionstrend sind offensichtlich: Eine günstige finanzielle Situation in allen Zweigen der Sozialversicherung ließ zum einen den Zwang zu strategischen Fusionen, wie er in früheren Jahren bestanden hatte, schwächer werden. Andererseits scheint das Potenzial zu Zusammenschlüssen, insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung, aus heutiger Sicht weitgehend ausgereizt zu sein.
1. Landwirtschaftliche Sozialversicherung
Geradezu ein "Quantensprung" war der Zusammenschluss aller 36 landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger und ihres Spitzenverbandes. Nach dem "Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung" vom 12. April 2012 sind zu Jahresbeginn 2013 alle acht bisherigen landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger und in ihnen vereint ebenso viele landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften, Kranken-, Pflege- und Alterskassen, die landwirtschaftliche Sozialversicherung für den Gartenbau mit ihren vier gleich gelagerten Einrichtungen sowie der Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung im Bundesträger "Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau" mit Sitz in Kassel aufgegangen.
Begründet und gerechtfertigt hat der Gesetzgeber die Organisationsreform damit, dass die bisher bestandene regionale Gliederung dem Strukturwandel in der Landwirtschaft nicht ausreichend Rechnung trage und eine kleinflächige Aufgabenerledigung auf Dauer nicht effizient und wirtschaftlich durchzuführen sei. Ein wichtiges Reformziel bilde auch die Reduzierung von Verwaltungskosten. Der Bund als wichtiger Finanzier der agrarsozialen Sicherheit übernimmt in Zukunft mehr Verantwortung.
Die landwirtschaftliche Sozialversicherung unterliegt als bundesunmittelbarer Versicherungsträger und Selbstverwaltungs-Körperschaft mit dem Prinzip der Drittelparität in den Selbstverwaltungsorganen (Arbeitgeber, Versicherte und Selbstständige ohne fremde Arbeitskräfte) der Rechtsaufsicht des Bundesversicherungsamtes. Die Besonderheit des neuen Trägers liegt im Verbund der vier Sozialversicherungszweige "unter einem Dach".
2. Gesetzliche Krankenversicherung
Die meisten Fusionen hat es in den vergangenen Jahren in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gegeben. Kein Wunder, gab es doch unter allen Versicherungsträgern schon immer am meisten gesetzliche Krankenkassen. So bestanden im Jahr der Wiedervereinigung (1990) noch 1147 Krankenkassen in den alten Bundesländern. Von den Fusionen betroffen waren alle Kassenarten.
Nachdem die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) in den letzten Jahren stark abgenommen haben, verzeichneten sie zum 1. März 2012 eine vorerst letzte Fusion. Dabei wurde im Südwesten die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland gegründet. Sie vereint rund 880.000 Mitglieder (einschließlich Rentner). Damit existieren noch elf selbstständige AOKs, die sich teilweise nur über ein Bundesland wie Baden-Württemberg, Hessen oder Bayern erstrecken, zum Teil aber auch mehrere Bundesländer umfassen, etwa in Norddeutschland oder in den neuen Bundesländern.
Keine Veränderungen im Bestand verzeichneten die sechs Innungskrankenkassen (IKK), ebenso wenig die Knappschaft, die bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See angesiedelt ist. Zu den Trägern der GKV gehört auch die bundesweit arbeitende landwirtschaftliche Krankenkasse. Sie betreut rund 500.000 Mitglieder (einschließlich Rentner) und über 200.000 Familienangehörige. Ihre Mitglieder besitzen überwiegend kein Krankenkassen-Wahlrecht (vgl. unter 1.).
Vier Fusionen bei den Betriebskrankenkassen (BKK) hatte es zu Jahresbeginn 2012 gegeben und auch einen kassenartenübergreifenden Zusammenschluss von Deutscher Angestellten Krankenkasse (DAK) und BKK Axel Springer.
Am 1. Oktober 2012 gingen die BKK Hoesch und die BKK vor Ort zusammen.
Die BKK Hoesch war aufgrund finanzieller Schwierigkeiten lange Zeit ein "Sorgenkind" in der BKK-Gemeinschaft, zumal sie von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag von 15 Euro im Monat verlangte. Dies war Anlass für mehr als ein Drittel der Mitglieder, die Krankenkasse zu wechseln – und ein wesentlicher Grund für die Fusion.
Kassenarten-übergreifend kam es auch am 1. Januar 2013 zu einer Fusion: Die DAK-Gesundheit übernahm die BKK Saint Gobain in Aachen. Ansonsten melden die anderen fünf Ersatzkassen keine Veränderungen. Allerdings hat die KKH die Kooperation mit der Allianz wieder aufgegeben, weil sich die gegenseitigen Erwartungen nicht erfüllten. Eine Fusion melden die BKKs auch zum Jahresbeginn 2013 in Bayern: Dabei schlossen sich die BKK der Schwesternschaft München vom Bayerischen Roten Kreuz und die BKK A.T.U. zusammen.
Eine mehr organisatorische Veränderung im BKK-System gab es insofern, als die derzeit noch 109 BKKs einen neuen Dachverband in der Bundeshauptstadt errichtet haben, der als zentrale Organisation die politische Meinungsbildung wie auch die Gremienarbeit effizienter gestalten und nahe an den Schaltstellen der Macht sein soll. Bisher war der Bundesverband in Essen beheimatet.
3. Soziale Pflegeversicherung
Jeder gesetzlichen Krankenkasse ist seit 1995, als der jüngste Sozialversicherungszweig ins Leben gerufen wurde, automatisch eine Pflegekasse angegliedert. Ihr Selbstverwaltungsorgan (Verwaltungsrat) ist auch das der Krankenkasse, bei der die Pflegekasse errichtet ist. Wenn eine gesetzliche Krankenkasse vereinigt, aufgelöst oder geschlossen wird, teilt die bei ihr errichtete Pflegekasse das gleiche Schicksal, so dass es derzeit 134 Pflegekassen in Deutschland gibt.
4. Gesetzliche Rentenversicherung
Alles beim Alten ist in der gesetzlichen Rentenversicherung geblieben. Dort existieren zwei Bundesträger, nämlich die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund und die DRV Knappschaft-Bahn-See. Auf regionaler Ebene gibt es 14 Rentenversicherungsträger sowie bundesweit die landwirtschaftliche Alterskasse, die 260.000 Beitragszahler und 620.000 Rentner betreut (vgl. zu 1).
5. Gesetzliche Unfallversicherung
Keine Änderungen gab es auch bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften (BG). Die neun selbstständigen Träger entsprechen den Zielvorstellungen des Gesetzgebers, zum Ausdruck gekommen im "Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung". Hinzu kommt der am 1. Januar 2013 ins Leben gerufene landwirtschaftliche Unfallversicherungsträger mit rund 3,5 Millionen Versicherten, darunter eine große Zahl von gelegentlichen Aushilfen oder Nebenerwerbslandwirten (vgl. unter 1.)
Bei den öffentlich-rechtlichen Unfallversicherungsträgern hatte es Jahresbeginn 2012 die letzte Fusion (Bayerischer Gemeindeunfallversicherungsverband und Unfallkasse München zur Kommunalen Unfallversicherung Bayern) gegeben. Nichts verändert hat sich dagegen zum 1. Januar 2013. Derzeit gibt es noch 19 Unfallkassen und Gemeindeunfallversicherungsverbände, vier Feuerwehr-Unfallkassen in Ost- und Norddeutschland sowie drei Ausführungsbehörden des Bundes, nämlich die Eisenbahn-Unfallkasse, die Unfallkasse des Bundes sowie die Unfallkasse Post und Telekom. Doch stehen hier in mittlerer Zukunft zwei Fusionen an: So werden sich zum 1. Januar 2015 die Unfallkasse des Bundes und die Eisenbahn-Unfallkasse sowie zum 1. Januar 2016 die Unfallkasse Post und Telekom und die gewerbliche BG für Transport und Verkehrswirtschaft zusammenschließen.
6. Arbeitslosenversicherung
Eine Sonderrolle im Gefüge der gegliederten Sozialversicherung nimmt seit ihrer Gründung im Jahr 1927 die Arbeitslosenversicherung ein; denn sie steht sowohl historisch wie organisatorisch neben den "klassischen" Zweigen der Sozialversicherung. Einziger Träger ist die Bundesagentur für Arbeit (BA). Ihr sind zehn Regionaldirektionen auf Landesebene und nunmehr 156 Agenturen für Arbeit vor Ort mit 608 Geschäftsstellen untergeordnet.
Insgesamt hat die BA, zuletzt in Thüringen und Sachsen-Anhalt, ihr neues Organisationskonzept in vier Wellen umgesetzt. Weitere Veränderungen sind in absehbarer Zukunft im Gefüge der BA nicht zu erwarten.
7. Ausblick
Interessant dürfte vor allem die weitere Entwicklung in der GKV verlaufen. Die Annahme von Experten, dass es in einigen Jahren weniger als 100 gesetzliche Krankenkassen geben könnte, scheint dann keine Utopie mehr zu sein, wenn sich die finanzielle Situation der Krankenkassen aufgrund wirtschaftlicher Gegebenheiten wieder eintrüben sollte und sie dazu zwingt, Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern zu erheben.
Nur große Krankenkassen – so heißt es immer wieder – könnten gegenüber den Leistungserbringern wie Ärzten, Pharma- und Hilfsmittelindustrie die heute unumgängliche Verhandlungsmacht entwickeln, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen in vertretbaren Grenzen zu halten. Auch besäßen sie ab einer bestimmten Größenordnung von Mitgliedern im Millionenbereich mehr Chancen am Markt.
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