Leitbild-Diskussion

Ein Plädoyer für die Patienten-orientierte Pharmazie

Ein Gastkommentar von Olaf Rose | Die DAZ hat durch die Serie "POP - Patienten-orientierte Pharmazie" den international zu beobachtenden Trend zum Berufswandel aufgegriffen und damit Wege für eine Neuorientierung der Pharmazie aufgezeigt. Die Diskussion um den "Apotheker 2.0" ist in vollem Gange. Dass mit einer Veränderung auch Ängste verbunden sind, zeigt ein Interview mit Prof. Dr. Bernd Clement, dem Vorsitzenden des Verbandes der Professoren an pharmazeutischen Hochschulinstituten (VdPPHI), das am 16. Mai in der Pharmazeutischen Zeitung zu lesen war. Apotheker Olaf Rose, Vorreiter des Medikationsmanagements in Deutschland und Autor der POP-Reihe, analysiert in folgendem Gastkommentar die Situation in Deutschland und geht auf die von Professor Clement geäußerten Befürchtungen ein.

Die Diskussion um eine Änderung der Approbationsordnung hat bereits begonnen. Es ist sehr verständlich, dass ein solcher Wandel auch Ängste schürt. Die Sicherheit des täglichen Handelns scheint für einige Kollegen plötzlich infrage gestellt zu werden, auch manche Hausärzte fürchten eine Einmischung. Wir Apotheker sollten schnellstmöglich eine offene und sachliche Diskussion zum Leitbild unseres Berufes und zu einer neuen Approbationsordnung führen. Viele Sorgen können so schon im Vorfeld genommen und berücksichtigt, die neuen Chancen aufgezeigt werden.

Alarmsignale

Der Druck zum Wandel ist auch im Stillstand schon längst da. Pharmazeutische Institute, wie in Leipzig, werden bereits jetzt infrage gestellt, die Fachhochschuldiskussion gab es auch schon beim Status quo. Auch wenn Fremd- und Mehrbesitz derzeit vom Tisch sind, so haben wir alle gespürt, dass uns die politische Unterstützung nicht auf immer garantiert ist. Täglich schließt eine Apotheke für immer. Die Möglichkeit zum sinnvollen Patientengespräch tendiert seit den Rabattverträgen gegen Null, was der Versorgung nicht zuträglich sein kann. Alarmsignale, die uns nicht von einem Wandel abhalten sollten, sondern uns beflügeln müssten, nach neuen Möglichkeiten zu suchen.

Nutzen des Klinischen Pharmazeuten ist evident

International haben sich viele Nationen und Kollegen bereits die Frage gestellt, wie ein Apotheker der Gesellschaft möglichst viel Gegenwert bieten kann. Länder wie Belgien, die Niederlande, Slowenien, Tschechien, Großbritannien, Australien oder Neuseeland haben inzwischen das Studium umgestellt und die Inhalte neu ausgerichtet. Das Feindbild der USA zu bemühen ist hier zwar einfach, aber polemisch und sinnfrei. International ist der Wandel vielmehr bereits vollzogen, Deutschland und Österreich drohen abgehängt zu werden. Der Nutzen eines klinischen Pharmazeuten ist evident und muss nicht mehr diskutiert werden.

Klinische Umorientierung sichert universitäre Ausbildung

Einige deutsche Hochschulprofessoren argumentieren mit fast schon religiöser Überzeugung, dass bei jeder noch so kleinen Änderung unsere Verbannung an die Fachhochschule drohe. Das mag subjektiv aus den Erfahrungen bei der letzten Änderung der Approbationsordnung vor 13 Jahren so empfunden werden und niemand kann das wollen. Gerade das Festhalten an traditionellen Inhalten lässt diese Diskussion aber erst zu. Der universitäre Wandel hin zur klinischen Pharmazie bezweckt das genaue Gegenteil. Im letzten Jahrzehnt ist viel geschehen. Teilweise offensichtlich unbemerkt, haben die klinischen Inhalte längst einen solchen Umfang angenommen, dass allein hier drei bis fünf Jahre Studium für eine angemessene und zeitgemäße Ausbildung angesetzt werden müssen. Würde man die pharmazeutische Grundausbildung, wie inzwischen international üblich, weitgehend auf das Grundstudium beschränken, so würde sich auch hier eine universitäre Mindeststudiendauer von fünf Jahren ergeben, also eine Verlängerung um mindestens ein Jahr. Dies bei einer engen Einbindung in klinische und medizinische Fächer und auf Station. Eine Verbannung an die FH ist also gerade bei naturwissenschaftlicher Ausrichtung noch viel eher vorstellbar als nach einer klinischen Umorientierung und würde auf Jahrzehnte hin von keinem vernünftigen Menschen ernsthaft mehr gefordert werden können. Auch an diese neue Ausbildung schließen sich dann selbstverständlich eine weitere Spezialisierungsmöglichkeit und idealerweise lebenslanges Lernen an.

Der Kampf um wissenschaftliche Stellen im eigenen Institut mag im Einzelfall hart und ärgerlich sein. Aber auch klinische Studien werden gefördert, vielleicht sogar viel einfacher und großzügiger, weil die Gesellschaft auf sie angewiesen und dazu bereit ist. Große Institute haben nach einem Wechsel in der Lehre jedenfalls regelmäßig nicht abspecken müssen, sondern zulegen können.

Die Frage nach dem Nutzen für die Gesellschaft

Aber ist es das, was unsere Diskussion bestimmen sollte? Als Apothekerschaft müssen wir uns doch die Frage stellen, wie wir bestmöglich zur Gesundheit der Patienten beitragen können, egal in welcher Position und an welcher Stelle wir arbeiten. Gerade das Wissen um den Patienten unterscheidet uns doch per se von Chemikern (in Synthese und Analytik) und Ingenieuren (Technologie). Durch eine klinische Prägung der Ausbildung können wir als Apotheker täglich Leben retten und Leiden vermindern. Wer jemals auf einer Intensivstation durch Dosisberechnungen, Therapieoptimierung oder Interaktionsaufdeckung unmittelbar ein Menschenleben gerettet hat, der bekommt ein anderes Gespür für seinen Beruf und sieht neue Möglichkeiten in allen Bereichen, nicht nur in der Offizin. Dies ist es, was unser Handeln in Zukunft bestimmen sollte und an dem wir unser Denken ausrichten müssen. Pharmakotherapie steht heute für weitaus mehr als nur "die Familie und Geschichte der Kunden zu kennen".

Wissensvermittlung gehört an die Universität

Auch der Fachapotheker für Allgemeinpharmazie wird dem klinischen Wissen in keiner Weise gerecht, er steht vielmehr für praktische Inhalte und hat keinerlei Schnittmenge mit dem Gemeinten, eher noch die Geriatrische Pharmazie als Spezialdisziplin. Wenn man das enorm weite Feld der klinischen Arzneimittelanwendung nicht kennt, kann man so etwas natürlich behaupten. Diese grundlegende Wissensvermittlung gehört folglich unmittelbar an die Uni. Nicht an die FH und auch nicht in der Hände der "Chefin". Es ist auch völlig absurd, 90% der Studenten auf eine angeblich "möglichst weite" Tätigkeit hin auszubilden, um sie dann aufwendig durch Fort- und Weiterbildung (durch Ärzte?) umzuschulen und nicht umgekehrt. Das ist unseres Standes nicht würdig und nebenbei hält man die jungen Kollegen von sämtlichen zukunftsträchtigen Einsatzgebieten fern. Therapiespezialisten wird man so jedenfalls nicht erzeugen.

Fehlendes therapeutisches Rückgrat – ein Skandal!

Es ist ein Skandal, wenn 2013 der Offizinapotheker im Studium kaum therapeutisches Rückgrat vermittelt bekommt und als sogenannter Arzneimittelexperte nur wenige Kompetenzen erhält, sich in die Arzneimitteltherapie einzumischen. Es ist bedauerlich genug, wenn selbst Hochschullehrer nur die soziale Kompetenz in der Offizin kennen und würdigen. Wir müssen eigene Experten für jede Indikation hervorbringen und können uns dann selbstbewusst auf jeder Ebene der Diskussion mit anderen Heilberuflern zum Arzneimittel stellen. Auch können wir uns nur so wieder ohne fremde Hilfe selbst entwickeln, um dann im Team mit Ärzten (und anderen Spezialisten) tatsächlich auf Augenhöhe zu arbeiten. Neu ausgebildete Apotheker können dann in einem viel weiteren Feld tätig werden als zuvor. Arzneimittelfachmann zu sein heißt, die Therapie zu kennen.

Ureigene Felder nicht aufgeben!

Selbstverständlich sollten wir aber auch die "ureigenen Felder" nicht aufgeben. Kollegen, die sich hier betätigen wollen, können sich auch nach einem Wandel durch eine Weiterbildung zum Fachapotheker für pharmazeutische Analytik oder eine Dissertation genügend Spezialwissen aneignen, um später in der Qualitätssicherung oder Herstellung zu arbeiten. Niemand wird behaupten wollen, dass z. B. die britischen Hersteller keine Pharmazeuten mehr beschäftigen oder auf in Deutschland "breit ausgebildete" Apotheker angewiesen wären. Ängste sind also unnötig, der ein oder andere Lehrstuhlinhaber muss vielleicht statt Arzneistoff-Analytik im 2. Ausbildungsabschnitt vermehrt klinische Pharmakokinetik von Vancomycin lehren, weil man mit diesem Wissen in der Klinik täglich Leben retten kann.

Sachliche Diskussion zur Mitgestaltung nutzen!

In einer sachlichen Diskussion besteht jetzt aber die Gelegenheit für die Hochschullehrer, konstruktiv mitzugestalten und nicht nur zu verhindern. Wer sagt, dass viele der mitdiskutierenden Kollegen die aktuelle Ausbildung in Deutschland nicht kennen, der muss sich fragen, ob er denn die klinische Ausbildung andernorts durchlebt hat. Viele Hochschulen haben in den 13 Jahren der neuen Approbationsordnung alles getan, um ein Aufkeimen der klinischen Pharmazie zu verhindern, so wie es in den 1980er Jahren schon mit der Pharmakologie war. Für beide Disziplinen gibt es bis heute kaum eigenständige Institute. Dieses Verhalten hat nicht unbedingt das Vertrauen in die Innovationsfreudigkeit aller Universitäten gestärkt und viele Chancen verspielt. Wir haben viele hervorragende Professoren in Deutschland, die jetzt die Gelegenheit haben, zu beweisen, dass sie einen Wandel und eine neue Approbationsordnung kreativ mitgestalten können.

Klinische Pharmazeuten in der Industrie gefragt!

Auch in der Industrie ist das neue klinische Wissen und die Patientenorientierung übrigens anerkannt. Internationale Hersteller fordern sie seit Jahren, dort wächst eine Generation heran, die vermehrt Kliniker einstellen wird. Zahlreiche Kollegen aus der Industrie in England, der Schweiz und den USA haben die (Hoch-) Schulbank ein zweites Mal gedrückt, um ihre Karriereaussichten dort nachträglich zu fördern. Gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die Versorgungswerke ist es für die Kollegen in der Industrie günstig, wenn der Unterschied zu anderen Naturwissenschaftlern größer wird.

Politik fordert neue Modelle

Bekanntlich fordert auch die Politik von uns inzwischen in aller Deutlichkeit, dass wir uns verstärkt mit neuen Modellen um den Patienten kümmern mögen. Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und zeigt unser ganzes Dilemma.

Nachwuchssorgen verlieren sich, wenn der Apotheker sich vom Logistiker zum Heilberufler wandelt. Die Arbeit am Patienten in der Offizin und auf Station ist dann sicher interessanter als die derzeitige Logistik der Belieferung von Rabattverträgen. Das Ansehen des Berufsstandes steigt rapide, sobald man sich mit dem Patienten zusammen ernsthaft um seine Therapie kümmert und offiziell Verantwortung übernimmt. Medikationsmanagement (MTM) eignet sich gerade auch für Apothekerstellen in Teilzeit, bislang verschwendete Ressourcen können nutzbar gemacht werden. Warum sollte man nicht auch das verlängerte Studium noch mit einem kleinen Exkurs in die Forschung und einem Analogon zum Dr. med. belohnen? Nachwuchssorgen und Minderwertigkeitsängste lassen sich oft ganz einfach lösen! Auch werden die Aspiranten zum Dr. rer. nat. deshalb nicht weniger, sondern können während dieser Forschungszeit begeistert werden, wie die Erfahrung zeigt.

Die beste Chance für die Zukunftssicherung

Ein Wandel eröffnet uns also eine Vielzahl neuer Möglichkeiten und Vergütungen in allen Bereichen der Pharmazie – wenn wir es wollen. Wollen wir es nicht, dann verbringen wir auch das nächste Jahrzehnt in Diskussionen um eine Anpassung der 5,75 €, um die Rabattverträge, um Versandhandel und um das Schreckgespenst Fachhochschule. Die Antwort auf die Frage, ob wir den "Megatrend Patienten-orientierte Pharmazie" (Zitat Pharmazeutische Zeitung) brauchen, muss also heißen: Dieser "Trend" ist die beste Chance, unseren Beruf zukunftssicher und attraktiv zu machen und liegt in unserem eigenen Interesse, egal wo und wie wir als Apotheker arbeiten.



Autor

Olaf Rose, Studium der Pharmazie von 1989 bis 1993 an der WWU in Münster, 1993 bis 1994 Forschungsaufenthalt bei Bayer Yakuhin, Japan, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA 2006 bis 2009. Wissenschaftliches Mitglied und Mitinitiator der WestGem-Studie (MTM und sektorübergreifende Versorgungsforschung bei multimorbiden Patienten) in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal und der KatHO-NRW. Forschungsschwerpunkt: klinisches MTM. Inhaber dreier Apotheken in Münster und Steinfurt.


Apotheker Olaf Rose, Pharm.D., Münster, rose@elefantenapo.de

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