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Klinische Pharmazie - POP
Patientenorientierte Pharmazie - Gedanken zum Leitbild und zur Ausbildung des Apothekers
Die letzten Wochen haben uns Apothekern ein Medienunwetter beschert: Der Stern berichtet in seiner Titelgeschichte über „Viel zu viel Apotheken, überteuerte Medikamente und Schwächen in der Beratung“, der Spiegel titelt von „Pillendrehern als Datendealer“. Dazu rasende Reporter mit versteckten Kameras, die nach Beratungsfehlern von Apothekern lechzen und diese dann schön aneinandergereiht in ihren Magazinsendungen anprangern. Der gesamte Beruf wird über einen Kamm geschoren, keine Spur von Respekt vor der Tätigkeit der Apotheker ist zu finden. Natürlich ist klar, dass man mit Berichten über ein paar wenige schwarze Schafe mehr Magazine verkaufen kann als mit Berichten über viele weiße, aber diese öffentliche Verunglimpfung des Berufes geht nun wirklich zu weit. Wie konnte es so weit kommen? Und wie können wir uns für die Zukunft besser aufstellen, um unseren beruflichen Beitrag zur Gesellschaft deutlicher zu machen?
Genau dies ist ja auch das Ziel der gegenwärtigen ABDA-Leitbilddiskussion. Es ist nötig, dass der Beruf deutlich signalisiert, welche Grundhaltung und Grundwerte er hat, welche Leistungen er anbieten kann und in welche Richtung er sich in den nächsten Jahren entwickeln will. Die Leitbildformulierung ist sicherlich keine triviale Aufgabe, bietet der Apothekerberuf ja breitgefächerte Optionen im Beruf. Die folgenden Gedanken zum Leitbild fokussieren auf Apotheker in der öffentlichen Apotheke, da diese in der Öffentlichkeit und den genannten Berichterstattungen den größten Raum einnehmen.
Warum die Gesellschaft Apotheker braucht
Bei der Leitbilddiskussion ist es nötig, den richtigen Spagat der beiden Hauptfunktionen der Apotheker als Heilberufler einerseits und Kaufmann andererseits zu finden. Allerdings ist dieser Kontrast bei näherem Hinschauen nur ein scheinbarer, denn auch ein Kaufmann wird sich nach dem Bedarf seiner Kunden ausrichten und das anbieten wollen, bei dem die größte Nachfrage besteht. Die Kernfrage bei der Leitbilddiskussion ist also: Warum braucht unsere Gesellschaft Apotheker? Die historische Rolle des Apothekers als Hersteller von Arzneimitteln steht durch die industrielle Fertigung immer weniger im Vordergrund, und auch die Sicherstellung der Qualität der abgegebenen Präparate ist bei den heutigen industriellen Kontrollen eine zwar nach wie vor wichtige, aber keine ausfüllende Betätigung.
Auf der anderen Seite gibt es große Probleme beim Einsatz von Arzneimitteln am Patienten. Diese arzneimittelbezogenen Probleme umfassen viele Aspekte: Falsche oder unnötige Verordnungen, zu hohe oder zu niedrige Dosierungen, Arzneimittelinteraktionen, unzureichende Therapietreue u.v.a. Dies betrifft vor allem ältere Patienten und solche, die viele Arzneimittel gleichzeitig einnehmen. Studien aus der ganzen Welt haben gezeigt, dass eine therapiebegleitende Arzneimittelbetreuung durch einen kompetenten Apotheker gewinnbringend ist, und dies gleich in doppeltem Sinne. Zum einen resultiert ein solches Medikationsmanagement in deutlich besseren Therapieerfolgen, und zum zweiten werden durch diese Maßnahmen die Gesamttherapiekosten der Patienten erheblich verringert. Es kommt zu weniger Folgekosten wie Notfallaufnahmen oder Sekundärbehandlungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Auch die Krankenausfalltage sind bei Durchführung eines Medikationsmanagements verringert. Dieses Einsparpotenzial ist in den letzten Jahren immer deutlicher von Krankenkassen und Politikern erkannt worden. Die Notwendigkeit einer Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist inzwischen auch in den Medien angekommen. Das Leitbild des Apothekers ist dann das des Arzneimittelbetreuers seiner Patienten, in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt und anderen Heilberuflern. Die Mitglieder der Landesgesundheitskonferenz (LGK) des Landes Nordrhein-Westfalen verpflichteten sich 2012, die strukturellen Voraussetzungen für eine intensivere multiprofessionelle Zusammenarbeit aller am Medikationsprozess beteiligten Gesundheitsberufe zu schaffen. Die Apotheke soll stärker als bisher als Schnittstelle genutzt werden, in der alle verordneten Arzneimittel und die Selbstmedikation der Patienten erfasst werden. Es wäre ein historischer Fehler, diese Steilvorlage nicht aufzunehmen!
Was internationale Erfahrungen zeigen
Diese Leitbildfrage ist übrigens nicht nur in Deutschland ein Thema, sondern wurde und wird in fast allen anderen Ländern ebenfalls gestellt. Es ist daher hilfreich, internationale Erfahrungen zu berücksichtigen, auch wenn viele Ansätze sicher nicht direkt auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind. So fand eine nahezu identische Leitbilddiskussion in den achtziger Jahren in den USA statt, die in einem klaren Bekenntnis zu einer patientenorientierten Pharmazie mündete. Die Ausbildungsordnung wurde runderneuert und auf die patientenorientierten Anforderungen ausgerichtet. Viele ältere Kollegen nutzten die Möglichkeit, in einem Fernstudium berufsbegleitend den neuen Abschluss nachträglich zu erwerben. Diese „Umschulung“ erfolgte in enger Zusammenarbeit von Berufsstand und Universitäten. Auch einige deutsche Apotheker haben dieses dreijährige Fernstudium erfolgreich absolviert und sich damit beschäftigt, wie man Arzneimittel beim individuellen Patienten optimal einsetzen kann. Was hat diese Ausrichtung des Apothekerberufs als Arzneimittelbetreuer des Patienten im Nachhinein gebracht? Die Nachfrage nach Apothekern ist drastisch gestiegen, neue Aufgabengebiete taten sich auf (z.B. Arzneimittelberater in Altenheimen, Heimversorgung u.a.), und der Beruf ist derzeit sehr beliebt. Dies ist auch dadurch belegt, dass sich die Zahl der Studienanfänger in Pharmazie in den USA in den letzten zehn Jahren um über 50% erhöht hat und eine Reihe von Universitäten neue Pharmazeutische Institute eröffnet hat. Die Veränderungen der Apothekerrolle sind vor allem in den Krankenhäusern zu spüren, wo spezialisierte Fachapotheker mit auf die Visiten gehen und mit dem behandelnden Arzt gemeinsam die Arzneimitteltherapie optimieren. An einigen Universitätskliniken ist der Bedarf an solchen Apothekern extrem gestiegen. So arbeiten in der Klinikapotheke des Shands Hospitals an der University of Florida mit etwa 800 Betten heute 70 Apotheker. In der öffentlichen Apotheke waren die Veränderungen nicht so zügig wie im Krankenhaus, was mit der weiten Verbreitung von Apothekenketten zusammenhängt. Aber auch die Ketten haben erkannt, dass im Medikationsmanagement ein großes professionelles und wirtschaftliches Potenzial steckt, und immer mehr Apotheken bieten diesen Service an. Leider ist die Infrastruktur amerikanischer Apotheken nicht optimal, da z.B. die OTC-Produkte in der Freiwahl angeboten werden, in der sich Patienten auch ohne Beratung selbst bedienen können. Hier bietet die deutsche Apotheke sicher viel bessere Voraussetzungen, eine intensivere Patientenbetreuung durchzuführen.
Patientenorientierung dringend erforderlich
Die gegenwärtige Leitbilddiskussion hat eine große Dringlichkeit, man wird diese Thematik nicht aussitzen können. Schnell kann der Zug an der Apotheke vorbeirollen, wie es zum Teil in der Krankenhauspharmazie passiert ist. Viele Krankenhausapotheker (von einigen sehr positiven Ausnahmen abgesehen) haben es versäumt, den Schritt zur Patientenorientierung zu machen und haben sich auf Arzneimitteleinkauf und -versorgung konzentriert, geleitet vom Ziel der Minimierung des Arzneimittelbudgets. Das Ergebnis war, dass in den letzten Jahrzehnten viele Krankenhausapotheken wegrationalisiert wurden, da diese Funktionen auch von weniger Apotheken für mehrere Häuser gleichzeitig übernommen werden können. Heute steht Deutschland mit 0,31 Klinikapothekern/100 Betten selbst in Europa an letzter Stelle. Zum Vergleich: Estland und Norwegen haben fünfmal so viele Krankenhausapotheker pro Krankenhausbett und in den USA sind es über zehnmal so viele. Natürlich ist die Stellenzahl in amerikanischen Krankenhäusern genauso wirtschaftlich austitriert wie in Deutschland. Es ist aber den amerikanischen Kollegen gelungen, glaubhaft (und durch Studien belegt) die Kostendiskussion und ihren Beitrag vom reinen Arzneimitteletat auf den Gesamttherapieetat zu verlagern. In vielen Beispielen konnte gezeigt werden, dass man mit geeignetem Arzneimitteleinsatz andere Therapiekosten einsparen kann, die die Arzneimittelkosten um ein Vielfaches übersteigen.
Es steht daher außer Frage, dass die wichtigste Rolle des Apothekers in unserer Gesellschaft die des Arzneimittelbetreuers seiner Patienten ist. Der Patient darf nicht mit seinen Arzneimitteln allein gelassen werden, jemand muss die häufig äußerst komplexe Medikation überblicken. Natürlich muss diese Funktion im Konsens mit dem behandelnden Arzt erfolgen. Bei entsprechender Kompetenz des Apothekers nehmen Ärzte dieses Angebot in der Regel dankbar an. Ein Vertrauensverhältnis von Arzt und Apotheker ist hierbei eine Grundvoraussetzung, um ohne Eitelkeiten professionell die bestmögliche Patientenbetreuung zu erzielen. Der Apotheker darf sich hier nicht als Arzneimittelpolizei aufspielen. Mit gutem Willen von beiden Seiten führt eine solche Zusammenarbeit fast immer zu besseren Therapieentscheidungen.
Klinische Pharmazie ist patientenorientierte Pharmazie
Voraussetzung für die Übernahme dieser patientenorientierten Funktionen ist natürlich eine entsprechende Fachkompetenz. Diese muss durch eine entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildung erworben werden.
In Deutschland wurde bereits Ende der 90er Jahre erkannt, dass die Apothekerausbildung auf dem Gebiet der Patientenbetreuung vertieft werden musste und als Konsequenz das Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ mit in die Approbationsordnung aufgenommen. Der Name dieses Faches wurde leider vielfach missverstanden und hat dazu geführt, dass Klinische Pharmazie zunächst mit Krankenhauspharmazie gleichgesetzt wurde. Klinische Pharmazie ist aber eher als patientenorientierte Pharmazie zu verstehen, bei der der Patient im Mittelpunkt der pharmazeutischen Tätigkeiten steht, unabhängig vom Ort dieser Tätigkeit. Leider vollzog sich die Umsetzung dieses neuen Faches an vielen Hochschulstandorten zu zögerlich. Es gibt leider heute, genau zwölf (!) Jahre nach Inkrafttreten der novellierten Approbationsordnung, immer noch Hochschulstandorte ohne eigene Professur für das Examensfach Klinische Pharmazie. Dies ist nur schwer nachvollziehbar und hemmt die notwendige Ausrichtung des Gesamtfaches Pharmazie.
Apothekerausbildung zukunftsfähig machen!
Das gegenwärtige Pharmaziestudium ist schwerpunktmäßig naturwissenschaftlich ausgerichtet. Obwohl es keinen Zweifel daran gibt, dass eine gründliche naturwissenschaftliche Ausbildung zu einem Pharmaziestudium gehört, so gibt es doch viele andere wissenschaftliche Gebiete, die ebenfalls in ausreichendem Maße in einem Pharmaziestudium vertreten sein sollten, wie z.B. Medizin, Ethik, Kommunikation, Versorgungsforschung, Ökonomie. Es wäre wünschenswert, wenn Vertreter der Hochschulen und des Berufsstandes gemeinsam an einem Strang zögen, um die Apothekerausbildung zukunftsfähig zu machen. Eine Vorreiterrolle hat in diesem Zusammenhang die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG), in der derzeit alle pharmazeutischen Fachdisziplinen gemeinsam am Projekt „Pharmazie 2020“ arbeiten, einer Vision für die zukünftige Pharmazie in Forschung und Lehre. Kürzlich hat die DPhG ein wichtiges Statement zur Implementierung des Medikationsmanagements als neuer pharmazeutischer Dienstleistung veröffentlicht. In diesem Statement fordert die DPhG die Universitäten und Apothekerkammern auf, die wissenschaftlichen und methodischen Grundlagen des Medikationsmanagements fest in Aus-, Fort- und Weiterbildung zu verankern. „Die DPhG ist davon überzeugt, dass die Durchführung eines Medikationsmanagements einen hohen Nutzen für Patient, Arzt und Kostenträger birgt, indem sie zur Vermeidung von Medikationsfehlern und damit zu einer verbesserten Arzneimitteltherapiesicherheit beiträgt. Auf diese Weise entwickelt das Medikationsmanagement die wohnortnahe Arzneimittelversorgung weiter und sollte daher ein wesentlicher Eckpunkt eines zukünftigen Leitbilds für den Apothekerberuf sein. Die DPhG bietet ihre Unterstützung bei der Implementierung in Lehre, Forschung und Praxis an.“ Auch das neue Publikationsorgan der DPhG (Pharmakon) integriert in didaktisch hervorragender Form verschiedene Aspekte der Pharmazeutischen Wissenschaften, die schlussendlich die optimale Therapie des Patienten zum Ziel haben.
Kontakt zum Patienten schon während des Studiums
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich AMTS deuten darauf hin, dass die zukünftige Apothekerausbildung daran gemessen werden wird, wie gut sie die Apotheker auf ihre Rolle in der Patientenbetreuung vorbereitet. Hierzu gehört natürlich auch, dass die Studierenden in ihrem Studium ausreichend Kontakt zu Patienten und Patientendaten haben. Die individuelle Arzneimitteltherapie sollte ein Schwerpunkt der zukünftigen Apothekerausbildung sein, indem patientenbezogen und so weit wie möglich interdisziplinär gelehrt wird, wie Arzneimittel am besten bei verschiedenen Erkrankungen angewendet und dosiert werden. Für sämtliche Empfehlungen sollte es eine nachweisbare Grundlage geben, die evidenzbasiert und leitlinienkonform ist. Beispiele, wie dies aussehen kann, sind in der POP-Reihe der DAZ (Klinische Pharmazie - POP unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de) zu finden.
Lebenslängliche Fortbildung
Es ist ganz wichtig für die Implementierung und Glaubwürdigkeit unseres Berufes, dass die Ausbildung in patientenorientierter Pharmazie und die Anleitung zu einem Medikationsmanagement auf hohem Niveau erfolgt. Das Ziel ist kein geringeres als die Rolle des Apothekers als Arzneimittelfachmann und -betreuer. Die Komplexität der damit verbundenen Aspekte macht es unerlässlich, sich als Apotheker zu einer lebenslänglichen Fortbildung zu verpflichten. Ein gut ausgebildeter, kompetenter Apotheker wird mit großer Zufriedenheit und dem guten Gefühl, seinen Patienten nach bestem Wissen geholfen zu haben, seinem Beruf nachgehen. Viele Kollegen leben schon heute nach diesen Prinzipien. Aber es ist nötig, dass wir als Berufsstand der Gesellschaft deutlicher machen, was wir leisten können. Wenn uns das gelingt, wird auch die Anerkennung durch Politik, Medien und Gesellschaft nicht ausbleiben. |
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