Arzneimittel und Therapie

Estrogen-Dosis und Gestagen machen den Unterschied

Metaanalyse zum Thromboserisiko oraler Kontrazeptiva

Eine Metaanalyse zum Risiko venöser Thromboembolien unter kombinierten oralen Kontrazeptiva ergab, dass alle „Kombipillen“ dieses um mehr als das Doppelte erhöhen. Die Effektstärke hing dabei sowohl von der Art und Dosis des Gestagens als auch vom Ethinylestradiol-Gehalt ab.

Schon bald nach Einführung der ersten Estrogen-Gestagen-Kombinationen („Kombipille“) in den Sechzigerjahren wurde deutlich, dass sie das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) erhöhen. Als Ursache dafür wird unter anderem vermutet, dass die Wirkstoffe die Synthese von Gerinnungsfaktoren (insbesondere II, VII und VII) steigern und die Antithrombin-Konzentrationen senken. Beobachtungsstudien der Folgejahre zeigten bei Pillen-Anwenderinnen ein um das Zwei- bis Sechsfache erhöhtes VTE-Risiko im Vergleich zu Nicht-Anwenderinnen. Zwar ist die Inzidenz mit rund drei Fällen pro 10.000 Frauen pro Jahr relativ gering. Doch bei der großen Zahl von Pillen-Anwenderinnen weltweit muss die Bedeutung des Thromboembolie-Risikos als hoch eingeschätzt werden.

Entwicklungen bei Estrogen- und Gestagen-Komponenten

Die Reduktion der Estrogen-Dosis von 100 bis 150 µg in den ersten Kombipillen auf 20 bis 30 µg in den meisten heutigen Präparaten hat Studien zufolge das Thromboserisiko reduziert. Um Nebenwirkungen zu verringern, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche neue synthetische Gestagene entwickelt, für die sich eine Einteilung in die der ersten (z.B. Norethisteron, Dienogest), zweiten (z.B. Levonorgestrel), dritten (Desogestrel, Gestoden) und vierten Generation (z.B. Drospirenon, Cyproteronacetat) etabliert hat. Das Thromboserisiko zwischen den „Generationen“ ist durchaus unterschiedlich, wie mehrere Studien zeigen. So wurde bei Kombipillen mit Gestagenen der dritten Generation (Desogestrel, Gestoden, Norgestimat) ein höheres Thromboserisiko als bei solchen der zweiten Generation festgestellt (s. Kasten „Zum Weiterlesen“).

Zum Weiterlesen

Keines wie das andere: Von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Gestagene.

DAZ 2013, Nr. 23, S. 46–50.

Verhüten ohne Risiko: Die Auswahl der passenden Methode.

DAZ 2013, Nr. 17, S. 46–51.

„Gemischte Vergleiche“ durch Netzwerk-Metaanalyse

Ziel einer kürzlich veröffentlichten englisch-niederländischen Metaanalyse war es, einen umfassenden Überblick über das Ausmaß des VTE-Risikos bei Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva zu geben und dabei möglichst Unterschiede zwischen den Gestagen-Komponenten und der Estrogen-Dosis zu identifizieren.

In Datenbanken wie beispielsweise PubMed, Embase oder Cochrane wurden dazu Beobachtungsstudien recherchiert, die bis April 2013 bei gesunden Frauen den Einfluss einer Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva auf das Auftreten von tiefen Venenthrombosen oder Lungenembolien untersucht hatten. 26 Studien schloss man in eine Netzwerk-Metaanalyse ein. Im Gegensatz zur herkömmlichen Metaanalyse werden bei diesem Auswerteverfahren neben direkten Vergleichen von Substanzen auch indirekte Vergleiche durchgeführt, das heißt solche, bei denen die Wirkstoffe nicht direkt gegeneinander getestet wurden („gemischte Vergleiche“).

Vergleich verschiedener Gestagen-Generationen

Bei Nicht-Anwenderinnen oraler Kontrazeptiva lag die Thrombose-Inzidenz zwischen 1,9 und 3,7 Fällen pro 10.000 Frauenjahre, was den Ergebnissen vorangegangener Studien entspricht. Die Einnahme eines kombinierten oralen Kontrazeptivums erhöhte das Risiko um das Dreieinhalbfache (relative risk, RR, 3,5, 95% KI 2,9 bis 4,3). Aufgeschlüsselt auf die einzelnen Gestagen-Komponenten ergab sich Folgendes:

Im Vergleich zu Nicht-Anwenderinnen stieg das Risiko bei Präparaten mit

  • Gestagenen der ersten Generation um das 3,2-fache (95% KI 2,0 bis 5,1);
  • Gestagenen der zweiten Generation um das 2,8-fache (95% KI 2,0 bis 4,1);
  • Gestagenen der dritten Generation um das 3,8-fache (95% KI 2,7 bis 5,4).

Beim Vergleich der Kombipillen untereinander war das VTE-Risiko bei Präparaten mit Gestagenen der zweiten Generation im Vergleich mit denen der ersten Generation annähernd gleich (RR 0,9, 95% KI 0,6 bis 1,4). Für Frauen, die Präparate mit Gestagenen der dritten Generation anwendeten, war dieses Risiko im Vergleich mit Kombipillen mit Gestagenen der zweiten Generation geringfügig erhöht (RR 1,3, 95% KI 1,0 bis 1,8).

Vergleich verschiedener Kombinationspräparate

Beim Vergleich verschiedener Kombinationspräparate zeigte sich außerdem eine Abhängigkeit des VTE-Risikos vom Estrogen-Gehalt. Das VTE-Risiko war am höchsten bei Levonorgestrel-Präparaten mit einem Gehalt von 50 µg Ethinylestradiol, am niedrigsten bei Levonorgestrel- und Gestoden-Präparaten mit 20 µg Ethinylestradiol. Präparate mit 30 bzw. 35 µg Ethinylestradiol, die mit Cyproteronacetat, Drospirenon oder Desogestrel kombiniert waren, lagen etwa auf gleicher Risikoebene.

Insgesamt betrachtet hatten Präparate mit 30 und 35 µg Ethinylestradiol, die mit Gestoden, Desogestrel, Cyproteronacetat oder Drospirenon kombiniert waren, ein ähnliches, im Vergleich mit Levonorgestrel-Kombinationen aber um 50% bis 90% höheres Risiko.

Grenzen und Schlussfolgerungen

Zusätzlich führten die Autoren Sensitivitäts-Analysen durch, bei denen sich beispielsweise bei Gestagenen der dritten Generation zeigte, dass in Industrie-gesponserten Studien das VTE-Risiko niedriger war als in Untersuchungen mit anderen Finanzierungsquellen (RR 1,9; KI 0,8 bis 4,2, vs. 5,2; 4,2 bis 6,5, Vergleich mit Nicht-Anwenderinnen).

Als problematisch für ihre Analyse werteten die Autoren, dass die Generationen-Einteilung der Gestagene in den Studien teilweise unterschiedlich vorgenommen worden war. So wurde beispielsweise Norgestimat in einigen Studien der zweiten, in anderen der dritten Generation zugeordnet.

Die Autoren empfehlen auf Basis ihrer Ergebnisse, eher niedrig dosierte Präparate mit geringem Thromboserisiko, wie z.B. Kombinationen aus 30 µg Ethinylestradiol und Levonorgestrel als Gestagen-Komponente, zu verordnen. Da auch der Estrogen-Gehalt von Bedeutung ist, kann bereits der Wechsel von einem 30-µg- auf ein 50-µg-Präparat (z.B. bei Zwischenblutungen von Gynäkologen praktiziert) das Risiko für venöse Thromboembolien erhöhen. 

Quelle

Stegeman, BH, et al.: Different combined oral contraceptives and the risk of venous thrombosis: systematic review and network meta-analysis. BMJ (2013) 347: f5298. doi: 10.1136/bmj.f5298.

 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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