Gesundheitspolitik

Das virtuelle Regal – auch für Apotheken?

Im Spannungsfeld zwischen Hightech und Hightouch

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

Besucht man stark auf neue Technologien ausgerichtete Handelskongresse, sieht man oft das sogenannte digitale Regal, also eine Art Warenpräsentation, die die Ware nicht materiell zeigt, aber so animiert, dass sie bestellt und angeklickt werden kann und dann einen Einkaufsvorgang auslöst. Die Vorteile für alle Beteiligten drängen sich auf. Ware ist verfügbar, allerdings nur im Warenlager und nicht an einem Verkaufsort selbst, sodass die Fläche anders und effizienter genutzt werden kann, ohne einen Sortimentsnachteil zu haben. Gleichwohl bleibt das haptische Erlebnis mit Ware damit aus, selbst eine 3-D-Animation ersetzt am Ende des Tages nicht gänzlich die sinnliche Wahrnehmung eines Produktes, das man eben riechen, schmecken, fühlen und sehen kann. Zwar können diese fehlenden Sinneswahrnehmungen durch technische Ergänzungsangebote kompensiert werden, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad.

Die Heinemenn-Duty-Free-Shops an zahlreichen Flughäfen in Deutschland experimentieren damit, die so angeklickte Ware liegt dann an einer der Kassen bereit, man muss nicht die gekaufte Ware durch den Verkaufsraum mitschleppen, was insbesondere dann von Vorteil ist, wenn man sich gegebenenfalls auch noch um das Reisegepäck kümmern muss. Besonders angesagt ist es, wenn das Produkt nicht am Abflug-Flughafen, sondern am Bestimmungsort abgeholt werden könnte, was eine Präsenz dieser Läden an allen beziehungsweise vielen Flughäfen und eine hinreichend effiziente Vernetzung zwischen den Läden voraussetzt.

In Apotheken mag dieses System nur in der Freiwahl Sinn machen, denn sobald apothekenpflichtige Produkte sich der Beratung vor dem Bestellvorgang entziehen, gibt der Apotheker ohne Not Kompetenz aus der Hand, die an sich seine Stellung und Rolle im Markt rechtfertigen. Und in der Freiwahl macht es nur Sinn, wenn diese bei herkömmlicher Präsentation zu viel Platz wegnimmt und damit durch das virtuelle Regal besser und anders organisiert werden kann und wenn deren Bedeutung am konkreten Standort einen derartigen auch finanziellen Aufwand rechtfertigt oder für die Zukunft rechtfertigen lässt.

Nun darf ein virtuelles Regal hinsichtlich seiner Wirkung auch nicht überschätzt werden, denn nicht alles, was als „hip“ angesehen wird, wird auch in seiner Funktionalität genutzt oder ist gar ausgelastet. Natürlich erzählen Kunden von einem solchen Regal, bewundern dies, gehen vielleicht auch deswegen in das entsprechende Ladenlokal – aber nutzen sie dieses Regal tatsächlich auch? Und nur wenn es genutzt wird, macht eine solche Investition Sinn, denn Handel soll ja nicht zur Sehenswürdigkeit verkommen und der Apothekenbesuch soll nicht dem Kunden eine Eintrittsgebühr abverlangen, sondern Warengeschäfte initiieren.

Bei einem Kongress zum aktuellen Lebensmittelhandel wusste in einem Beitrag die Vortragende zu berichten, dass ein neues Erfolgsmodell im Lebensmittelhandel mit zwei Geschäften in Nordrhein-Westfalen unter dem Namen „Emmas Enkel“ auch mit einer solchen digitalen Wand arbeitet, die bei den Kunden offensichtlich wohlgelitten ist. Auf Rückfrage eines Zuhörers wurde ergänzt, dass durch das Regal bislang aber kein einziger Kaufvorgang initiiert wurde. Fatal! Der Apothekenbesuch würde so zum Spektakel, das muss verhindert werden. Schon beim Begriff Erlebniskauf dürfen in Apotheken Zweifel aufkommen, ob dies eine Rechtfertigung für die Sonderbetriebsform Apotheke sein kann. Vermutlich nein. Fügt sich Technik in eine gewollte Funktionalität, wird sie mit einem Kommissionierautomat verknüpft und stiftet dann für den Verkaufsvorgang aus Sicht des Apothekenpersonals oder den Kaufvorgang aus Sicht des Kunden einen Nutzen, macht dessen Installation Sinn, aber nur dann.

Von daher bieten sich nur wenige, ausgewählte Apotheken in Deutschland für ein derartiges Regal an, sicher solche in ausgewiesenen Lauflagen mit den entsprechenden Laufkunden, einem großen Freiwahlbereich und mit der entsprechenden Offizingröße und der daraus ausgerichteten Back-Office-Technik, die dies befördert. Von der deutschen Durchschnittsapotheke sind derlei Gimmicks fernzuhalten. Im Spannungsfeld zwischen Hightech und Hightouch waren Apotheker von jeher gut beraten, sich dem High Touch zuzuwenden, deshalb haben sie Pharmazie und nicht Informationstechnologie studiert und deshalb kommt der Kunde in die Apotheke. Ansonsten müssten Expopharm und Interpharm in GamesWorld oder CEBIT umfirmieren – und das wollen wir nicht. 

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