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- DAZ 1-2/2014
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Pflanzliche Abortiva
Abtreibungsmittel in alten Arzneibüchern
Im Widerstreit von heidnischer Antike und Christentum
Im antiken Griechenland und Rom stand die Abtreibung nicht unter Strafe; Philosophen wie Platon und Aristoteles befürworteten sie aus bevölkerungspolitischen Gründen. So verwundert es nicht, dass antike medizinische Texte zahlreiche Angaben zu Abortiva enthalten. Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) erwähnt in seiner „Materia medica“ über 100 Pflanzen mit der Indikation „Fruchtaustreibung“. Dieses Werk prägte die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts und wurde bis ins 18. Jahrhundert immer wieder rezipiert. Obwohl die Abtreibung inzwischen längst verboten war – unter dem Einfluss des Christentums hatte sich deren moralisch-rechtliche Beurteilung gewandelt –, findet man auch bei den „Vätern der Botanik“ zahlreiche Hinweise auf Pflanzen mit abortiver Wirkung.
So soll nach Otto Brunfels und Leonhart Fuchs die Wurzel der Schwarzen Nieswurz (Helleborus niger) bei vaginaler Applikation eine Fehlgeburt herbeiführen, ebenso ein Trank von Poleiminze (Mentha pulegium) oder Haselwurz (Asarum europaeum). Den Saft von Beifuß (Artemisia vulgaris) könne man, mit Myrrhe vermischt, zu fruchtabtreibenden Zäpfchen verwenden. Die Wurzel der Zaunrübe (Bryonia dioica) soll sowohl nach oraler als auch nach vaginaler Anwendung zum Abort führen. Besonderes Augenmerk unter den Abortiva verdient der Sadebaum (Juniperus sabina): Hieronymus Bock prangert in seinem Kräuterbuch mit großem Nachdruck die Praktiken gewisser Frauen an, die aus den jungen Zweigspitzen des Sadebaums Abtreibungstränke herstellten.
Legale Indikation für Abortiva
Interessant ist ein Vergleich der lateinischen und deutschen Ausgaben der frühneuzeitlichen Kräuterbücher: Während die Autoren den Hinweis auf die Abortivwirkung einer Pflanze im lateinischen Text meist unverändert von Dioskurides übernehmen, empfehlen sie das Mittel in der deutschen Übertragung oft nur zur Anregung der Wehen oder zur Austreibung des toten Fötus. Unter diesem Aspekt spielten die Abortiva auch in den Hebammenbüchern der frühen Neuzeit eine wichtige, „legale“ Rolle in der geburtshilflichen Therapie. Sie konnten demnach sowohl „Heil“- als auch „Unheil“-Pflanzen sein.
Hohe Risiken für Schwangere
Der Berliner Pharmakologe Louis Lewin (1850–1929) belegt anhand von Fallbeispielen, dass noch im 19. Jahrhundert in Deutschland eine Fülle von pflanzlichen Mitteln zur Abtreibung benutzt wurde, insbesondere Aloe, Beifuß, Safran (Crocus sativus), Mutterkorn (Claviceps purpurea) und Raute (Ruta graveolens) begegneten regelmäßig in unterschiedlichen Dosierungen und Darreichungsformen.Als damals gebräuchlichstes pflanzliches Abortivum darf der Sadebaum gelten, der noch im beginnenden 20. Jahrhundert unter volkstümlichen Bezeichnungen wie „Jungfernpalme“ oder „Mägdebaum“ bekannt war. Er
ist nach heutigen pharmakologischen Kenntnissen aufgrund des hohen Gehalts an ätherischem Öl mit dem Hauptbestandteil Sabinen durchaus als wirksam einzustufen und gehört – ebenso wie viele andere Abortiva – zu den Giftpflanzen. Seine Anwendung war stets mit einem erheblichen Risiko für das Leben der Schwangeren verbunden.
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