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- DAZ 14/2014
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Apothekermangel
Der Schein trügt!
Runder Tisch diskutiert über Nachwuchssorgen und Apothekermangel
Unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Kaapke diskutierten Wilfried Hollmann, Vorstandsvorsitzender der Noweda eG, Dr. Markus Preißner, wissenschaftlicher Leiter der IFH Institut für Handelsforschung GmbH, Werner Heuking, Apotheker aus Dinslaken und Stv. Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, Prof. Dr. Ralf Ziegenbein, Institut für Technische Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Münster, Gabriele Regina Overwiening, Apothekerin und Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Dr. Bernhard Bellinger, Rechtsanwalt und Steuerberater, Dr. Benjamin Wessinger, Apotheker, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung und Prof. Dr. Theo Dingermann, Seniorprofessor für Pharmazeutische Biologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Über den Runden Tisch
In regelmäßigen Abständen lädt die Prof. Kaapke Projekte zur Diskussion aktueller Themen rund um den Apothekenmarkt und die Arzneimitteldistribution ein. Diskutanten sind immer wechselnde Experten und Kenner des Apothekenmarktes, darunter beispielsweise Apotheker und Apothekerinnen, Vertreter von Apothekerverbänden und -kammern, von Pharmaindustrie und -großhandel sowie der Presse.
Mehr Arbeit statt mehr Studienplätze
Bei den Diskussionsteilnehmern herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass der Nachwuchsmangel nicht aus einer zu geringen Anzahl an Studienplätzen resultiert. Die Brisanz für die Thematik resultiert vielmehr aus einer Vielzahl an Ursachen.
Prof. Dingermann bestätigt gleich zu Beginn der Diskussion: „Wir bilden nicht weniger junge Menschen aus als früher“. Hervorgerufen durch den Generationswechsel wird es seiner Meinung nach einen Mangel an Apothekern geben. Demgegenüber steht jedoch eine konstante Anzahl an Studienplätzen, auf die ein regelrechter „run“ stattfindet. Auf eine Zahl von rund 60 zu vergebende Plätze sind bis zu 500 Bewerber und mehr zu verzeichnen. Seiner Ansicht nach ist der große Unterschied zu früher, „dass nicht mehr gearbeitet wird“, was für das erste Ausrufezeichen in der Diskussionsrunde sorgt. Zu viele ausgebildete Studenten gehen den Apotheken verloren, sei es weil ein Jahr Auszeit genommen wird oder eine höhere Präferenz für andere Betätigungsfelder vorliegt. Auch Dr. Wessinger betont, dass es keine belastbaren Zahlen für einen Mangel an Nachwuchskräften gibt, dennoch ist zu beobachten, dass auf ausgeschriebene Stellen der Apotheker „keinem die Bude eingerannt wird“. Dr. Bellinger macht sich Sorgen um den Nachwuchs. Er erklärt die konstanten Zahlen an Approbierten mit einer „Vergreisung des Berufsstandes“. Dadurch werde das tatsächliche Nachwuchsproblem verschleiert.
Wilfried Hollmann hingegen sieht das Hauptübel für das Nachwuchsproblem in der fehlenden Kapazität an Studienplätzen. Aus seiner Sicht ist der Beruf des Apothekers sehr attraktiv und genießt nach wie vor ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Der Berufsstand muss aber mehr für seine Attraktivität tun. Außerdem ärgert es Hollmann, „dass der Apotheker selbst seinen Beruf schlecht redet. Ich kenne viele Apotheker, die ihren Kindern vom Pharmaziestudium abraten“. Darüber hinaus, ergänzt er, sei der Berufsstand zu wenig bereit, selbst etwas für seinen Nachwuchs zu tun.
Die Apotheke im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter
Der Fachkräftemangel ist ein branchenübergreifendes Problem und betrifft auch die Apotheken. Alle wollen den qualifizierten Mitarbeiter. Der demografische Wandel werde die Nachfrage von Apothekenleistungen zukünftig weiter begünstigen, so Prof. Ziegenbein: „Grundsätzlich herrscht auch auf dem Apothekermarkt Wettbewerb. Eine Möglichkeit, den Apothekerberuf attraktiver zu gestalten, besteht darin, frühzeitig eine kaufmännische Komponente zu vermitteln, um für einen interessanten Markt vorbereitet zu sein. Außerdem können Apotheker ihre Prozesse personalorientierter gestalten, um für den hohen Anteil an Teilzeitkräften attraktiv zu sein.“
Dr. Preißner sieht ein zweigeteiltes Problem. Zum einen ist es für Apotheken, insbesondere in ländlichen Regionen, eine der größten Herausforderungen, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Zum anderen sehen sich viele Apothekeninhaberinnen und -inhaber einer ernstzunehmenden Nachfolgeproblematik gegenüber. Als Ursache hierfür nennen Apotheker hauptsächlich die Rentabilität beziehungsweise den Standort der Apotheke. Laut Preißner „stellt die Liebe zum Apothekerberuf deshalb noch lange nicht sicher, dass nachkommende Pharmazeuten auch als Unternehmer tätig sein und die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken tragen wollen“.
Die vorhandene Attraktivität, da waren sich alle einig, gilt es ständig zu verbessern und mithilfe von Anreizen neue Impulse zu setzen. Es gebe kaum einen Beruf, der sich so gut mit der Familie vereinbaren lässt. Doch die Verweiblichung des Berufes berge auch Risiken in sich, da die klassische Rollenverteilung noch immer in den Köpfen der Gesellschaft verankert sei.
Kompetenz anstelle von Cross-Selling
Entweder Kaufmann oder Heilberufler sein zu müssen, ist ein Trugschluss der Apotheker. Jeder Beruf muss sich finanziell behaupten. Overwiening sieht „eine gute Pharmazie mit der Perspektive, die Patienten ordentlich und richtig fachmännisch zu versorgen, als Basis für eine gute Wirtschaftlichkeit in Apotheken“. Die Kompetenz der Apotheker müsse wieder in den Vordergrund gestellt werden. Die wichtige Aufgabe, die sie inne haben, gelte es auch gegenüber der Politik und der Gesellschaft klarzumachen. „Wir haben eine Kompetenz, die kein anderer hat“, bekräftigt Dingermann. Auch für Werner Heuking steht fest, dass die Apotheker „Dolmetscher der Wissenschaft“ sind und die geringe Barriere für Kunden in Apotheken eine gute Chance darstellt, auch zu verstehen, wo sie gerade stehen.
„War for Students“ oder „War for Talents“
In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass eher „ein Kampf um die ‚Fertigen‘ besteht und es weit weniger darum geht, die Leute an die Universitäten zu bringen“, so Dr. Bellinger. Kammerpräsidentin Overwiening setzt auf die Wahrung und Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine starke Identifikation mit der Tätigkeit. Schon während des Studiums müsse der Berufsstand auf die (künftigen) Kollegen zugehen, um dadurch eine positive Prägung für die Apotheke zu erreichen. Wichtig sei, diese Bindung durch den und an den Berufsstand anschließend aufrechtzuerhalten.
Die Lösung des Problems …
Zum Schluss wurde um die richtige Perspektive für die Zukunft gerungen. So waren sich alle Teilnehmer einig, dass auch in der Gesundheitsbranche zugelassen sein muss, Gewinn zu erwirtschaften. Dr. Bellinger hebt hervor, dass sich die Apotheke der Gesundheit verschrieben hat und gleichzeitig ein Unternehmen darstellt, was in seinen Augen absolut kein Widerspruch darstellen muss. Außerdem müsse seiner Meinung nach den Menschen vermittelt werden, dass das Dasein als Apotheker sicherer ist als das anderer Freier Berufe. Für Prof. Ziegenbein wird sich der Markt in den nächsten zehn Jahren immer stärker wettbewerbsorientiert entwickeln und stetig an Dynamik und Beweglichkeit zunehmen. Wer hier mitmacht, zähle zu den Gewinnern.
Laut Preißner liegt das Problem nicht nur auf der einzelbetrieblichen Ebene, sondern vielmehr darin, dass die Stellung der Apotheke im Gesundheitssystem weiter gestärkt werden muss, vor allem gegenüber der Politik und anderen Gesundheitsberufen. Der Versorgungsauftrag der Apotheker sollte wieder im Fokus stehen, die unternehmerische Verantwortung der Apothekeninhaberinnen und -inhaber wertgeschätzt. Auch Hollmann stellt die immer größer werdende Rolle des Unternehmertums der Apotheker in den Vordergrund. Er betont die Dringlichkeit, den Beruf des Apothekers als Unternehmer immer attraktiver zu gestalten.
Uneinigkeit bei den Teilnehmern herrscht bezüglich der Aufstiegschancen in Apotheken. Laut Heuking bieten die verschiedenen Felder, z. B. das Schaffen von Spezialisten für einzelne Bereiche, das Potenzial für Aufstiegschancen. Ebenso muss die Pharmazie seiner Meinung nach in Form eines sozialen Marktes gestaltet sein. Dem steht jedoch die Aussage von Dr. Bellinger über „defizitäre Karrierechancen in Apotheken“ gegenüber. Ein Lösungsansatz könnten für ihn offene Vergütungssysteme mit Lohnanreizen sein. Die Zeit des „Jammerns“ und ständigen „Beklagens“ sei vorüber. In der gegenwärtigen Situation sollten Potenziale zur Verbesserung der Zukunft gesehen werden. Auch Gabriele Regina Overwiening sieht großes Potenzial darin, den Fokus auf das Personal zu legen. Aber auch die allgemeinen Rahmenbedingungen gelte es zu verändern. Die Apotheker in der Runde – Owerwiening, Heuking, Dr. Wessinger – waren sich einig, dass das Studium modernisiert und gegebenenfalls um betriebswirtschaftliche und kommunikationswissenschaftliche Komponenten ergänzt werden müsse. Für Prof. Dingermann stellt das Studium den Schlüssel zu einer exklusiven Stellung in der Gesellschaft dar. Die Apotheker allein besitzen die Hoheit, Arzneimittel zu verkaufen. „Gegenüber der Politik muss agiert und nicht nur reagiert werden“, fordert Dr. Wessinger. Genauso sollen die besonderen Denkweisen der nachwachsenden Generation Y – der eine ausgewogene „Work-Life-Balance“ oft wichtiger sei als beruflicher Aufstieg und hohes Gehalt – berücksichtigt werden, wie durch Overwiening und Prof. Ziegenbein übereinstimmend formuliert wurde – „Work ist eben auch Life“.
Zum Weiterlesen
Der drohende Nachwuchsmangel in Apotheken war Titelthema der DAZ 2014, Nr. 4 vom 23.01.2014. Der Artikel "Nachwuchssorgen" (S. 28) beschäftigt sich mit der Frage, ob es in Deutschland (bald) einen Apothekermangel gibt. Auf S. 32 wird unter dem Titel „War for Talents“ eine Umfrage zur Attraktivität des Pharmaziestudiums vorgestellt, die von Prof. Kaapke durchgeführt wurde.
Autor
Prof. Dr. Andreas Kaapke lehrt Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart und ist Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte.
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