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Feuilleton
Iris, Paris und Moly
Das pharmazeutische Vermächtnis der griechischen Sagenwelt
Helden und Götter im Kampf um Troja
Die Einbeere (Paris quadrifolia) hat ihren Namen vom trojanischen Königssohn Paris, der mit der Entführung der schönen Helena den Trojanischen Krieg auslöste. Zuvor hatte er der Liebesgöttin Aphrodite einen goldenen Apfel gegeben, für den sich auch die Göttinnen Hera und Athene interessierten. Die von vier großen Hüllblättern (für die vier Personen) umgebene Beere – die allerdings schwarz ist – brachten die Einbeere in Verbindung mit diesem „Urteil des Paris“.
Im Namen des Echten Alant (Inula helenium) finden wir die Frau des Paris: Die Tränen, die Helena geweint hat, sollen zum Alant geworden sein, als sie den Erdboden berührten. Die kontaktallergisierenden Inhaltsstoffe der Pflanze können bei Berührung mit dem Auge zu heftigem Tränenfluss führen – als wolle uns Helena noch heute an das damalige Leid erinnern.
Unvergesslich bleibt auch einer der größten Helden des Trojanischen Kriegs, Achill, durch einen Pflanzennamen: Er soll mithilfe der Schafgarbe (Achillea millefolium) die blutenden Wunden seiner Gefährten gestillt haben. Heute wissen wir, dass die in der Schafgarbe enthaltenen Sesquiterpenlactone antiphlogistisch wirken.
Der Name der Schwertlilie (Iris pseudacorus, I. unguicularis) ruft uns die Götterbotin Iris ins Gedächtnis, die als Regenbogen sichtbar wurde, wenn sie vom Himmel auf die Erde herabstieg, um Aufträge ihrer Herrin Hera zu erfüllen, und wenn sie wieder zurückkehrte. Fast wäre es ihr gelungen, den aus Troja geflüchteten Äneas an der Gründung einer neuen Stadt in Italien zu hindern, aus der das Römische Imperium hervorgehen sollte.
Ovids Metamorphosen
Niemand hat die griechische Sagenwelt eindrucksvoller beschrieben als der römische Dichter Ovid. Insbesondere widmete er sich den Mythen, in denen ein Mensch oder ein Halbgott in eine Pflanze, ein Tier oder ein Sternbild verwandelt wird, daher auch der Titel „Metamorphosen“.
So lässt er uns daran teilhaben, wie die erzürnte Titanin Leto die unfreundlichen Hirten, die ihr und ihren Kindern Apoll und Artemis einen Wassertrunk verweigerten, kurzerhand in Frösche (Rana spp.) verwandelt. Er schildert wie der Sonnengott Apoll seine Geliebte Leukothoë in Form eines Strauches unsterblich werden lässt, nachdem ihr Vater sie lebendig begraben ließ (Leucothoë bezeichnet heute die Traubenheide, eine Ericacee), und wie er die von ihm verschmähte Klytia, die vor Kummer starb, in eine Sonnenwende (Heliotropium) verwandelt, damit sie den ganzen Tag den Lauf ihres Idols verfolgen kann.
Auch der in sich selbst verliebte Jüngling Narkissos entging nicht seinem Schicksal und endete schließlich als Narzisse (Narcissus serotinus), während die bewunderte Weberin Arachne den Neid und Zorn der Göttin Athene erregte und seither auf ewig als Spinne ihr Leben fristen muss.
Die Geschichte, die das Adonisröschen (Adonis vernalis) zu erzählen hat, handelt vom schönen Jüngling Adonis, dem die Göttin Aphrodite überaus zugeneigt war. Das entfachte die Eifersucht ihres ständigen Geliebten, des Kriegsgottes Ares, der sich kurzerhand in einen Eber verwandelte und den Widersacher tötete. Aphrodite verwandelte darauf das Blut des Adonis in ein Adonisröschen. Vielleicht war ihr das Herz so schwer geworden, dass sie dem Adonisröschen noch 0,2 bis 0,9% herzwirksame Glykoside als Inhaltsstoffe zugedachte.
Als die keusche Nymphe Daphne sich des aufdringlichen Apoll nicht mehr erwehren konnte, kam ihr der Göttervater Zeus zuhilfe und verwandelte sie in einen Lorbeerbaum (Laurus nobilis). Stundenlang stand Apollon nun da, den Lorbeerbaum eng umklammert (s. Abb.), bis er schließlich einen Zweig abriss und sich daraus einen Lorbeerkranz zur ewigen Erinnerung an das unerreichbare Objekt seiner Begierde flocht. (Notabene: Der botanische Name Daphne bezeichnet den Seidelbast.)
Herakles und die Giftpflanzen
Eine der giftigsten Pflanzen, die wir in unseren Breiten kennen, verdankt ihren Namen ebenfalls der griechischen Mythologie. In seiner zwölften und letzten Aufgabe musste Herakles (Herkules) den dreiköpfigen Höllenhund Kerberos (Cerberus) lebendig aus der Unterwelt zu seinem Auftraggeber, König Eurystheus, schaffen und begab sich deshalb zum Berg Akonitos in Kleinasien. Dort gelang es dem wackeren Helden unter Aufbietung all seiner Kräfte, zu vermeiden, dass der todbringende Speichel, der aus dem Maul des Untiers troff, seine Haut berührte. Der Geifer ergoss sich auf den Erdboden, wo der hochgiftige Eisenhut (Aconitum napellus) entspross. Bereits 1–2 g der Droge Tubera Aconiti gelten aufgrund des Gehalts an neurotoxisch wirkenden Diterpenalkaloiden für Erwachsene als tödlich.
In diesem Zusammenhang darf auch der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) nicht unerwähnt bleiben. Dass sich Herakles tatsächlich mit dem Saft dieser Giftpflanze eingerieben haben soll, um seine Wunden zu behandeln, erscheint fragwürdig, denn auch einem Heroen wären die phototoxisch wirkenden Furocumarine nicht gut bekommen. Plausibler erscheint eine andere Überlieferung, Herakles habe mit dem Riesenbärenklau die entführten Rinder des Riesen Geryon vom Atlantik bis Griechenland getrieben. Auf jeden Fall ist einer herausragenden Gestalt der griechischen Sagenwelt eine überdurchschnittlich große Staude gewidmet worden.
Geheime Zauberkräfte
Zu den Pflanzen, die in der antiken Götterwelt eine Rolle spielen, gehört auch der Granatapfel (Punica granatum). Hades, der Gott der Unterwelt, wollte unter allen Umständen vermeiden, dass ihn die von ihm entführte Persephone wieder verlässt. Als er ihr die Kerne des Granatapfels zum Naschen anbot, wendete sich das Blatt, und die Göttertochter blieb bei ihm. Wegen seiner vielen Kerne war und ist der Granatapfel ein Fruchtbarkeitssymbol. Unter arabischen Nomaden war es Brauch, dass die Braut vor dem ersten Betreten des gemeinsamen Zeltes einen Granatapfel auf die Schwelle schmetterte, damit dessen Kerne in das Zeltinnere geschleudert wurden.
Sagenumwoben ist das Kraut Moly, das der Sommerknotenblume Leucojum aestivum entsprechen soll. Als Odysseus von seinem treuesten Gefährten erfahren muss, dass die Zauberin Kirke (Circe) den Großteil seiner Mannschaft in Schweine verwandelt hat, will der wutentbrannte Held sie zur Rede stellen. Aber auf dem Weg zu ihrer Burg hält ihn der Götterbote Hermes auf und weist ihn an, das Kraut Moly zu verzehren, um den Zauber abzuwehren. Mithilfe der geheimnisvollen Kräfte des Moly gelingt Odysseus schließlich auch die Rückverwandlung seiner Gefährten. War es vielleicht die emetogene Wirkung der Amaryllidaceen-Alkaloide, die ihn vor den Gefahren des Zaubertranks geschützt hat?
Asklepios – Gott der Heilkunst
Es wäre auch heute noch sehr spannend, zu erfahren, welche geheimnisvollen Mixturen und Elixiere der große Asklepios (Äskulap) auf der Insel Kos zur kurativen und palliativen Therapie eingesetzt hat. Da für ihn die Wiederherstellung eines normalen Schlaf-Wach-Rhythmus außerordentlich wichtig war, dürfte er sich bestimmt beruhigender Heilpflanzen wie Baldrian, Melisse und Lavendel bedient haben. Darüber hinaus soll er den schleimigen Wurzelsaft der Schmerwurz (Tamus communis) zur Behandlung der Wassersucht verwendet haben, nachdem er ihn mit Meerwasser vermischte. Ferner soll er auch Meerträubel (Ephedra fragilis), Andorn (Marrubium velutinum) und Huflattich (Tussilago farfara) zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, den Harnstrauch (Osyris alba) bei Gelbsucht und die Wurzelextrakte des Schwalbenwurz-Enzians (Gentiana asclepiadea) bei Bisswunden durch Wildtiere oder bei Krämpfen unklarer Genese eingesetzt haben.
Dass er am Schluss zu seiner stärksten Waffe, dem Blut der Medusa, griff, um den toten Hippolyt wieder zum Leben zu erwecken, nachdem ihn dessen Vater Theseus inständig um Hilfe gebeten hatte, wurde ihm zum Verhängnis. Während Hippolyt wieder zu den Lebenden zurückkehren durfte, wurde Asklepios von den Donnerkeilen des erzürnten Zeus erschlagen. Paradoxerweise hat ihn seine eigene Heilkunst auf diese Weise das Leben gekostet.
Zusammenfassung
Viele Arznei- und Giftpflanzen verdanken ihre Namen der griechischen Sagenwelt. Allerdings ist in der Regel kein direkter Bezug zwischen dem jeweiligen mythischen Geschehen und der pharmakologischen Wirkung der Pflanzen herzustellen.
Literatur
Lipp H-P. Die sagenhafte Welt der griechischen Götter – vom Chaos bis zur Äneis. Neu erzählt und reich illustriert. Heidelberger Lese-Zeiten Verlag, 2014.
Baumann H. Flora mythologica – die griechische Pflanzenwelt in der Antike. Akanthys Verlag für Archäologie, 2. Aufl. 2007.
Grant M, Hazel J. Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. dtv, 10. Aufl. 1994.
Schwab G. Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Wiener Verlag, 20. Aufl. 1995.
Teuscher E, Lindequist U. Biogene Gifte – Biologie, Chemie, Pharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 3. Aufl. 2010.
Genaust H. Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Nikol Verlagsgesellschaft Hamburg, 3. Aufl. 2005.
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