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Europäischer Tribut

Dr. Doris Uhl,
Chefredakteurin der DAZ

Wenn Patienten mit einer Dauermedikation plötzlich nicht mehr ihr gewohntes Arzneimittel bekommen, ist der Erklärungsbedarf groß. Gründe dafür gibt es viele, entsprechend vielschichtig sind die Begründungen. Im Vordergrund stehen sicher derzeit Rabattverträge und Lieferengpässe. Doch auch zwei Zulassungswiderrufe dürften in letzter Zeit für viel Wirbel gesorgt haben: Tetrazepam und Metoclopramid. Besonders verwunderlich: In beiden Fällen handelte es sich um Altarzneimittel mit hohen Verordnungszahlen. Viele Ihrer Patienten werden über Jahre hinweg damit erfolgreich behandelt worden sein, ohne dass irgendwelche Probleme aufgetreten sind. Warum jetzt also solch drastische Maßnahmen?

Arzneimittel müssen ein positives Nutzen-Risiko-Profil haben, das steht außer Frage. Geprüft wird dies zunächst bei der Zulassung und im Folgenden durch Nachfolgestudien und Berichte über Nebenwirkungen und Risiken, die vom Zulassungsinhaber oder den Arzneimittelbehörden erfasst werden. Zulassung und Pharmakovigilanz sind also die Säulen der Nutzen-Risiko-Bewertung.

Im Rahmen der Pharmakovigilanz gibt es unterschiedliche Verfahren und Zuständigkeiten für das Ergreifen von Maßnahmen. Für ein auf EU-Ebene zugelassenes Arzneimittel ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zuständig, für ein nur in Deutschland zugelassenes Arzneimittel sind das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verantwortlich.

Kompliziert wird es, wenn ein national zugelassenes Arzneimittel auch in anderen EU-Ländern zugelassen ist. Dann müssen alle Risikoinformationen an die EMA gemeldet werden. Dort werden sie bewertet und dort werden auch die rechtlich bindenden Entscheidungen zu Maßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten getroffen. Die nationalen Zulassungsbehörden können ihnen nur noch folgen (s. S. 24).

Welche Konsequenzen dieses europäische Risikobewertungsverfahren haben kann, zeigt eindrucksvoll der Zulassungswiderruf von Tetrazepam und Metoclopramid. Beide waren Gegenstand dieses Verfahrens. Im Falle von Tetrazepam wurde die Entscheidung letztlich durch EU-Mitgliedsländer gefällt, in denen das Muskelrelaxans gar nicht zugelassen war. Im Falle von Metoclopramid wurde erstmals ein Zulassungswiderruf erteilt, um einer Fehlanwendung vorzubeugen. Beide Fälle offenbaren schonungslos, welchen Tribut die nationalen Behörden für die europäische Harmonisierung zahlen müssen. Sie müssen die europäische Entscheidung umsetzen, im Zweifel auch gegen die eigene Überzeugung.

Dr. Doris Uhl

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