Die Seite 3

Schöne Perspektiven, raue Wirklichkeit

Dr. Klaus G. Brauer,
Herausgeber der DAZ

Skeptiker gab es zunächst reichlich. Aber auch sie werden anerkennen: Es ist der ABDA gelungen, unter Einbindung der sogenannten Basis innerhalb eines Jahres aus einer wenig konkreten Diskussion über ein Leitbild für die Zukunft der Apotheke ein Perspektiv-Papier „Apotheke 2030“ zu destillieren, das vom Apothekertag mit sehr großer Mehrheit verabschiedet wurde. Das Papier beeindruckt: es ist in sich schlüssig, gut formuliert, hat Ecken und Kanten, indem es den Offizin-Apotheker – weg vom Kaufmann – verstärkt in Richtung Heilberufler profiliert. Das geht nicht von heute auf morgen; es geht nur sukzessive.

Auf dem Weg zu einer verstärkt patientenorientierten Pharmazie sind fachliche und ökonomische Hürden zu überwinden. Das beginnt schon in der Hochschulausbildung. Wer schon im Beruf ist, muss über Fort- oder Weiterbildung für die neuen Aufgaben begeistert werden. Der Weg dahin wird steinig, das ist abzusehen. Nicht alle werden folgen wollen oder folgen können – auch aus ökonomischen Gründen. Es wird nicht einfach sein zu verhindern, dass die Apotheken allzu weit auseinanderdriften. Klar ist: Zusätzliche Aufgaben sind nachhaltig nicht ohne zusätzliche Honorierung zu erbringen. Die Ärzte müssen mit ins Boot. Schon das wird nicht einfach. Zudem ist mit heftigem Störfeuer von Krankenkassenseite zu rechnen. Und: Können wir darauf bauen, von der Politik mehr als Lippenbekenntnisse zu bekommen?

Zweifel daran drängen sich auf. Auf EU-Ebene ziehen Gewitter auf, die unser berufspolitisches Wunschkonzert verhageln werden – jedenfalls wenn wir nicht schleunigst Vorsorge treffen. Auf dem Apothekertag: Kein Wort davon! Kein Wort davon, dass die EU-Kommission – diesmal mit Zustimmung des Europaparlaments und des Rats (also auch mit Zustimmung der deutschen Regierung) – seit 2013 erneut auf Deregulierungskurs geht. Wir erinnern uns: Die EU-Kommission hatte den 2009 gescheiterten Versuch unterstützt, über den EuGH das deutsche Fremdbesitzverbot zu Fall zu bringen. Unter dem Vorwand, damit die volkswirtschaftlichen Schäden aus der Finanzkrise bekämpfen zu können, wird nun – allgemeiner – zur Attacke auf die „reglementierten Berufe“ geblasen. Jeder Mitgliedstaat soll seine Vorschriften zu Berufsqualifikationen, Berufszugang und Berufsbezeichnungen „überprüfen“ und „modernisieren“, sprich: deregulieren. Die französische Regierung hat schon geliefert. In einem zunächst unter Verschluss gehaltenen „rapport“ werden 37 reglementierte Berufe identifiziert, bei denen man durch Deregulierung für mehr Wettbewerb sorgen könne. (Angebliche) Vorrechte und (zu) hohe Einkommen könnten beschnitten werden. Ersparnis: sechs Milliarden Euro pro Jahr. Unter den Berufen: Offizinapotheker und Apotheker, die Labore betreiben. Wenn die deutsche Regierung sich zu einer ähnlichen Einschätzung hinreißen ließ (was europarechtlich nicht zwingend ist), könnten wir das ABDA-Perspektiv-Papier getrost vergessen.

Die Deregulierungsfanatiker in der EU-Kommission haben allerdings noch eine weitere Karte im Ärmel: die transatlantischen Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP). CETA ist unterschriftsreif, um TTIP wird noch heftig gerungen. Speziell bei TTIP macht eine Investorenschutzklausel Sorgen. Danach könnten vor allem Großkonzerne staatliche Standards und Regelungen, die ihrer Expansion im Wege stehen, unter Umgehung ordentlicher Gerichte über private Schiedsgerichte wegklagen – Gerichte, die geheim tagen und deren Urteile nicht anfechtbar sind, obwohl sie die Beklagten (z.B. Staaten) zu Schadensersatz in Milliardenhöhe verdonnern können. Gegen diese Klausel regt sich Widerstand – insbesondere innerhalb der SPD. Ob sie letztlich durchkommt oder nicht – das kann für uns sehr schnell bedeutsam werden. Amerikanische Pharmahändler, die hier mit Töchtern aktiv sind, könnten argumentieren, das in Deutschland geltende Fremdbesitzverbot, das der EuGH 2009 so eindrucksvoll bestätigt hat, sei ein Investitionshindernis. Es müsse deshalb weg. Vor ordentlichen Gerichten, bis hin zum EuGH, wäre mir da nicht bang. Vor den obskuren Schiedsgerichten aber schon.

Dr. Klaus G. Brauer

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