Deutscher Apothekertag 2014

Vision in bestem Sinne

Ein Kommentar von Christian Rotta

Dr. Christian Rotta, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags

Es war ein gleichermaßen nachdenklicher wie bedenkenswerter Lagebericht, den der ABDA-Präsident zu Beginn des Apothekertags gehalten hat: 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer erinnerte Friedemann Schmidt in seiner Rede an den „Geist von 1989“ und daran, sich bei den Debatten auf der Hauptversammlung immer wieder des unschätzbaren Privilegs bewusst zu sein, die eigenen Angelegenheiten selbst diskutieren und regeln zu können. Mit seinem Appell, mutig und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken und über die berechtigte Kritik an partiellen Auswüchsen der Gesundheitspolitik das Große und Ganze nicht aus dem Auge zu verlieren, war für die Leitbild-Debatte ein angemessener Rahmen geschaffen. Denn bei aller Kritik an Bürokratismen, die im Apothekenalltag Zeit rauben und Nerven aufreiben, müssen wir vermeiden, den Apothekerberuf als solchen schlechtzureden und zu desavouieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass öffentliche Apotheken für den pharmazeutischen Nachwuchs jede Attraktivität verlieren. Nein – und auch darauf wies Schmidt mit Emphase hin: Der Apothekerberuf ist ein wunderbarer Beruf, der es ermöglicht, verschiedenste Talente und Fähigkeiten in der Berufspraxis einzusetzen. Wahr ist allerdings auch, dass das Dasein als Pharmazeut kein Selbstläufer ist. Die Institution Apotheke muss sich immer wieder aufs Neue beweisen – und das bedeutet auch, dass sie sich den tiefgreifenden mentalen Veränderungsprozessen, denen unsere Gesellschaft unterworfen ist, bewusst wird und anpasst. Lebensentwürfe und die Arbeitsteilung in Partnerschaft und Familie werden heute neu definiert und justiert. Der Mentalitätswandel steht zunehmend in Spannung zu einem Verständnis, wonach bei freien Berufen Arbeits- und Lebenswelt eine Einheit bilden und sich die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit auflösen. Diese tradierten Vorstellungen werden heute infrage gestellt.

Dass dieser Wertewandel für die Zukunft vieler freiberuflicher Arztpraxen und Apotheken nicht ohne Auswirkungen bleiben kann, liegt auf der Hand. Schon heute finden viele Ärzte und Apotheker keine Nachfolger für ihre Praxis oder Offizin. Hierauf muss die Berufspolitik reagieren. Es ist daher eine der anspruchsvollsten Herausforderungen, den Beruf des Apothekers und das Berufsbild der öffentlichen Apotheke so weiter zu entwickeln, dass es auch für die Lebens- und Arbeitsgestaltung junger Kolleginnen und Kollegen reizvolle Perspektiven bietet. Dies ist auch, aber nicht nur eine Frage auskömmlicher ökonomischer Absicherung. Wichtig sind für die pharmazeutische „Generation Y“ auch immaterielle Werte und Faktoren wie eben die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Partizipationsmöglichkeiten in der Apotheke.

Es ist das Verdienst Friedemann Schmidts in seinem Lagebericht auf diesen Zusammenhang – auch vor dem Hintergrund virulenter Nachfolgeprobleme in vielen Apotheken – hingewiesen zu haben. So gesehen darf das vom Apothekertag verabschiedete „Perspektivpapier“ auch nicht als bloße standespolitische Lyrik missverstanden werden. Das in bestem Sinne visionäre Dokument kann seinem Anspruch, der Selbstvergewisserung zu dienen und Orientierung zu bieten, nur gerecht werden, wenn es jetzt von allen Beteiligten weiter ausgestaltet und vor allem gelebt wird.

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