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DAZ aktuell
Talkrunde ohne Nebenwirkungen
DAV-Chef Becker kritisiert „Hart aber fair“-Gästeauswahl
Zu den Gesprächspartnern zählten unter anderem die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze, der stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführer Norbert Gerbsch, der Arzt und ehemalige IQWiG-Leiter Dr. Peter Sawicki, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, sowie ein „Opfer einer starken Medikamenten-Nebenwirkung“ mit ihrem Rechtsanwalt. Einen Pharmazeuten suchte man hingegen vergeblich, was Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg und Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV), noch vor der Sendung am Montagmittag kritisierte. „Da fragt man sich, ob das Wort ‚fair‘ im Titel der Sendung nicht schon im Ansatz nur Feigenblatt ist.“
Becker verwies darauf, dass dies kein Einzelfall sei: Schon seit langer Zeit werde die Apothekerschaft auch bei Themen, die ihre Arbeit unmittelbar beträfen, von den Fernsehanstalten nicht eingebunden. Natürlich müssten Medien Themen von verschiedenen Seiten beleuchten – warum aber gerade Apotheker, die täglich über vier Millionen Patientenkontakte hätten und deren Tagesgeschäft sich fast ausschließlich um Arzneimittel drehe, zu diesem Thema nicht eingeladen werden, sei nicht nachvollziehbar. Die Expertise der Apotheker scheine für auf Kontroverse ausgelegte Talk-Sendungen im TV nicht gewollt zu sein. „Ich habe den Eindruck, dass das Methode hat“, so Becker, denn wer nicht anwesend sei, dem könne bequem der Schwarze Peter zugeschoben werden. „Am Sendungstitel orientiert könnte man sagen: Das ist ‚hart‘, gleichwohl aber wenig ‚fair‘.“
Patientenschaden – wer ist verantwortlich?
Ausgangspunkt der Talkrunde waren die steigenden Arzneimittel-Verordnungszahlen: Die Deutschen schluckten immer mehr Pillen – dabei könnten selbst einfache Grippemittel lebensgefährlich sein, so die Botschaft. Von anderen, verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ganz zu schweigen. Vorgestellt wurde unter anderem das Schicksal einer Diabetes-Patientin. Sie klagt bereits seit mehreren Jahren gegen Novo Nordisk, um Genugtuung wegen der Nebenwirkungen eines Insulin-Präparates zu erlangen. Da die Nebenwirkung klar sichtbar ist – ein deutlicher Fettgewebeschwund an den Oberschenkeln –, räumt ihr Anwalt ihr Chancen ein. In den meisten Fällen hätten Klagen gegen Pharmahersteller aber nur selten Aussicht auf Erfolg. Meist würden Verfahren vor einem Urteil per Vergleich und Zahlung einer Geldsumme eingestellt. Aber wer ist verantwortlich, wenn Patienten zu Schaden kommen: Ärzte? Pharmaindustrie? Die Politik, die etwa die Rahmenvorgaben für klinische Studien setzt? Oder die Patienten selbst? Den Patienten wollte niemand in der Runde Vorhaltungen machen. Der frühere IQWiG-Leiter Dr. Peter Sawicki meint, dass die Politik zu wenig tue – ihm reichen auch nicht die diversen gesetzgeberischen Aktivitäten der letzten Jahre, auf die der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn verwies. Darüber hinaus ging die Kritik vor allem in Richtung Industrie – aber auch Ärzte kamen nicht ungeschoren davon. Die Wissenschaftsjournalistin Stolze zeigte sich überzeugt, die Pharmaindustrie interessiere sich gar nicht für Wechsel- und Nebenwirkungen. Ihre Argumentation: Sie teste ihre Medikamente in den Studien ganz für sich, ohne den Einfluss anderer Medikamente. Nebenwirkungen vertusche die Branche lieber – jedenfalls sei sie nicht an Transparenz interessiert. BPI-Vize Gerbsch hingegen verwies auf die bestehenden Veröffentlichungs- und Pharmakovigilanzpflichten.
ARMIN-Lob statt Apotheker-Bashing
Außen vor als Verantwortliche blieben die Apotheker. Nicht einmal als es um die gängigsten OTC-Arzneimittel ging – die Sawicki bestenfalls für überflüssig hält – gab es Kritik, dass die Beratung in der Apotheke nicht stimme. Dafür betonten Spahn sowie Gerbsch mehrmals, dass in Apotheken zu Arzneimitteln beraten werde und dass dies sehr wichtig sei. Im Zusammenhang mit der Frage, wer darauf achte, dass Patienten, die viele Arzneimittel verordnet bekommen, diese richtig einnehmen und Wechsel- und Nebenwirkungen möglichst vermieden werden, verwies Spahn auch auf das ARMIN-Modellprojekt in Thüringen und Sachsen. Hier gäben Ärzte zum ersten Mal ein Stück ihrer Hoheit ab und bezögen Apotheker ein. Er verwies allerdings auch auf den langen Kampf, der auszustehen war, bis es zu diesem Projekt kam. Nichtsdestotrotz: Zu einer ausgewogenen Talkrunde über Arzneimittel gehört eigentlich ein Arzneimittelexperte – und das sind nun mal Apotheker.
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